Das aussergewöhnlich trockene Klima gibt den Getreidepreisen Auftrieb. Die Perspektiven für die Agrarindustrie hellen sich auf. Chancen für Engagements eröffnen sich speziell in den Titeln von Düngerherstellern.
Die Rohstoffmärkte sind in Bewegung. Nachdem Gold und Silber bereits letztes Jahr zu einer neuen Hausse angesetzt haben, zeichnet sich nun auch bei Landwirtschaftsprodukten wie Mais, Sojabohnen und Weizen ein Ausbruch der Preise ab.
An den Rohstoffbörsen tendieren die Notierungen seit Anfang August nach oben. Mais hat sich am Spotmarkt in den vergangenen drei Monaten über 18% auf 4.02 $ pro Scheffel verteuert. Sojabohnen und Weizen haben jeweils rund 17% gewonnen:
Auftrieb verspüren ebenso die Terminmärkte. Fundamental sprechen verschiedene Faktoren dafür, dass der Anstieg der Getreidepreise nachhaltig ist. Ausser dem Wachstum der Weltbevölkerung gehören dazu primär die immer extremeren Wetterbedingungen.
Ein aktuelles Beispiel ist die Ukraine, wo Meteorologen die ausgeprägteste Dürreperiode seit fünfzig Jahren fürchten. Wegen der äusserst trockenen Bedingungen dürfte die Getreideernte in der «Kornkammer Europas» bereits diesen Herbst rund 10% geringer ausfallen als im Vorjahr. Mit dem gleichen Problem kämpfen die Bauern in Brasilien, wo sich der Anbau von Sojabohnen in den vergangenen Wochen verzögert hat.
Im vielbeachteten Crop Report vom 9. Oktober hat das amerikanische Landwirtschaftsdepartement USDA überraschend gewarnt, dass die weltweiten Vorräte an Sojabohnen stärker abnehmen als bisher prognostiziert. Generell verschärfe sich der globale Wettbewerb um Getreidelieferungen. Betroffen ist davon vor allem China, das seinen wachsenden Hunger nach Agrarrohstoffen nun vermehrt durch Importe aus den USA stillen muss.
Diese Trends reflektieren sich auch im Index der Vereinten Nationen zu den globalen Lebensmittelpreisen. Er ist im September wegen der festeren Notierungen für Getreide 2% gestiegen und bewegt sich nur knapp unter dem Mehrjahreshoch vom Januar. Der Subindex für Getreide und andere Halmfrüchte notiert bereits auf dem höchsten Stand seit Anfang 2015.
Noch spielen sich im Getreidemarkt keine gravierenden Engpässe ab. Nach einer längeren Phase der Überproduktion stehen Angebot und Nachfrage seit einigen Jahren aber ungefähr im Einklang.
Das verdeutlicht die Statistik der Uno-Agrarexperten, die ihren Ausblick zur weltweiten Produktion vor wenigen Tagen nach unten revidiert haben. Neu rechnen sie damit, dass der Output im laufenden Argarjahr bis Ende August 2021 mit gut 2760 Mio. Tonnen fast exakt dem Verbrauch entsprechen wird:
Ein ähnliches Bild zeigt die Entwicklung der Lager. Nachdem die weltweiten Vorräte in den Jahren 2014 bis 2018 stark gestiegen sind, haben sie sich bei rund 880 Mio. Tonnen stabilisiert und sind zuletzt leicht zurückgegangen:
Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Rund um den Globus drucken die Zentralbanken im Rekordtempo Geld, allen voran das Federal Reserve in den USA. Werten sich Währungen ab, gewinnen Finanzinvestitionen in Rohstoffe an Attraktivität. Auch das wird sich in höheren Notierungen für Landwirtschaftsprodukte bemerkbar machen, die üblicherweise in Dollar handeln.
Nach einer langen Seitwärtsbewegung sind die Getreidepreise damit reif für einen Ausbruch. «Der Sektor steuert auf eine neue Hausse zu», sagt Heinz Isler, Berater institutioneller Investoren in Genf. «Der langfristige Abwärtstrend ist gebrochen. Die Chancen stehen deshalb gut, dass der Markt zu einer dauerhaften Aufwärtsbewegung ansetzt, wie das zum Beispiel bei Gold bereits 2019 der Fall war», denkt der Rohstoffspezialist mit mehr als fünfzig Jahren internationaler Erfahrung in der Branche.
Was ein neuer Zyklus für die Preise von Agrargütern bedeuten könnte, lässt ein Blick in die Vergangenheit erahnen. Auf dem Zenit des letzten Booms vor rund zehn Jahren notierten die Preise für Mais, Soja und Weizen um ein Vielfaches höher als heute:
Für Investoren mit einer langfristigen Perspektive könnte es sich vor diesem Hintergrund lohnen, das Portfolio mit Anlagen aus dem Agrarsektor anzureichern.
Am einfachsten geht das über ETF. Nachdem die Branche an der Börse lange vernachlässigt worden ist, sind Instrumente für passive Engagements jedoch rar. Empfehlenswert ist der Invesco DB Agriculture Fund, der einen liquiden Handel ermöglicht und in ein breites Spektrum von Futures-Kontrakten investiert: von Getreide über Kaffee, Zucker und Kakao bis hin zu Schweinen und Rindern.
Eine weitere Möglichkeit bieten Aktien von Unternehmen aus der Agrarindustrie. Für Privatanleger, die nicht zwingend auf hohe Handelsvolumen angewiesen sind, bietet sich in diesem Bereich der VanEck Vectors Agribusiness ETF an. Er umfasst gut fünfzig Einzeltitel aus allen Segmenten der Branche und ist international diversifiziert.
Die operative Performance von Ausrüstern hängt entscheidend vom Einkommen landwirtschaftlicher Betriebe ab. Kurzum: Je mehr Geld die Bauern verdienen, desto grösser ihre Bereitschaft, in Maschinen, Saatgut, Dünger, Pflanzenschutzmittel und anderes Equipment zu investieren.
Das gilt auch für die Farmer in Amerika, die zusammen mit China, Indien und Brasilien zu den grössten Produzenten zählen. Die US-Landwirtschaftsbehörde geht davon aus, dass das Nettoeinkommen amerikanischer Bauern dieses Jahr fast 23% auf insgesamt 103 Mrd. $ steigt. Bei den Bareinnahmen wird mit einer Zunahme von 4,5% auf 115 Mrd. $ gerechnet.
Beide Werte entsprechen dem höchsten Stand seit mehr als fünf Jahren und bewegen sich über dem historischen Durchschnitt seit Anfang 2000:
An der Börse sorgt das für wachsendes Interesse. Aktien von US-Getreidehändlern wie Archer-Daniels-Midland und Bunge verspüren seit Sommer Zug nach oben. Landmaschinenhersteller wie AGCO, CNH Industrial oder Bucher Industries aus der Schweiz sind ebenso vermehrt gefragt.
Die Titel von Branchenleader Deere haben seit Anfang Jahr sogar fast 39% zugelegt:
Kommt es zum Revival der Agrarindustrie, schlummert besonders in den Aktien von Düngemittelherstellern Kurspotenzial.
Gemäss dem Ag Barometer der Purdue University in Indiana hat die Investitionsbereitschaft von US-Farmbetrieben seit dem Tief vom April deutlich zugenommen. Davon profitieren nicht nur Hersteller von Maschinen, sondern auch Düngerproduzenten wie Nutrien, Mosaic, CF Industries und K+S aus Deutschland.
Die Branche, die dem Segment Spezialchemie zugeordnet wird, fokussiert sich hauptsächlich auf die Verarbeitung der Mineralien Kaliumkarbonat, Phosphat und Ammoniak, einer Stickstoffverbindung mit Wasserstoff. Die Preise der drei Substanzen hängen von den Notierungen im Getreidehandel ab, werden aber auch von anderen Faktoren bestimmt.
Düngemittel machen je nach Aussaat rund 7 bis 15% der Ausgaben in der Getreideproduktion aus. Mais, Sojabohnen und Weizen kommen für etwa 44% des weltweiten Düngermarktes auf. Am grössten ist der Einsatz bei der Anpflanzung von Mais, wozu Ammoniak de facto unverzichtbar ist und Kali sowie Phosphat oft optional zur Steigerung des Ertrags genutzt werden:
Im amerikanischen Düngerhandel, wo New Orleans an der Mündung des Mississippi der wichtigste Umschlagplatz ist, hat sich dieses Jahr speziell Phosphat verteuert. Ein Hauptgrund dafür ist, dass Mosaic, der weltgrösste Phosphatverarbeiter, die US-Regierung veranlasst hat, Einfuhrbeschränkungen für Lieferungen aus Russland und Marokko wegen «unfairer» Subventionen zu prüfen.
Seit einigen Wochen lässt sich auch im Kalihandel eine neue Dynamik beobachten. Am Markt werden für das Granulat momentan 209 $ pro Tonne gezahlt:
«Wir erwarten, dass die Düngerpreise in den kommenden Monaten weiter anziehen», sagt Bede Heren, der aus Houston für das Researchhaus Argus Media den nordamerikanischen Düngermarkt abdeckt. «Die Hersteller blicken damit einem sehr lukrativen Frühling entgegen.»
Die zuversichtliche Prognose basiert unter anderem darauf, dass die Farmer im «Corn Belt» die Maisernte in den vergangenen Wochen frühzeitig eingefahren haben. Das gibt ihnen mehr Zeit als üblich, das Ackerland bis zur nächsten Aussaat stärker mit Düngemitteln zu bearbeiten.
Einen Anreiz, die Getreideproduktion und damit den Düngereinsatz zu erhöhen, gebe ebenfalls der wachsende Importbedarf Chinas, ergänzt Heren. «Auch herrscht in den USA zurzeit ohnehin ein Defizit an Düngemittelimporten, das sich durch die potenziellen Zölle auf Phosphateinfuhren verschärfen könnte», meint er.
Konkrete Anhaltspunkte zu den Aussichten der Düngemittelindustrie erhalten Investoren ab Ende Oktober, wenn die ersten Konzerne den Quartalsabschluss präsentieren.
Die Aktien grosser Hersteller sind nach all den mageren Jahren günstig bewertet. Ausserdem hat in der Branche seit dem letzten Boom eine ausgeprägte Konsolidierung stattgefunden, womit sie bei einem nachhaltigen Anstieg der Düngerpreise umso mehr profitieren wird.
Für Aufsehen hat speziell die Fusion von Nutrien mit Agrium gesorgt. Mosaic hat derweil das Phosphatgeschäft von CF Industries übernommen. Mit dem Konkurs von Mississippi Phosphates ist zudem ein bedeutender Akteur aus dem Markt verschwunden. Letztes Jahr hat der Chemieriese DowDuPont seine Agrarsparte abgestossen, die an der Börse nun unter dem Namen Corteva handelt.
Anleger müssen sich allerdings bewusst sein, dass der Sektor in den vergangenen Jahren viel Kapital verschlissen hat. Nach einer schwierigen Zeit ist auch die amerikanische Landwirtschaft nach wie vor in einer fragilen Verfassung. Die meisten Farmen in den USA wirtschafteten in den letzten Jahren unprofitabel und konnten nur dank staatlichen Zuschüssen überleben.
Das lässt sich an den Bilanzen der Düngerhersteller erkennen. Die meisten sind relativ hoch verschuldet, K+S musste das Geschäft in Nordamerika in den letzten Monaten einer tiefgreifenden Restrukturierung unterziehen. Praktisch alle Konzerne sind mit einem BBB-Kreditrating bewertet, der letzten Bonitätsstufe, die noch das Prädikat Anlagequalität geniesst.
Wer bereit ist, diese Risiken zu tragen, orientiert sich am besten an Nutrien. Der zu 23 Mrd. $ bewertete Konzern mit Sitz in der kanadischen Provinz Saskatchewan firmierte früher unter dem Namen PotashCorp. Durch den 2018 vollzogenen Schulterschluss mit Agrium hat er als vollintegrierter Hersteller mit einem engmaschigen Retail-Vertriebsnetz in Nordamerika und Australien etabliert.
Die in New York und Toronto gehandelten Aktien haben am Freitag auf 52.98 kan. $ geschlossen. Das ist ein Abschlag von 15% gegenüber Anfang Jahr. Der Sektorindex S&P 500 Chemicals hat im selben Zeitraum leicht mehr als 5% gutgemacht:
Nutrien ist der weltgrösste Kaliproduzent und ist ebenfalls im Markt für Phosphat und Ammoniumstickstoff präsent. Der Absatz an Düngesubstanzen beträgt insgesamt gut 25 Mio. Tonnen pro Jahr. Ausserdem vertreibt das Unternehmen Saatgut, Pflanzenschutzmittel und anderes Zubehör für Landwirtschaftsbetriebe.
Der Umsatz der Gruppe, die in Saskatchewan sechs Kaliminen zu günstigen Produktionskosten betreibt, belief sich letztes Jahr auf 19,3 Mrd. $. Für 2020 erwarten Analysten gemäss dem Datendienst S&P Global Market Intelligence knapp 20 Mrd. $. Die geschätzte Ebitda-Marge beträgt 18,7%, woraus ein operatives Ergebnis von 3,7 Mrd. $ resultiert.
Dank dem Retailgeschäft sticht der Konzern im Branchenvergleich durch seinen robusten Cashflow heraus. Der Konsens rechnet für dieses Jahr mit einem Zufluss von annähernd 1,9 Mrd. $ an freien Mitteln. 2021 sollen es zum aktuellen Stand etwa gleich viel sein:
Der verhältnismässig hohe Verschuldungsgrad (Nettoschulden/Ebitda) von 3 ist dadurch weniger prekär als bei anderen Anbietern, die sich rein auf den Grosshandel beschränken.
Nutrien kann es sich deshalb leisten, eine Dividende von 2.40 kan. $ zu zahlen, was feudalen 4,5% Rendite entspricht. «Die Dividende ist durch die Retail-Sparte finanziert und ist unserer Ansicht nach nicht in Gefahr, gekürzt zu werden», meint das Analystenteam von Scotiabank.
Hinzu kommt der positive Hebeleffekt auf den Gewinn, wenn die Düngerpreise dauerhaft anziehen. Gemäss Schätzung von Scotiabank verbessert ein Anstieg des Kalipreises um 20 $ pro Tonne das operative Ergebnis auf Stufe Ebitda um 205 Mio. $. Für Ammoniak sind es je nach Endform 40 bis 65 Mio. $ bei einem Zuwachs des Marktpreises um 20 $ pro Tonne.
Hellen sich die Aussichten im Agrarsektor weiter auf, verspricht ein Engagement in den Aktien von Nutrien damit eine reichhaltige Ernte. Als nächste potenzielle Katalysatoren für den Kurs stehen die Präsentation der Quartalszahlen am 3. November sowie der Investorentag am 30. November an.