Der Reopening Trade geht an den Aktien der grossen Pharmakonzerne bisher spurlos vorbei. Dabei ist damit zu rechnen, dass sich auch das Geschäft der Arzneimittelmultis nach der Krise normalisieren wird. Das bietet Einstiegschancen.
Schonungslos offenbart die Pandemie die Lücken im System. In negativer Erinnerung bleibt beispielsweise der Versorgungsengpass bei vielen Gütern zu Beginn der Krise, weil die Lieferketten im Zuge der Globalisierung bis an den Anschlag optimiert wurden. Auch sind viele Regierungen bis heute mit der Situation heillos überfordert, weil sie trotz Warnungen der Wissenschaftler in den vergangenen Jahren schlecht auf eine Pandemie vorbereitet waren.
Fast schon mustergültig sind da der Pragmatismus und der Innovationseifer der Pharmaindustrie. Beispiellos kooperieren die Gesellschaften und die Behörden miteinander, mit dem Resultat, dass bereits wenige Monate nach Ausbruch des Virus erste Unternehmen Erfolge in der Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten vermelden konnten.
Die Pharmaindustrie ist in der gegenwärtigen Krise also ein Segen, könnte man meinen, der von den Anlegern an der Börse mit Wohlwollen quittiert wird. Diese rümpfen derzeit aber nur die Nase über die Branche. Mit wenigen Ausnahmen aus dem Biotech-Sektor wie bspw. den Impfstoffentwicklern Moderna aus den USA oder BioNTech aus Deutschland gehören Arzneimittelhersteller keineswegs zu den Gewinnern der Krise.
Die Angst vor dem Virus hält viele Patienten von einem Arztbesuch ab. Spezialisten können deshalb keine Wirkstoffe verabreichen oder verschreiben. Besonders davon betroffen sind Medikamente gegen Augen- und Hautkrankheiten, deren Vergabe sich aufschieben lässt. Allerdings sind auch die Verkäufe lebensnotwendiger Krebsmedikamente von der Pandemie tangiert, weil weniger Tumorscreenings durchgeführt werden.
Doch nicht nur das Virus schlägt den Pharmainvestoren derzeit aufs Gemüt. In den USA – einem der wichtigsten Arzneimittelmärkte – geht nach dem Wahlsieg von US-Präsident Joe Biden und den Demokraten im Kongress einmal mehr die Angst vor staatlich verordneten Preissenkungen um. Besonders gefährlich würde es, wenn die USA einen externen Referenzpreismechanismus einführen würden, bei dem die zum Teil deutlich tieferen Preise anderer Länder wie Grossbritanniens oder Frankreichs zum Massstab genommen würden. Hinzu kommt, dass der Dollar 2020 deutlich schwächer geworden ist, was im letzten Jahr auf den Umsatz der Pharmakonzerne gedrückt hat.
Während die Aktien vieler Pandemieverlierer, wie bspw. von Zyklikern oder Energieunternehmen, bereits wieder beachtliche Bewertungsgewinne aufweisen, weil die Investoren auf eine rasche Erholung der Wirtschaft setzen, halten sich die Anleger deshalb bis heute von Pharmatiteln fern. Der gleichgewichtete Durchschnitt aller Kurs-Gewinn-Verhältnisse der grossen Pharmamultis auf Basis des geschätzten Gewinns für die nächsten 24 Monate (KGV) liegt zwar in etwa auf dem langjährigen Schnitt:
Zieht man jedoch in Betracht, dass die Bewertung des Gesamtmarktes während der Pandemie deutlich gestiegen ist, erscheinen die Aktien der Arzneimittelkonzerne spottgünstig. So beträgt das durchschnittliche KGV von Big Pharma aktuell 65% desjenigen des MSCI-Weltindex. In den letzten fünfzehn Jahren wurde ein solch tiefes Niveau nur ein Mal unterschritten.
Der Reopening Trade ist an den Grossen der Branche bisher also spurlos vorbeigegangen, obwohl damit zu rechnen ist, dass mit dem Ende der Pandemie die Patientenkonsultationen der Ärzte wieder auf das Vorkrisenniveau steigen werden. Hinzu kommt, dass sich das Wachstum des Pharmamarktes in den kommenden Jahren sogar noch beschleunigen wird, wie die Prognosen des auf Pharma spezialisierten Datendienstleisters EvaluatePharma zeigen.
Trotz des Wahlsiegs der Demokraten ist es zudem weiterhin völlig unklar, ob es tatsächlich zu einschneidenden Reformen kommen wird. Experten rechnen nicht mit einem disruptiven Wechsel. «Die Branche hat eine mächtige Lobby. Auch sind viele Pharmakonzerne wichtig, wie die rasche Entwicklung von Covid-Impfstoffen verdeutlicht. Amerika hat momentan so viele andere Prioritäten, dass die Preissetzung für Medikamente kaum verstaatlicht wird», sagt beispielsweise Sarah Ketterer, Chefin der Investmentboutique Causeway Capital, die rund 47 Mrd. $ an Vermögen verwaltet, im Gespräch mit The Market.
Ketterer und andere Value-Investoren wagen sich deshalb langsam, aber sicher wieder an den Arzneimittelsektor heran. «Aus unserer Sicht ist die Bewertung von Pharmatiteln nur temporär gedrückt», sagt sie.
«Pharmaaktien sind heute unangemessen billig», ist zudem auch Thomas Shrager, Mitglied des Anlageteams der New Yorker Value-Boutique Tweedy, Browne, überzeugt.
Die Bewertungsbaisse des Sektors wird nicht nur von einigen wenigen, sondern vom Gros der Titel getragen. Gemessen am relativen KGV zum MSCI-Weltindex erscheinen mit Ausnahme von Eli Lilly alle grossen Pharmakonzerne günstig.
Die Bewertungsmodelle bzw. die Kursziele der Analysten zeichnen ein ähnliches Bild. Ein Grossteil der Pharmakonzerne hat aus diesem Blickwinkel ein Aufwärtspotenzial von über 10%.
An Pharma interessierte Investoren haben derzeit also die Qual der Wahl. Doch auf welche Aktien lohnt es sich wirklich zu setzen?
Wer auf Trends setzt, der kann sich die Empfehlungen der Finanzhäuser anschauen. Sie raten mehrheitlich zum Kauf von AstraZeneca aus Grossbritannien sowie Merck und AbbVie aus den USA.
Alle drei Konzerne rangieren auch in der oberen Hälfte der Unternehmen, die den Umsatz nach Ansicht der Bankanalysten in den nächsten Jahren am stärksten steigern können.
The Market ist jedoch vor allem von Novo Nordisk aus Dänemark und von Roche überzeugt. Beide besitzen nicht nur innovative und deshalb stark wachsende Produkte, wie die von den Analysten geschätzten Umsatzwachstumsraten für die nächsten Jahre zeigen. Die Präparate kommen im Unterschied zu jenen von etlichen Konkurrenten zum allergrössten Teil auch aus der eigenen Forschungsschmiede.
Wie die Bank Berenberg in einer kürzlich erschienenen Studie zur Pharmabranche aufzeigt, stammt praktisch der ganze Wert, den sie Novo Nordisk und Roche beimisst, aus Eigenkreationen.
Die beiden Konzerne agieren damit aus einer Position der Stärke. Während diverse Mitbewerber mangels eigener Innovationsleistung auf die teure Akquisition von pfannenfertigen Medikamenten angewiesen sind, um das kurzfristige Wachstum aufrechtzuerhalten, können Roche und Novo Nordisk es sich leisten, nur dann zuzuschlagen, wenn das Preis-Leistungs-Verhältnis tatsächlich stimmt. Oftmals stehen bei ihnen nur Unternehmen mit Wirkstoffen im Fokus, die noch im frühen Stadium der Entwicklung sind und gleichzeitig eine einzigartige neue Technologie mitbringen. Damit sichern sie sich relativ günstig bereits heute den Erfolg in zehn Jahren.
Es erstaunt deshalb nicht, dass sowohl Roche als auch Novo Nordisk wegen ihrer hohen internen Innovationskraft bzw. ihrer zurückhaltenden Akquisitionsstrategie in der Branche Spitzenplätze bei der Rendite auf das investierte Kapital (ROIC) belegen. Für Novo Nordisk liegt die Rentabilität bei 69%. Bei Roche beträgt sie 31%.
Die Qualität der beiden Unternehmen ist also überdurchschnittlich hoch. Sie sind darum auch im Best Ideas Portfolio von The Market enthalten.