Zentralbanken rund um den Globus arbeiten intensiv an der Umsetzung von elektronischem Notenbankgeld. Worum geht es und wo lauern mögliche Fallstricke?
Wem beim Stichwort «Digitalwährung» Bitcoin oder V-Bucks in den Sinn kommen, befindet sich in guter Gesellschaft. Kaum jemand denkt beim Thema zuerst an einen E-Franken oder einen digitalen Euro. Konkurrenz belebt aber bekanntlich das Geschäft. So zumindest lässt sich erklären, weshalb sich plötzlich so viele Notenbanken für digitales Geld interessieren.
In den vergangenen Wochen äusserten sich nämlich gleich mehrere Institutionen zum Thema. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) gab in Zusammenarbeit mit sieben Zentralbanken – darunter die SNB – einen gemeinsamen Bericht zu digitalem Notenbankgeld (Central Bank Digital Currencies, CBDC) heraus. Der Vorsitzende der US-Notenbank Fed, Jerome Powell, sprach auf einer Sitzung des IWF darüber, und sowohl die Bank of Japan als auch die EZB haben entsprechende Studien veröffentlicht.
Das unterstreicht, dass das Thema bei den Währungshütern angekommen ist und sie zunehmend fürchten, wegen privater Währungen und Zahlungssysteme an Einfluss zu verlieren. Bargeld war lange die Domäne der Zentralbanken. Doch sie bröckelt.
Worum geht es überhaupt? Digitales Notenbankgeld ist eine Währung, die von einer Zentralbank ausgegeben wird, allerdings nur in digitaler Form und nicht als Banknoten und -münzen. Es handelt sich dabei um eine Fiat-Währung eines Landes, die gleichzeitig eine Forderung an die Zentralbank darstellt.
Anstatt Geld zu drucken, gibt die Zentralbank elektronische Münzen oder Konten aus, die durch die Kreditwürdigkeit und das Vertrauen in die Regierung gedeckt sind. Die elektronische Währung ist eins zu eins in physisches Geld eintauschbar.
Digitales Notenbankgeld ist weder dezentral, noch wird es eine Mengenbeschränkung aufweisen, wie das etwa bei Bitcoin oder Gold der Fall ist. Anders als Bargeld oder Bitcoin wird digitales Notenbankgeld nicht anonym sein. «Vollständige Anonymität ist nicht plausibel», heisst es dazu im jüngsten BIZ-Bericht. Man müsse eine Balance finden zwischen Privatsphäre und der Vermeidung illegaler Machenschaften.
«Das Reputationsrisiko einer dezentralisierten nationalen Währung ist einfach zu hoch. Man stelle sich vor, ein hypothetischer Fedcoin würde von einem Drogenkartell zur Geldwäsche oder von einer Terrororganisation zur Waffenbeschaffung verwendet», schreiben die Basler Wirtschaftsprofessoren Fabian Schär und Aleksander Berentsen in ihrem soeben erschienenen Buch «Bitcoin, Blockchain and Cryptoassets».
Schliesslich wird digitales Notenbankgeld auch nicht durch einen diversifizierten Währungskorb gedeckt sein, wie das zum Beispiel beim vom sozialen Netzwerk Facebook angestossenen Libra-Projekt der Fall sein soll.
Grundsätzlich lassen sich zwei Einsatzgebiete für digitales Notenbankgeld unterscheiden: Einerseits könnte nur Geschäftsbanken und anderen Finanzmarktakteuren Zugang zu CBDC gewährt werden. Andererseits könnten auch alle Privathaushalte und Unternehmen Zugang erhalten.
Ist Ersteres keine neue Idee – digitale Sichtguthaben bei der Zentralbank existieren schliesslich schon seit geraumer Zeit –, käme der Übergang zu einer Art Retail-Notenbankgeld einer kleinen Revolution gleich.
Und die Wahrscheinlichkeit einer solchen Revolution steigt, da private Zahlungssysteme immer wichtiger werden – zum einen dank technischer Fortschritte, zum anderen dank des rasch wachsenden Onlinehandels.
Bitcoin, Ethereum, aber auch Alipay, WeChat Pay, M-Pesa und Libra stellen den Ökonomen Davide Oneglia und Steven Blitz vom Londoner Analysehaus TS Lombard zufolge eine zunehmende Gefahr für die Notenbanken dar. Das sei der Hauptgrund für ihr wachsendes Interesse an CBDC.
Zudem preschen die schwedische und die chinesische Zentralbank voran. Gemäss James Pomeroy von HSBC könnten die beiden Institute bereits Ende 2021 mit der Lancierung beginnen. Damit setzen sie ihre Pendants in anderen Ländern unter Zugzwang. Denn wer zuerst ist, kann bis zu einem gewissen Grad die Spielregeln bestimmen.
Treten Notenbanken auf das Parkett, dürfte ihr digitales Geld ohne Gegenparteirisiko auf rege Nachfrage stossen. Im Gegensatz zu Privatbanken müssten sich die Kunden bei den Zentralbanken nämlich nicht vor dem Verlust ihres Ersparten aufgrund von Insolvenz fürchten.
Digitale Währungen sind aber auch als Reaktion auf den rückläufigen Gebrauch von Bargeld in gewissen Ländern zu verstehen. So wollen die Währungshüter den Zugang der Bevölkerung zu Notenbankgeld auch in der Zukunft gewährleisten. Gleichzeitig würde es jedoch auch den Kampf gegen das von vielen Ökonomen ungeliebte Cash vereinfachen.
Weitere Vorteile versprechen sich die Notenbanken gemäss BIZ-Report von einem generellen Effizienzgewinn bei Zahlungen – vor allem über Landesgrenzen hinweg – und einer Stärkung der Widerstandskraft des Finanzsystems dank eines zusätzlichen Zahlungskanals. Auch erhofft man sich, die Wirtschaft besser in Echtzeit überwachen zu können, was die Geldpolitik vereinfachen und zu langfristig höherem Wachstum führen könnte.
Hat jeder Bewohner eines Landes direkt ein Konto bei der Zentralbank, würde dies die Einführung von «Helikoptergeld» massiv vereinfachen. Auf Knopfdruck könnten die Notenbanker jedem Schweizer und jeder Schweizerin unmittelbar Geld überweisen, um damit etwa die Konjunktur oder die Inflation anzukurbeln. Natürlich beschwichtigt die BIZ und weist darauf hin, dass solche Massnahmen die Grenzen zwischen Geld- und Fiskalpolitik verwischen und die Unabhängigkeit der Notenbanken gefährden würde. Ob solche Vorbehalte im Krisenfall Gehör finden werden?
Bill Campbell, Portfolio Manager beim kalifornischen Bondhaus DoubleLine, glaubt nicht daran: «Da die Zentralbanken in den letzten zehn Jahren erfolglos versucht haben, die Inflation zu erhöhen, könnte die Versuchung bei den politischen Entscheidungsträgern sehr gross sein, es mittels digitaler Währung zu probieren.»
Entscheidend ist auch die Frage, ob die Notenbank auf ihrem elektronischen Geld Zinsen bezahlt – wodurch es einem Bankdepot gleichen und zur möglichen Bedrohung von Geschäftsbanken würde. Sie müssten künftig mit höheren Zinsen um Kundeneinlagen buhlen.
Währungshüter hätten so die Möglichkeit, ihre Geldpolitik viel rascher und effektiver umzusetzen, ohne Umweg über das Bankensystem. Ist auch das Bargeld abgeschafft, könnten sie auch tief negative Zinsen durchsetzen. Heute sind solchen Massnahmen Grenzen gesetzt, da Bargeld jederzeit eine (nominale) Mindestrendite von 0% garantiert.
Selbstverständlich beteuern die Notenbanken, sie werden an Cash festhalten: «Alle Zentralbanken verpflichten sich, Bargeld zur Verfügung zu stellen, solange es eine genügend grosse öffentliche Nachfrage gibt», ist im BIZ-Bericht zu lesen. Doch wann ist die Nachfrage genügend gross? «Führt die Zentralbank digitales Geld ein, das genügend Benutzer vom Bargeld abzieht, wäre es nur ein kleiner Schritt, seine Verwendung aus Kosten- und Effizienzgründen zu beenden», schreibt Will Denyer vom Hongkonger Analysehaus Gavekal.
Wenn die Bevölkerung per Knopfdruck ihr Geld von einer Geschäfts- zur Zentralbank verschieben kann, erhöht sich damit potenziell auch die Gefahr eines Bankensturms, was die Finanzstabilität gefährdet. «Eine CBDC könnte einen ‹Digitalen Run› zur Zentralbank beispielloser Geschwindigkeit und Grössenordnung ermöglichen», warnt James Pomeroy von HSBC.
Die Professoren Fabian Schär und Aleksander Berentsen widersprechen jedoch. Die Möglichkeit, dass die Gelder jederzeit abgezogen werden können, werde eine disziplinierende Wirkung auf die Finanzinstitute ausüben. Um ein solches Szenario zu verhindern, müssten die Banken ihr Geschäftsmodell sicherer machen, weniger Risiken eingehen und umfangreichere Reserven halten. Die Finanzstabilität werde dadurch verbessert.
Des weiteren müssen die Notenbanken entscheiden, ob Direktüberweisungen zwischen einzelnen Individuen möglich sein sollen, wie das System bei Stromausfällen funktioniert und wie es gegen Cyberangriffe geschützt werden kann.
Angesichts der vielen Fragen und Unwägbarkeiten erstaunt es nicht, dass sich die SNB zurückhaltend gibt. «Die SNB steht einem breiten Zugang zu digitalem Zentralbankgeld kritisch gegenüber», meinte etwa SNB-Präsident Thomas Jordan in einem Referat vor einem Jahr an der Universität Basel. Insbesondere zwei Aspekte sprechen aus Sicht der SNB für ein vorsichtiges Vorgehen.
Zum einen würde durch einen Systemwechsel zu breitem Zugang zu digitalem Zentralbankgeld das heutige zweistufige Bankensystem infrage gestellt. «Statt wie heute als Bank der Banken zu operieren, träte die SNB als eigentliche Geschäftsbank auf und übernähme eine Rolle, die heute dem Privatsektor zukommt», meinte Jordan.
Auch die Frage nach der Finanzmarktstabilität steht im Raum. «Eine Umschichtung von Bankeinlagen in digitales Zentralbankgeld ist einfacher als in physische Banknoten. Dies könnte im Krisenfall das Risiko eines Bankensturms erhöhen.» Angesichts dieser Worte scheint es wenig wahrscheinlich, dass die SNB in Sachen CBDC zu den Vorreitern gehören wird. Die Schweden und Chinesen werden den Weg weisen.