Analyse

Notiert Bitcoin bald bei 100'000 $?

Die Kryptowährung klettert immer höher. Wohin die Reise geht, ist schwierig zu ermitteln, da sich kein fairer Wert errechnen lässt. Dennoch existieren Anhaltspunkte, die für höhere Kurse sprechen.

Gregor Mast
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Bitcoin weckt Fantasien. Befeuert durch die Lancierung von zwei Bitcoin-ETF in den USA schoss der Kurs der Kryptowährung auf ein Allzeithöchst von fast 67’000 $. Noch vor drei Monaten war Bitcoin weniger als halb so teuer, Ende 2018 kostete er gar nur etwas mehr als 3000 $.

Der Grund für den Höhenflug leuchtet ein. Wie Gold gilt Bitcoin als Schutz gegen die durch die Notenbanken forcierte Geldentwertung. Im Gegensatz zur Geldmenge, die von den Zentralbanken per Knopfdruck vervielfacht werden kann, ist die maximale Anzahl Bitcoin auf 21 Mio. Einheiten beschränkt.

Die Kryptowährung wurde nicht zufällig auf dem Höhepunkt der Finanzkrise lanciert. Am 3. Januar 2009 schürfte der nur unter dem Pseudonym bekannte Satoshi Nakamoto den ersten Block der Bitcoin-Blockchain und erhielt dafür 50 Bitcoin. Die Digitalwährung sollte es nicht nur erlauben, Geld über das Internet zu versenden. Angestrebt wurde vielmehr eine alternative und wertstabile Währung, die sich dem Einfluss der Notenbanken entzieht.

Geldflut hebt alle Boote

Die Idee ging auf. Seit Anfang 2009 hat sich die Geldmenge der wichtigsten Notenbanken (Fed, EZB, Bank of Japan, People's Bank of China) von rund 10 Bio. auf 31 Bio. $ mehr als verdreifacht (vgl. Grafik). Die Geldflut hat fast alle Anlageklassen in die Höhe getrieben. Egal, ob Anleihen, Aktien, Private Equity oder Gold – sie alle notieren heute deutlich höher als damals. Am kräftigsten hat Bitcoin zugelegt, der von 6 Cent im Juli 2010 auf nunmehr 62’000 $ avanciert ist. Er hat damit eines seiner Ziele, die Wahrung der Kaufkraft, bisher mehr als erfüllt.

Quelle: Yardeni Research

Doch wie hoch kann der Bitcoin-Kurs noch klettern? Da Bitcoin wie Gold keinen Cashflow abwirft, ist das Errechnen eines fairen Werts unmöglich. Bitcoin ist also genau so viel wert, wie Anleger dafür zu bezahlen bereit sind.

Dennoch gibt es Anhaltspunkte. «Der Wert allen bisher geförderten Goldes beträgt rund 9 Bio. $», sagt Pascal Hügli von dem auf Kryptoanlagen spezialisierten Analysehaus Insight DeFi. «Sollte die Kapitalisierung von Bitcoin auf dieses Niveau steigen, ist ein Bitcoin rund 480'000 $ wert», rechnet er vor. Die Zahl ergibt sich, indem die 9 Bio. $ durch die Anzahl der bisher geschürften Bitcoin – es sind rund 18,75 Mio. – geteilt wird.

Das Stock-to-Flow-Verhältnis deutet Richtung 100'000 $

Ein weiteres Indiz ergibt sich aus dem Stock-to-Flow-Verhältnis, kurz S2F genannt. Es setzt den Bestand aller bisher geschürften Bitcoin ins Verhältnis zu den jährlich neu geschaffenen Einheiten. Oft wird dabei das «Modell» eines Twitterers mit dem Pseudonym PlanB zitiert. Gemäss seiner Berechnung könnte Bitcoin bis Ende Jahr auf rund 100'000 $ steigen (weisse Linie in der Grafik, die farbigen Punkte stellen den jeweiligen Bitcoin-Kurs dar, mehr dazu weiter unten).

Quelle: PlanB, Twitter

Die Treffsicherheit des Modells sei dahingestellt. Ein wichtiges Element enthält es aber, und das ist der treppenstufenartige Verlauf des «fairen Werts». Er bildet den sogenannten Halving-Zyklus ab. Damit ist die Tatsache gemeint, dass sich die Belohnung für die Bitcoin-Schürfer rund alle vier Jahre halbiert.

Erhielten Teilnehmer wie Satoshi Nakamoto im ersten Zyklus noch 50 Bitcoin pro Block, den sie der Blockchain angefügt haben, sind es heute noch 6,25. In jedem Zyklus halbiert sich also die Menge der neu geschaffenen Bitcoin. Durch diese Verknappung steigt der Wert, was die Stufen im Chart erklärt.

Die Verknappung des Angebots löst Kursschub aus

Seit seiner Lancierung hat Bitcoin zwei vollständige Halving-Zyklen durchlaufen. Im Mai 2020 hat der dritte Zyklus begonnen. Das ist deshalb von Belang, weil der Bitcoin-Kurs in den bisherigen Zyklen stets das gleiche Muster zeigte: In den zwölf bis achtzehn Monaten nach dem Halving stieg er jeweils sprunghaft bis hin zu einer spekulativen Blase, korrigierte danach teils deutlich, pendelte sich aber dennoch auf einem höheren Niveau ein als vor Beginn des Zyklus:

Nach dieser Zeitrechnung steht das Höchst des aktuellen Zyklus demnächst an. Das zeigen auch die farbigen Punkte in der obigen Grafik, die wir hier nochmals aufführen. Je näher das Halving, desto mehr wandelt sich die Farbe der Punkte von Rot zu Blau. Derzeit befindet sich Bitcoin in der gelben Phase. Sie markierte in den bisherigen Halving-Zyklen jeweils das Kurshöchst:

Quelle: PlanB, Twitter

Noch nicht ganz am Ziel ist Bitcoin bezüglich der üblichen Avance. Die bisherigen Halving-Zyklen beendete die Digitalwährung auf einem 15- bis 150-mal höheren Preisniveau als zu Beginn des Zyklus. Den laufenden Zyklus hat sie im Mai 2020 bei 8734 $ gestartet. Sofern sich die Geschichte wiederholt, beträgt das minimale Kursziel per Ende des laufenden Zyklus im Jahr 2024 rund 130'000 $.

Die Warnsignale mehren sich

Höhere Kurse sind also durchaus möglich. Dennoch mehren sich gewisse Warnsignale. So haben sich die offenen Futures-Positionen an der Chicago Mercantile Exchange seit Ende September mehr als verdreifacht (vgl. Grafik), und auch an den Kryptobörsen werden fleissig Derivate eingesetzt. Ein Teil dieses Anstiegs lässt sich durch die Lancierung der beiden ETF erklären, die Bitcoin über Futures abbilden, doch daneben dürfte auch vermehrt gehebelt auf höhere Kurse spekuliert werden – in der Regel ein untrügliches Zeichen für eine um sich greifende Euphorie unter Anlegern, auf die meist ein Dämpfer folgt.

Quelle: Glassnode, Twitter

Für eine Pause spricht auch der sagenhafte Kursanstieg von Shiba Inu, einem sogenannten Memecoin, der noch keine achtzehn Monate alt ist und bereits unter den zehn wertvollsten Kryptowährungen fungiert. Er hat über die letzten zwölf Monate mehr als unvorstellbare 88'000’000% zugelegt. «Auch Anfang Mai war es mit Dogecoin eine Meme-Währung, die kurz vor Halbierung des Bitcoin-Kurses unvorstellbare Höhen erreichte», warnt Hügli von Insight DeFi.

Warum nicht Gold und Bitcoin kombinieren?

Was heisst das alles für Investoren? Eine Strategie könnte sein, die alternativen Anlagen Gold und Bitcoin zu kombinieren, sind sie doch eigentlich miteinander verwandt. Bei beiden ist das Angebot beschränkt, und beide sollten von der explodierenden Geldmenge profitieren. Dennoch bewegen sie sich oft in entgegengesetzte Richtungen. Will heissen: Steigt Gold, sinkt Bitcoin – und umgekehrt.

Dieses Verhalten macht sich der liechtensteinische Vermögensverwalter Incrementum zunutze. Er führt ein Produkt mit einer neutralen Goldquote von 75%. Die restlichen 25% entfallen auf Bitcoin. Sobald der Anteil von Bitcoin unter 10% schrumpft, wird er zulasten von Gold auf die ursprünglichen 25% aufgestockt. Klettert die Bitcoin-Quote über 40%, wird sie auf 25% gestutzt und der Erlös in Gold umgeschichtet. Dieses Vorgehen reduziert die Volatilität von Bitcoin deutlich und erhöht die Performance des Goldanlegers.

Ein solches Produkt respektive eine solche Strategie eignet sich vor allem als Ergänzung zu einem bestehenden Portfolio. Gerade Investoren, die auf der Suche nach wenig korrelierten Vermögenswerten sind, könnten damit gut fahren.