Analyse

UBS ist Credit Suisse weit voraus

Die beiden Schweizer Grossbanken scheinen ihre Geschäftsmodelle einander anzugleichen. Doch ein genauerer Blick zeigt: Credit Suisse wird noch Jahre brauchen, um zu ihrer Konkurrentin aufzuschliessen.

Ruedi Keller
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Was für ein Unterschied: Die Aktie der UBS hat im bisherigen Jahresverlauf eine Gesamtrendite von 33% gezeigt, während Credit Suisse fast 22% eingebüsst haben.

Europaweit gehören Finanzwerte dieses Jahr mit einem Plus von im Schnitt 22% insgesamt zu den Gewinnern. Doch UBS hat noch besser abgeschnitten als der Stoxx Europe 600 Banks, und sie hat auch den SMI geschlagen. Die Aktie der Credit Suisse indes steht aktuell ganz am Schluss des Schweizer Leitbarometers.

UBS hat aus der Stagnation gefunden und wird derzeit von Quartal zu Quartal stärker: Den Ertrag hat sie seit Anfang 2019 über elf Quartale fast ununterbrochen gesteigert – von gut 7,2 Mrd. $ auf zuletzt mehr als 9,1 Mrd. $. Klar langsamer hat sich derweil der Kostenblock entwickelt, von 5,7 auf 6,3 Mrd. $.

Der operative Hebel ist dadurch immer grösser geworden, und der den Aktionären zurechenbare Überschuss hat angezogen – von einem Gewinn von 1,1 Mrd. $ im ersten Quartal 2019 auf mehr als das Doppelte in der jüngsten Periode. Der den Aktionären für das laufende Jahr zurechenbare Überschuss steht nach neun Monaten bereits bei 6,1 Mrd. $.

Das Geschäft brummt derzeit zwar auch bei Credit Suisse: Bereinigt um Faktoren, die die Bank als ausserordentlich taxiert, steht ihr Vorsteuergewinn nach neun Monaten bei 6,3 Mrd. Fr. und damit gar leicht höher als bei UBS.

Die Realität jedoch ist, dass Credit Suisse dieses Jahr über Pleiten mit Archegos zu Pannen mit Greensill bis zu Milliardenzahlungen wegen Mosambik strauchelt.

Faktisch steht der Gewinn der Bank nach neun Monaten bei lediglich 435 Mio. Fr. Da sie für das vierte Quartal bereits eine Wertberichtigung auf dem Goodwill der 2000 erworbenen US-Investmentbank Donaldson, Lufkin & Jenrette im Umfang von 1,6 Mrd. Fr. angekündigt hat, ist zudem bereits jetzt klar: Das Jahr 2021 wird für Credit Suisse in einem Verlust enden.

Dieser Weg von der Hoffnung zur Realität spiegelt sich deutlich in den Gewinnrevisionen der Analysten. Während sie die Schätzungen für Credit Suisse im Jahresverlauf drastisch nach unten korrigiert haben, sind die Erwartungen an UBS stetig gestiegen.

Neues Personal in beiden Banken

Während UBS auf der Erfolgswelle reitet, führt sie derzeit eine geordnete Stabübergabe durch: Vor gut einem Jahr hat der Niederländer Ralph Hamers den CEO-Posten von Sergio Ermotti übernommen. Auf die nächste Generalversammlung wird zudem Axel Weber an den Iren Colm Kelleher übergeben, und auch die Ablösung von Finanzchef Kirt Gardner durch Sarah Youngwood steht für nächsten Frühling bereits fest.

Auch für strategische Entscheide nimmt sich die Bank Zeit. Hamers will erst bei der Jahrespräsentation im Februar 2022 neue Ziele formulieren. Grössere strategische Weichenstellungen werden gar nicht erwartet. Sie drängen sich nämlich nicht auf.

Überstürzt muss demgegenüber Credit Suisse handeln: Thomas Gottstein hat dort im Februar 2020 als CEO übernommen, nachdem Tidjane Thiam nach einer Beschattungsaffäre gehen musste. Präsident António Horta-Osório ist als Nachfolger von Urs Rohner erst seit diesem Frühling im Amt. Angesichts der Misere, in der sich die Bank derzeit befindet, war er aber bereits so stark unter Druck, dass Credit Suisse Anfang November und mit nur drei Tagen Vorlauf zu einem Investorentag lud.

Das liess erwarten, dass endlich die grosse Ankündigung zur strategischen Neuausrichtung der Bank bevorstehen würde. Sie war im Markt lange ersehnt worden. Das tatsächlich Mitgeteilte hat sich dann jedoch weitgehend als organisatorische Kosmetik entpuppt.

Kosmetische Richtungskorrektur

Die auffallendste Verschiebung ist, dass die Investmentbank bis 2022 mehr als 3 Mrd. $ Eigenkapital freigeben soll. Es soll dem Wealth Management, in das die weltweiten Vermögensverwaltungsgeschäfte der Bank künftig reintegriert werden sollen, Wachstum ermöglichen.

Das Ziel ist, die Kapitaleffizienz der Bank zu erhöhen. Denn im Wealth Management strebt Credit Suisse eine Rendite auf dem regulatorischen Kapital von 18% an. Im Investment Banking sind es 12%.

Dem kapitaleffizienteren Wealth Management sollen deshalb künftig doppelt so viele Eigenmittel zur Verfügung stehen wie der Investmentbank. Das ähnelt der UBS, die bereits seit Jahren ihre Kapitalzuteilung an die Investmentbank auf ein Drittel beschränkt.

Mit der Kapitalverschiebung zugunsten der Vermögensverwaltung gleicht sich Credit Suisse aber nur scheinbar UBS an. Denn wie kapitaleffizient die beiden Banken arbeiten, hängt nicht nur an der Zuteilung der Mittel, sondern auch daran, wie die Divisionen sie einsetzen.

Kapitalintensive Credit Suisse

«Credit Suisse setzt mit ihrer Investmentbank stark auf eher illiquide und kapitalintensive Bereiche», sagt Vontobel-Analyst Andreas Venditti. Dazu zählt er Kredite, die beispielsweise an Private-Equity-Häuser zur Finanzierung von Übernahmen vergeben werden, sowie das Verbriefungsgeschäft, für das zumindest temporär Forderungen auf die eigene Bilanz genommen werden müssen.

«UBS fokussiert auf risikoärmere Bereiche wie den Aktien- und den Devisenhandel, bei denen sie kaum eigene Positionen nehmen muss», sagt Venditti: «Im Vergleich zu Credit Suisse geht UBS in ihrer Investmentbank zwar Ertrags-, aber viel kleinere Bilanzrisiken ein.»

Ähnlich verhält es sich in der Vermögensverwaltung: Die 3 Mrd. Fr. Eigenkapital, die ihr Credit Suisse neu zur Verfügung stellen will, sollen dort insbesondere die Kreditvergabe beschleunigen. Auch hier fährt Credit Suisse tendenziell höhere Risiken als UBS im Beratungsgeschäft, profitiert dafür aber von einer gegenüber UBS höheren Gewinnmarge.

Den höheren Risiken, die Credit Suisse eingeht, muss sie allerdings Rechnung tragen, indem sie diese Geschäfte mit mehr Eigenkapital unterlegt.

Gemessen am Ertrag im Verhältnis zu den risikogewichteten Aktiven arbeitet die Vermögensverwaltung der UBS denn auch fast doppelt so kapitaleffizient wie die der Credit Suisse. (In der Grafik dargestellt am Global Wealth Management der UBS und am International Wealth Management der Credit Suisse.)

Angesicht der schieren Grösse des Global Wealth Management von UBS, das als weltgrösste Vermögensverwaltungsbank rund 3200 Mrd. $ Kundengelder verwaltet – bei Credit Suisse sind es global rund 900 Mrd. Fr. –, ist UBS damit auch über den Gesamtkonzern gesehen kapitaleffizienter aufgestellt als Credit Suisse.

Einzig in der Investmentbank liegt Credit Suisse vor UBS – zumindest beim Blick auf das Ertragspotenzial im Verhältnis zum Kapitaleinsatz.

Was die Darstellung aber nicht erfasst, ist, was passiert, wenn sich das höhere Risiko, das Credit Suisse fährt und das ihre Ertragslage stützt, statt des erhofften Gewinns Verlust bringt: Die Rendite auf dem Eigenkapital sinkt ins Bodenlose.

Bei Credit Suisse haben Verluste wegen Archegos sowie Bussenzahlungen den Gewinn dieses Jahr bereits weitgehend weggefressen und die Rendite im bisherigen Jahresverlauf auf 1,5% gedrückt.

Bei UBS steigt die Rendite auf dem materiellen Eigenkapital (RoTE) hingegen seit zwei Jahren deutlich. Für die ersten neun Monate des Jahres steht sie bei 13,8%.

Der neue Plan von Präsident Horta-Osório und CEO Gottstein sieht zwar vor, bis 2024 die Rendite auf dem materiellen Eigenkapital auf 10% zu steigern. Doch das dürfte ein zäher Weg werden. Da alle geplanten Kosteneinsparungen an anderen Orten neu investiert werden sollen, lässt sich das Ziel nur über Ertragswachstum erreichen.

Analyst Venditti hegt allerdings die Befürchtung, dass der extreme Kostenfokus in den Jahren von Tidjane Thiam auch zulasten von Investitionen in die Zukunft ging: «Credit Suisse hat bei Wachstumsprojekten Aufholbedarf», sagt er und erwartet, dass der Investitionsbedarf nun steigen werde. Derweil investiert UBS seit längerem jeweils rund 10% des Ertrags in Informatiksysteme und hat diverse neue IT-Plattformen bereits einsatzbereit.

Ungleiches Ausschüttungspotenzial

Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Gewinnkraft, sondern auch Konsequenzen für das Ausschüttungspotenzial: UBS verfügt über rund 6 Mrd. $ Überschusskapital und plant, dieses Jahr für rund 2,6 Mrd. $ eigene Aktien zurückzukaufen. Künftig könnte der Betrag auf jährlich gar 3 Mrd. $ steigen, was rund 5% der Marktkapitalisierung der UBS entspricht. Zusammen mit einer Dividendenrendite von gut 2% ergibt das eine Rendite von 7% oder eine Ausschüttungsquote von rund 50% des erwarteten Gewinns.

Credit Suisse hat ihre Ausschüttungsquote am Kapitalmarkttag hingegen auf 25% des Gewinns eingeschränkt. Das passt gemäss den Analysten von Citi nicht ins Bild der Wachstums- und Kapitalziele, die sie gleichzeitig in Aussicht gestellt hat. Sie vermuten deshalb, Credit Suisse müsse zusätzliche Puffer für Rechtsfälle aufbauen, und rechnen dafür rund 4 Mrd. Fr. ein, was einem Drittel des kumulierten Gewinns entspricht, den die Analysten im Schnitt bis 2024 von Credit Suisse erwarteten.

Einordnung der Bewertung

UBS handelt derzeit zu einem Kurs-Gewinn-Verhältnis 2022 von knapp 9. Trotz der bereits kräftigen Kursavancen in diesem Jahr liegt das angesichts der guten Gewinnentwicklung allerdings noch immer unter dem Schnitt der letzten fünf Jahre:

Credit Suisse handelt mit einem KGV von 7 zwar unter der Bewertung von UBS und weist zudem einen höheren Abschlag gegenüber ihrem langjährigen Bewertungsschnitt aus.

Bei Credit Suisse scheinen die Risiken jedoch so hoch zu sein, dass ihre Chancen, die derzeit vorliegenden Analystenschätzungen tatsächlich zu erreichen, ein Vielfaches kleiner sind als bei UBS. Denn Analysten rechnen Rechtsfälle normalerweise erst ein, nachdem sie eingetroffen sind.

Dieses Bild zeichnet auch die Bewertung der Aktien in Relation zu ihrem Buchwert: Die Titel der Credit Suisse handeln derzeit zur Hälfte des Buchwerts. Das spiegelt die Erwartung der Investoren, dass die Bank noch über Jahre Aktionärswert vernichten wird.

Selbst wenn das Management das Ziel erreichen sollte, bis 2024 eine Rendite auf dem materiellen Eigenkapital von 10% zu erwirtschaften, dürfte das angesichts der Risiken, die die Bank noch immer fährt, nicht genügen, um eine Aufwertung auf Buchwert zu erwirken.

Ganz anders präsentiert sich das Bild bei UBS: Ihre Aktien handeln wieder knapp über Buchwert. Das drückt aus, dass bei ihr die Rentabilitätsperspektiven im Verhältnis zu den Risiken ihres Geschäftsmodells intakt und wertschaffend eingeschätzt werden.

Wer nicht nur auf das Gewinnpotenzial schielt, sondern auch darauf blickt, mit welchen Risiken es behaftet ist, dürfte mit den Valoren von UBS besser bedient sein – trotz ihrer höheren Bewertung: Sie versprechen erstens eine deutlich stabilere Investitionsmöglichkeit als die Titel der Credit Suisse. Zweitens bietet UBS einiges attraktivere Kapitalrückführungsmassnahmen als ihre gebeutelte Konkurrentin.

Auch wenn sich UBS nächste Woche dem Urteil in einem milliardenschweren Berufungsverfahren in Frankreich stellen muss, bei dem sie wegen rechtswidriger Anwerbung von Kunden sowie Geldwäscherei angeklagt ist: Credit Suisse steht noch ein langer Weg bevor, bis sie punkto Stabilität und Ausschüttungen an UBS wird anknüpfen können.