Mit VAT, Comet und Inficon hat die Schweiz drei bestens positionierte Halbleiterzulieferer. Die kommende Flaute dürfte in den Aktienkursen bereits zu grossen Teilen eingepreist sein.
Aktien von Unternehmen, die in zyklischen Branchen tätig sind, verlangen Anlegerinnen und Anlegern einiges ab. Mit ihrem periodischen Auf und Ab verleiten sie unbeholfene Investoren regelrecht dazu, bei Höchstpreisen zuzugreifen, dann bei Tiefstkursen die Nerven zu verlieren und die Titel auf den Markt zu werfen.
Wenn bei zyklischen Valoren ein starkes Nervenkostüm vonnöten ist, braucht es bei solchen aus dem Halbleitermarkt geradezu eine Rüstung – am besten aus Stahl. Denn Unternehmen, die entlang der langen Wertschöpfungskette der Chipfertigung agieren, sind dem sogenannten Schweinezyklus ausgesetzt. Dieser Begriff beschreibt das Problem der verzögerten Anpassung des Angebots.
Weil der Aufbau von neuen Produktionskapazitäten gewaltige Kosten mit sich bringt, werden Investitionen erst dann vorgenommen, wenn das Angebot knapp ist und die Preise für Chips heiss laufen. Das Problem: Sobald die neuen Produktionsstätten fertiggestellt werden, hat sich der Markt in der Regel wieder abgekühlt, und es herrscht ein Überangebot. Die Folge ist ein drastischer Preissturz.
Fast alles spricht dafür, dass wir derzeit genau an diesem heiklen Punkt sind: Der Markt steht unmittelbar vor einer Abkühlung, während die Investitionen weiter auf Hochtouren laufen. Nachdem Umsatz und Gewinn der Halbleiterunternehmen 2021 rasant gestiegen sind, dürfte sich das Wachstum im laufenden Jahr deutlich abschwächen. Experten des US-Researchhauses Gartner rechnen für das nächste Jahr erstmals wieder mit einem Umsatzrückgang (vgl. Tabelle).
Was aus Anlegersicht auf den ersten Blick wenig verlockend erscheinen mag, könnte sich allerdings als valide Einstiegschance entpuppen. «Wenn wir die Historie bemühen, sehen wir, dass im letzten Zyklus die Tiefstkurse 2018 erreicht wurden, die Geschäftszahlen aber erst 2019 schlechter wurden», sagt Michael Inauen, Analyst beim Investmenthaus Stifel. Allein die Aussicht auf einen Abschwung im Zyklus drückt also die Aktienkurse. «Wenn der Abschwung dann eintritt, handelt es sich praktisch nur noch um eine Vollzugsmeldung.»
Tatsächlich lässt sich dieses Muster anhand der Schweizer Chipzulieferer VAT, Comet und Inficon nachvollziehen. Ende 2018, als der weltweite Umsatz in der Halbleiterbranche laut Gartner seinen vorläufigen Peak erreicht hatte, notierten die Papiere auf ihren jeweiligen Tiefst – die Kurse hatten sich seit 2017 halbiert. Als die Flaute 2019 dann schliesslich eintrat, fingen die Kurse wieder an zu steigen – die Rally dauerte bis zum Coronaschock im Frühjahr 2020 an.
In dem Chart ist gut ersichtlich, dass die Aktien in diesem Herbst erneut einen vorläufigen Tiefpunkt markiert haben. Bis Oktober haben die Schweizer Chipzulieferer gegenüber ihren Höchst Ende letzten Jahres zwischen 50 und 57% an Wert eingebüsst – just zu dem Zeitpunkt, als sich die Wirtschaft erneut mit grossen Schritten einem Abschwung nähert. Die Kursavancen der letzten Wochen dürften jedoch auch mit dem allgemein freundlicheren Börsenumfeld zusammenhängen.
Wichtig für eine Aufhellung der Stimmung im Halbleiterbereich ist zudem die Visibilität, die sich zuletzt verbessert hat. «Als im Sommer erstmals von sinkenden Investitionsausgaben die Rede war, hat sich noch niemand aus der Reserve getraut», sagt Inauen. Doch als schliesslich Chiphersteller wie Micron oder SK Hynix sowie Anlagenbauer wie LAM Research, Applied Materials oder KLA erstmals die Kürzung von Investitionsausgaben öffentlich ausgesprochen hätten, habe sich das geändert.
Wenn man die Historie bemüht, scheint ein Einstieg bei VAT, Comet und Inficon derzeit also durchaus attraktiv. Zwar wiederholt sich die Geschichte nicht, doch bekanntlich reimt sie sich oft. Gründe, an einen erneuten Reim zu glauben, gibt es allerhand.
Die Chipbranche profitiert langfristig von einem simplen Fakt: Wir alle wollen immer schnellere Geräte und immer schnellere Systeme. Dies hat zur Folge, dass Hersteller von Geräten und Systemen Chips mit immer höherer Transistordichte verlangen, um eine bessere Leistung zu erzielen.
Im Laufe der Zeit wurden die Mikroprozessoren mit immer mehr Transistoren ausgestattet. Dadurch wurde eine immer grössere Anzahl Berechnungen in kürzerer Zeit möglich. Dabei gilt: Je kleiner die Transistoren, desto intelligenter, schneller und effizienter werden die Rechengeräte. Doch mit dem technologischen Fortschritt wird es immer schwieriger, Transistoren zu verkleinern. Dies macht neue Designs von Transistoren nötig.
Davon dürften auch und vor allem die Chipzulieferer profitieren. Wie Analysten der Bank Berenberg schreiben, ist der Investitionsaufwand für die Einführung von neuen Chipspitzentechnologien mit jeder neuen Generation gestiegen – teilweise bis zu 60%. Die Analysten glauben, dass sich die Investitionsaufwendungen für die kommenden 2-Nanometer-Chips gegenüber der 5-Nanometer-Technologie fast verdoppeln werden.
Von den steigenden Investitionen im Bereich der anspruchsvollsten Chips mit einer Grösse von weniger als zehn Nanometern werden vor allem die Schweizer Halbleiterzulieferer profitieren, glaubt auch Moritz Baumann, Leiter Research beim Vermögensverwalter Albin Kistler. «Sie profitieren von ihrem Fokus auf die technologisch fortgeschrittensten Verfahren zur Herstellung von Chips.»
Eine gewisse Rolle dabei könne allerdings auch die Auseinandersetzung zwischen den USA und China spielen. «Der Chipkrieg führt dazu, dass bei chinesischen Chipproduzenten derzeit Schweizer Zulieferer tendenziell bevorzugt werden», so Baumann.
Doch die Weiterentwicklung der Halbleiterindustrie wird nicht nur immer kapitalintensiver, auch der zunehmende Reshoring-Trend dürfte langfristig die Kapitalinvestitionen im Chipsegment steigen lassen. Wie The Market erst vor kurzem beschrieben hat, wollen Chiphersteller und Ausrüster ihre Abhängigkeit von China und Ostasien reduzieren und investieren daher kräftig in den USA, Europa und in Japan.
Dass die grossen Chipanlagenbauer ihre Kapazitäten zurückfahren, tangiert grundsätzlich alle drei Schweizer Zulieferer, bietet aber auch Chancen, wenn der Wind wieder nachhaltig drehen sollte. Martin Lehmann, Fondsmanager von 3V Asset Management, sieht sowohl in VAT als auch in Comet und Inficon bestens positionierte Zulieferer, die in ihren jeweiligen Nischen technologisch führend seien.
Auch wenn alle drei Unternehmen für 2023 von einem vorübergehenden Abschwung ausgehen, hält Lehmann die Korrektur der Aktien in diesem Jahr für überzogen und sieht die schlechte Performance auch in dem allgemein schlechten Marktumfeld begründet. «Die Kunden haben gegenüber Comet zum Ausdruck gebracht, dass sie für einen starken Ramp-up bereit sind», sagt er. Auch er glaubt, dass der Wiederanstieg der Investitionen nach einer Schwächephase steil sein werde.
«VAT ist qualitativ sicher die Nummer eins, doch vor allem Comet hat vielversprechende Aussichten.» Lehmann setzt vor allem auf die im Sommer neu lancierte RF-Stromgenerator-Produktfamilie Synertia, in der er «extremes Potenzial» sieht. Dabei handelt es sich um einen neuen Hochfrequenzgenerator, der die Steuerung von Plasmaprozessen in Echtzeit und damit Anwendungen mit einer grösseren Komplexität ermöglicht.
Comet erschliesst hier einen Markt, der bis 2025 ein Volumen von 1,7 Mrd. Fr. erreichen soll, wie sie am kürzlich abgehaltenen Investorentag betonte. Sie dürfte damit ihren Zielmarkt in der Halbleiterindustrie beträchtlich vergrössern. Erste nennenswerte Umsatzbeiträge werden für nächstes Jahr, ein signifikanter Umsatz ab 2024 erwartet.
Positiv ist: Das Unternehmen hat am Investorentag seine finanziellen Zielsetzungen für 2025 bekräftigt. Der Umsatz soll auf mehr als 830 Mio. Fr. steigen (2021: 514 Mio.) und die Ebitda-Marge 25% erreichen (2022e: 21%). Dass Comet dazu in der Lage ist, haben die letzten Jahre gezeigt. Die Marge ist seit 2019 stetig gestiegen – von 10,8 bis auf 20% im vergangenen Jahr.
Auch wenn Comet ihren Anteil am Halbleitergeschäft auf mittlerweile 75% ausgebaut hat, kommt VAT einem Pure Player noch immer am nächsten. Mit seinen Vakuumventilen ist das Unternehmen nach wie vor unumstrittener Marktführer in seinem Segment. Der Pure-Player-Status könnte den Valoren bei einer Fortsetzung der Erholung besonderen Schub verleihen. Allerdings ist VAT mit einem vorausschauenden Kurs-Gewinn-Verhältnis von über 30 unter den drei Halbleitertiteln weiterhin am höchsten bewertet (vgl. Grafik unten).
Die Rentabilität wird im laufenden Jahr mit einer Ebitda-Marge von 35% einen neuen Rekord erreichen. Für das nächste Jahr wird ein leichter Umsatzrückgang auf 1,08 Mrd. $ (2022e: 1,15 Mrd.) erwartet, was allerdings bereits eingepreist sein dürfte. Der hohe Anteil am Servicegeschäft könnte sich für das Unternehmen bei einer vorübergehenden Flaute als Stütze erweisen.
Inficon erwirtschaftet lediglich die Hälfte ihres Umsatzes (2021: 515,8 Mio. $) in der Chipindustrie. Der Mess- und Sensorentechniker beliefert mit den Bereichen Kälte-, Klimatisierungs- und Automobilanwendungen auch andere Endmärkte mit seinen Komponenten.
In schlechten Zeiten kann diese Diversifizierung zur Stabilität beitragen. Dazu passt, dass Inficon laut Inauen im Vergleich zu VAT und Comet im Halbleitergeschäft auch ein geringeres Exposure zum Memory-Bereich aufweist, der sich im nächsten Jahr besonders abschwächen dürfte. Allerdings grenzt sich gleichzeitig die Wachstumsfantasie in guten Zeiten etwas ein.
Die Ebitda-Marge liegt mit 20,8% (2022e: 21,7%) etwa auf dem Niveau von Comet, hatte im dritten Quartal allerdings die Markterwartungen leicht verfehlt. Trotzdem hält das Unternehmen an seinen Margenzielen fest. Vor allem das Anlaufen des profitablen Vertrags mit dem US-Verteidigungsministerium – Inficon liefert Systeme zur Identifikation von Giftgasen – soll die Margenziele sichern.
Bei allen drei Chipaktien, wie bei vielen anderen Tech-Titeln, hat sich die Bewertung stark reduziert. Bis vor vier Wochen notierten sowohl das jeweilige vorausschauende Kurs-Gewinn-Verhältnis als auch der Unternehmenswert zum Ebitda (EV/Ebitda) auf dem Stand von Ende 2018 – als die Vielfachen ihren letzten Tiefpunkt erreichten und die Titel anschliessend anzogen.
Mit der Kurserholung der vergangenen Wochen scheint der perfekte Einstiegspunkt zunächst verpasst. Dass eine allfällige Verschärfung der Rezessionssorgen, eine weitere Aufschiebung der Lockerung der Geldpolitik oder die US-Sanktionen gegen China einen erneuten Rücksetzer auf die Tiefst von vor einem Monat auslösen, ist möglich, aber alles andere als sicher. Anlegerinnen und Anleger sollten daher nicht zu lange warten mit dem Einstieg.