VAT Group, Comet und Inficon schreiben dank dem ausserordentlich starken Halbleiterzyklus Rekordzahlen. Trotzdem haben ihre Aktien in wenigen Wochen rund ein Drittel ihrer Marktkapitalisierung eingebüsst. Fundamental scheint das übertrieben zu sein. Wie sind die drei unterwegs?
Im Halbleitergeschäft sind sogenannte Schweinezyklen gang und gäbe. Weil die kostspieligen Fertigungskapazitäten für die Herstellung von Computerchips jeweils nicht schnell genug auf die stark steigende Nachfrage ausgedehnt werden können, beginnt der Bau neuer Halbleiterfabriken erst dann, wenn eine Angebotsverknappung herrscht und die Preise durch die Decke gehen.
In einer solchen Situation befindet sich die Halbleiterbranche seit einigen Jahren. Der rasant steigende Bedarf nach Chips für Smartphones, Computer, Automobile, Datenzentren und intelligente Gebäude überforderte die vorhandenen Fertigungskapazitäten. In der Folge stiegen die Preise. Mit Blick auf eine bevorstehende Angebotsverknappung deckten sich die Abnehmer zudem im Voraus mit Halbleitern ein. Als es dann im Zug der Pandemie noch zu Lieferengpässen kam, schossen die Preise erst recht in die Höhe.
Für grosse Halbleiterhersteller wie Intel, TSMC und Samsung Electronics lohnt es sich also, neue Fabriken zu errichten. Auch die Regierungen lassen sich nicht lumpen: Um in diesem systemkritischen Bereich künftig weniger von ausländischen Herstellern abhängig zu sein, sprechen sie für ihre lokalen Hersteller milliardenschwere Investitionsbudgets.
Von diesem Investitionsboom profitieren zum einen grosse Firmen wie Applied Materials, ASML, KLA und Lam Research, die die Werkzeuge sowie die Ausrüstung für die Halbleiterherstellung liefern. Ging man Ende 2020 noch davon aus, dass sie mit Aufträgen im Wert von insgesamt 64 Mrd. $ für 2021 rechnen können, dürften es tatsächlich gegen 90 Mrd. $ gewesen sein.
Und der Boom setzt sich offenbar fort: Marktexperten wie VSLIresearch gehen davon aus, dass die Ausrüster bis 2025 doppelt so viel einnehmen werden. Das durchschnittliche Wachstum wird nun bei 12% p.a. gesehen. Für das Jahr 2025 können die Ausrüster mit Aufträgen von 115 Mrd. $ rechnen, rund 40% mehr, als noch vor einem Jahr prognostiziert worden ist.
Die fortschreitende Miniaturisierung der Chips macht die Herstellung komplexer und aufwendiger – ein Segen für die Ausrüster und ihre Lieferanten. Auf die seit drei Jahren angewendeten weniger als 7 Nanometer messenden Strukturgrössen wird voraussichtlich im Jahr 2025 die Hälfte aller Investitionen entfallen. Im vergangenen Jahr war es ein Viertel. Und die nächste Technologiegeneration mit Knotengrösse 5 Nanometer kommt bereits zum Einsatz. TSMC erwirtschaftete 2021 mit diesen beiden Knotengrössen bereits die Hälfte des Umsatzes. Nicht nur das Volumenwachstum, sondern auch der technologische Fortschritt beflügeln also das Geschäft der Chipausrüster.
Doch auch die Ausrüster machen nicht alles selbst. Sie arbeiten mit spezialisierten Zulieferern zusammen, die die neusten Techniken beherrschen. Der Bau neuer Halbleiterfabriken, die mit immer komplexeren Produktionsmaschinen ausgerüstet werden, ist deshalb auch der Wachstumsmotor für Gesellschaften wie VAT Group, Comet und Inficon. Sie sind die Unterlieferanten der Unternehmen, die die neuen Halbleiterfabriken ausrüsten.
Das Schweizer Trio erfreut sich derzeit eines rasanten Wachstums und einer guten Rentabilität wie selten zuvor. 2021 war das Jahr der Rekorde. Gegenüber dem Vorjahr haben die drei Unternehmen den Umsatz jeweils um rund 30% gesteigert, sie haben die Betriebsgewinnmargen deutlich verbessert, und sie können es sich leisten, eine höhere Dividende auszuschütten. Und auch für das laufende Jahr ist keine Abschwächung in Sicht, alle drei gehen von weiteren Verbesserungen aus.
So unterschiedlich ihre Produkte sein mögen, eines haben diese Gesellschaften gemeinsam: Alle werden von nicht mehr ganz jungen Managern geführt. VAT-Chef Mike Allison (58) ist der jüngste. Lukas Winkler (59) steht schon seit 2004 an der Spitze von Inficon. Kevin Crofton (60) leitet den Vakuumkondensatorenhersteller Comet erst seit Herbst 2020, hat aber Jahrzehnte in der internationalen Halbleiterindustrie verbracht. Alle verfügen über langjährige Erfahrung in der Branche, haben also schon einige der heftigen Zyklen durchgemacht, für die der Chipsektor bekannt ist. Sturmerprobte Manager an der Spitze zu haben, ist in diesem Geschäft ein Trumpf.
Je länger der Kapazitätsaufbau dauert, desto grösser wird indes auch die Gefahr, dass (wie immer) Überkapazitäten aufgebaut werden. Wie lange sich der derzeitige Zyklus noch fortsetzt, weiss niemand. Diese Unsicherheit spiegelt sich in den sich rasch verändernden Prognosen der Marktexperten. Entsprechend hilfreich ist es, auch auf das Bauchgefühl der Praktiker zu hören. So verneinte VAT-Chef Allison, dass sich bereits zu viele Fertigungskapazitäten im Bau befänden, als er vergangene Woche das Jahresergebnis 2021 präsentierte.
Auch Lukas Winkler von Inficon sieht ein baldiges Ende nicht kommen, obwohl er sich bewusst sei, dass es irgendwann wieder zu einem Abschwung kommen werde. «Jedoch nicht vor 2024 oder 2025», sagte er. Zudem würden solche Abschwünge nie länger als zwölf Monate dauern, beschwichtigte er während der Bilanzmedienkonferenz allfällige Befürchtungen, dass eine Abkühlung alle bisherigen Fortschritte zunichtemachen könnte. Besonders zuversichtlich ist Comet-Chef Crofton. Er spricht schon seit einiger Zeit von einem «Superzyklus». Nur wird er heute nicht mehr belächelt.
Doch wie schwierig die Investoren selbst mit rekordhohen Zahlen und zuversichtlichen Prognosen derzeit zu begeistern sind, zeigt die Marktreaktion auf die Jahresabschlüsse, die vergangene Woche publiziert worden sind: Alle drei Valoren haben seither weiter an Terrain eingebüsst. Ein Teil davon dürfte angesichts der überdurchschnittlichen Kurssteigerung der vergangenen Monate und Jahre Gewinnmitnahmen zuzuschreiben sein. Gegenüber den vor wenigen Wochen markierten Höchstwerten haben die Aktien von Inficon 29%, Comet 35% und VAT Group sogar 41% eingebüsst. Zudem sind im derzeitigen Umfeld hoch bewertete Wachstumspapiere generell weniger gefragt. Anleger, die ihr Marktrisiko reduzieren wollen, spülen diese Titel zuerst aus dem Portefeuille.
Für Investoren, die den Einstieg verpasst haben und eine mehrjährige Anlage eingehen können, eröffnet die Korrektur eine Einstiegschance. Innerhalb einer Woche hat sich das Kurs-Gewinn-Verhältnis von VAT auf 32 (zuvor 44), von Comet auf 34 (45) und von Inficon auf 27 (37) verringert.
Trotz allem eignen sich diese Valoren eher weniger für eine Buy-and-Hold-Strategie, obwohl die derzeitigen Führungscrews das Vertrauen der Investoren verdienen. Doch für Kaufen und Liegenlassen sind die zugrundeliegenden strukturellen Trends den meisten Investoren wohl zu unstet. Mit starken Kursschwankungen muss gerechnet werden.
Vergleichsweise am stärksten von der Halbleiterindustrie abhängig ist die im St. Galler Rheintal domizilierte VAT Group. Vor sechs Jahren erwirtschaftete sie erst 54% des Umsatzes mit Kunden aus der Halbleiterbranche, im vergangenen Jahr waren es schon 75% – Tendenz steigend. Mit seinen Vakuumventilen ist das Unternehmen der unumstrittene Marktführer. Laut VAT ist der globale Marktanteil in diesem Geschäft im vergangenen Jahr von 55 auf 58% gestiegen (2015: 39%). Bei den in der Halbleiterindustrie verwendeten Ventilen kommen sogar zwei von drei von dieser Firma.
2021 war in allen Belangen ein Rekordjahr für das Unternehmen, sowohl Umsatz, Auftragseingang (+70%) wie auch Betriebsgewinn erreichten Bestmarken. Ende 2021 standen mit 462 Mio. Fr. mehr als dreimal so viele Aufträge im Orderbuch wie vor einem Jahr. Nach Einschätzung des Managements sind davon jedoch etwa 100 Mio. Fr. Vorbestellungen, d.h. Aufträge, die mit Blick auf steigende Preise vorzeitig platziert worden sind.
Halbleiterzulieferer sind sich gewohnt, dass sich das Bestellvolumen ihrer Kunden rasch und heftig ändert. Gewisse Investitionsvorhaben sind ins zweite Semester verschoben worden. Das sei der Grund, weshalb VAT den für das Startquartal 2022 vorausgesagten Umsatz um rund 10% verfehlen werde. Danach könne jedoch wieder mit einem kontinuierlich steigenden Umsatz gerechnet werden, wird beschwichtigt.
VAT profitiert davon, dass neue Produktionsplattformen, mit denen mehr Transistoren auf einen Halbleiter gepackt werden können, nicht nur eine reinere Vakuumumgebung erfordern, sondern auch mehr Prozessschritte mit sich bringen, die unter Vakuum durchgeführt werden müssen. Um mit der sportlichen Nachfrage Schritt zu halten, investiert VAT in neue Kapazitäten. Für dieses Jahr sind Investitionen von 65 bis 70 Mio. Fr. budgetiert, die vor allem am Hauptsitz in Haag (SG) und in Penang (Malaysia) ausgegeben werden. Das zweijährige Investitionsbudget an diesen Standorten beträgt 160 Mio. Fr.
Je mehr Geld in die Ausrüstung von Chipfabriken fliesst, desto stärker steigen die Einnahmen der Zulieferer. Das veranlasst das VAT-Management dazu, die Mittelfristprognose nach oben anzupassen. Für 2025 peilt das Unternehmen nun einen Umsatz von 1,5 Mrd. Fr. (bisher 1,1 Mrd. Fr.) an. Und das Margenband auf Stufe Ebitda, das bei 30 bis 35% lag, wurde auf 32 bis 37% erhöht. Im vergangenen Jahr hat VAT die Ebitda-Marge um 380 Basispunkte auf 34,2% verbessert.
Der in der Berner Gemeinde Flamatt ansässigen Comet ist es als Einziger gelungen, die Erwartungen des Marktes zu übertreffen. Unter dem neuen Konzernchef ist die Traditionsfirma richtiggehend aufgeblüht. Nach nur zwei Jahren kommt sie den für 2025 angepeilten Mittelfristzielen (Ebitda-Marge 25%, ROCE 30%) bereits sehr nahe. Die Marge hat sich 2021 um 520 Basispunkte auf 20% verbessert, und die Rendite des eingesetzten Kapitals hat sich mit 26,8% (13,6%) fast verdoppelt. Für das laufende Jahr werden ein Umsatzwachstum von rund 15% sowie eine 100 bis 300 Basispunkte höhere Ebitda-Marge in Aussicht gestellt. Bis 2025 will Comet auf einen Umsatz von 800 Mio. Fr. kommen (2021: 514 Mio. Fr.). Der neue Chef lässt jedoch schon seit Amtsantritt durchblicken, dass er in Comet eine 1-Mrd.-Fr.-Firma sieht.
Seit die neue Führungsmannschaft am Ruder ist, steht der asiatische Raum strategisch stärker im Mittelpunkt. Dort sind vermehrt die wichtigen Kunden ansässig. So baut auch Comet in Penang Kapazitäten auf. Ende 2021 sei die neue Fabrik, die künftig die Volumenmärkte bedienen soll, zu rund 20% fertiggestellt gewesen. Ende 2022 sollen es bereits 60% sein. Auch in Taiwan und Südkorea ist Comet mittlerweile präsent. 2021 kamen 41% der Gruppeneinnahmen aus Asien. Dieses Jahr dürften die Investitionsausgaben gegen 30 Mio. Fr. betragen oder fast dreimal so viel wie 2021.
Ein Hoffnungsträger ist Comets neuer Hochfrequenzgenerator (Synertia), der bei den Plasmaprozessen eingesetzt wird. Im Januar sei der erste RF-Generator verkauft worden, hiess es. Er eröffnet Comet einen potenziellen Markt mit einem Volumen von rund 1,2 Mrd. Fr. bis 2025. Croftons Ziel ist es, dann mindestens die Nummer drei in diesem Geschäft zu sein und 10% des Marktes abzudecken. Der neue RF-Generator befinde sich bei fünf Beta-Kunden im Einsatz. Bis sich das Produkt für Comet auszahlt, dauert es indes noch. Die Chipfabrikanten müssen den Generator als Teil ihres Herstellungsprozesses zertifizieren lassen.
Um 50% effizienter sei das Unternehmen im vergangenen Jahr geworden, stellt Crofton fest. Trotzdem hat er weiteres Verbesserungspotenzial identifiziert. Denn noch sei die Gesellschaft nicht Weltklasse, sagte er anlässlich des Jahresabschlusses. Die Gewinnmargen ausländischer Chipausrüster sind deutlich besser. Zudem müsse Comet vor allem auch für neue Mitarbeiter ein attraktiver Arbeitgeber sein, sagte er, denn die beiden anderen einheimischen Zulieferer, VAT und Inficon, würden ebenfalls um sie buhlen.
Mit ihrer Produktionsstätte im liechtensteinischen Balzers hat Inficon den Vorteil, eine gewisse geografische Distanz zu ihren beiden Konkurrenten zu haben. Umsatzmässig ist sie ähnlich gross wie Comet, VAT kommt auf fast das Doppelte. Für 2022 peilt Inficon einen Umsatz von bis zu 600 Mio. $ an sowie eine Betriebsgewinnmarge auf Stufe Ebit von über 20% (2021: 19,4%).
Für die in der Mess- und Sensorentechnik tätige Firma bestreitet die Division Halbleiter nun knapp die Hälfte der Einnahmen. Die Division Semi & Vacuum Coating verzeichnete 2021 ein Plus von 37% und soll auch dieses Jahr weiter wachsen. Um dieses Wachstum zu verkraften, muss auch Inficon kräftig investieren. Wie prekär die Lage ist, zeigt sich daran, dass Büroräumlichkeiten in Balzers zu Produktionsstätten umfunktioniert wurden. Innerhalb von zwei Jahren will Inficon die Produktionskapazitäten um 50% erhöhen. Für 2021 und 2022 werden dafür in den USA rund 10 Mio. $ und in Europa mehr als 30 Mio. $ ausgegeben.
Im Gegensatz zu VAT und Comet bewirtschaftet Inficon drei weitere Geschäftssegmente, die andere Endmärkte bedienen (Energie, Sicherheit, Militär, Automobil). Sie prosperieren auch, wenn der Halbleiterzyklus nach unten geht. Trotzdem: Das Wachstum und damit die Kursfantasie in den Inficon-Aktien stützen sich vorwiegend auf ein weiterhin gutes Halbleitergeschäft.
VAT, Comet und Inficon sind grösser, rentabler und solider geworden. Das rechtfertigt die höhere Marktbewertung. Dennoch läuft auch bei ihnen nicht alles glatt. Wie die meisten Unternehmen sind auch sie von steigenden Inputkosten betroffen. Sie spüren die Verteuerung der Rohwaren. Laut VAT-Chef Allison ist der Aluminiumbedarf für die nächsten eineinhalb Jahre bereits an Lager. Das Horten von Material und Halbfabrikaten ist oft die einzige Möglichkeit, lieferfähig zu bleiben. Der nachteilige Effekt ist eine stärkere Kapitalbindung, was die Rentabilität schmälert.
Für Margendruck sorgen auch die höheren Löhne, die die Gesellschaften – vor allem in den USA – ihren Mitarbeitern zahlen müssen. Inficon geht für dieses Jahr von mindestens 5% höheren Lohnkosten in den USA aus. Mit Preiserhöhungen versuchen die Unternehmen dagegenzuhalten. Doch für mittelgrosse Anbieter ist das nicht leicht. «Bei den elektronischen Komponenten verfügen wir nicht über Preismacht», sagt Inficon-Chef Winkler. Um an die gesuchten Komponenten heranzukommen, müssten hohe Broker-Gebühren bezahlt werden. Derzeit werde mit Kunden verhandelt, wer und wie viel der zusätzlichen Kosten übernehme.
Doch das sind alles eher Luxusprobleme. Solange sich der Halbleiter-Boom fortsetzt, wird es auch den drei Schweizer Zulieferern gutgehen.