Der Milchverarbeiter hat sich in Not gebracht. Zwei Szenarien, wie es weitergehen könnte.
Im Dezember 2016 hat der Milchverarbeiter Hochdorf die mehrheitliche Übernahme von Pharmalys Laboratories vollzogen. Seit damals ist sein Aktienkurs um 74% gesunken. Das Unternehmen steckt heute in einer tiefen Krise.
Ein zentrales Problem bei der Pharmalys-Übernahme zeigt sich in den Zahlungsfristen, die die Problemtochter ihrer Klientel eingeräumt hat. Zu hören ist, dass sie zwölf bis vierundzwanzig Monate betragen. Eine andere Quelle spricht von sechs bis neun Monaten. Hochdorf selbst nennt keine Details.
Klar ist, dass die Zahlungsfristen extrem lang sind, halsbrecherisch lang.
Zum Vergleich: Gemäss Beatrix Morath, Chefin Schweiz des Beratungsunternehmens AlixPartners und Kennerin des Nahrungsmittelsektors, betragen die vertraglich vereinbarten Zahlungsfristen in Europa normalerweise dreissig oder sechzig Tage, seltener neunzig Tage.
Im südlichen Europa werde aber auch oft nach Fälligkeit gezahlt, sodass de facto Zahlungsfristen zwischen neunzig und hundertzwanzig Tagen resultierten. Ähnliches gilt laut Morath für den Nahen Osten.
Pharmalys vermarktet milch- und getreidebasierte Babynahrung, insbesondere im Nahen Osten und in Afrika. Längere Zahlungsfristen in diesem MEA-Raum «stellen eine Herausforderung dar», gestand Hochdorf schon im März ein.
Aus dem Tatbestand der überlangen Fristen ergeben sich Folgerungen: Erstens ist dadurch das Geschäftsmodell wegen der notwendigen Finanzierung des Nettoumlaufvermögens durch die Hochdorf-Gruppe äusserst kapitalintensiv. Dieser Umstand erhöht ihre Verschuldung und beeinträchtigt ihre Liquidität – bei beiden Kennzahlen bewegt sich Hochdorf im tiefroten Gefahrenbereich.
Im Halbjahresbericht warnt der Milchverarbeiter gar, die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit sei «mit erheblichen, wesentlichen Unsicherheiten behaftet». Priorität hat für ihn, den Liquiditätsabfluss zu stoppen. Überspitzt: Aufgrund der langen Zahlungsfristen kann Hochdorf es sich nicht leisten, mit Pharmalys noch Umsatz zu machen und das Wachstum voranzutreiben.
Das Fristenproblem zeigt auch auf, wie sich Hochdorf beim Kauf der 51%-Mehrheit an Pharmalys im Jahr 2016 vom Verkäufer Amir Mechria ausmanövrieren liess. Gemeinhin sind überlange Zahlungsfristen dort zu beobachten, wo versucht wird, den Umsatz mit aller Gewalt zu forcieren.
Im Fall von Pharmalys funktionierte das vorübergehend: Die Abnehmer füllten sich die Lager, so stieg 2017 der Umsatz von Pharmalys über 50% und das Betriebsergebnis knapp 150%. Gut für Mechria, denn der Preis für den Pharmalys-Mehrheitsanteil berechnete sich anhand der Betriebsergebnisse in den Jahren 2016 und 2017.
Letztlich musste Hochdorf an Mechria gut 245 Mio. Fr. entrichten, was Hochdorf inzwischen selbst als «sehr hohen Kaufpreis» bezeichnet.
In der Folgezeit sank der Umsatz von Pharmalys dann rasch, 2018 um 16% auf 77,5 Mio. Fr. In der ersten Hälfte von 2019 lag er noch bei 24,5 Mio. Fr. und damit 50% unter Budget, während das Betriebsergebnis deutlich negativ ausfiel.
Dazu hat Pharmalys in Schwellenländern inzwischen Debitorenausstände von über 56 Mio. Fr., die gemäss Hochdorf «zu einem grossen Teil überfällig und äusserst schwierig einzutreiben sind». Dem Bericht der externen Revisionsstelle Ernst & Young für 2018 zufolge gibt es namentlich bei Forderungen gegenüber dem Königreich Saudi-Arabien teils hohe und überfällige Ausstände.
Damit stellen sich zwei Grundfragen. Die erste lautet, wer aufseiten Hochdorfs für den schlechten Kaufvertrag verantwortlich ist. Zu nennen sind der Verwaltungsrat und das Management: Die damaligen Hauptverantwortlichen sind weg, Thomas Eisenring ist im März als CEO per sofort zurückgetreten.
Eine wichtige Rolle als Berater beim Pharmalys-Kauf spielte PricewaterhouseCoopers. An PwC hat Hochdorf auch die interne Revision, die den Verwaltungsrat bei seinen Aufgaben unterstützen muss, ausgelagert – in dieser Funktion ist PwC kaum mehr tragbar.
Die zweite Frage lautet, was es zur Lösung von Hochdorfs Problemen braucht.
Schon im Frühjahr hatte sich abgezeichnet, dass per Mitte Jahr Kreditbedingungen (Covenants) der bestehenden Kreditfazilität verletzt würden. Die Banken willigten ein, über eine Verzichtserklärung (Waiver) die Covenants zeitweilig ausser Kraft zu setzen und Hochdorf bis zum 31. Oktober Aufschub zu gewähren.
Bis dann muss die Unternehmensführung aufzeigen, wie sie Hochdorf sanieren will. Sie strebt erklärtermassen eine Verlängerung des Konsortialkredits sowie den Abschluss einer zusätzlichen Kreditfazilität von 40 Mio. Fr. an.
Die Umstände machen aber klar, dass Hochdorf auch frische Eigenmittel benötigen wird. Remo Rosenau, Chefanalyst bei der Helvetischen Bank, ist sich sicher, dass die Aktionäre «zur Kasse gebeten werden». Er geht von einer grösseren Kapitalerhöhung aus, seiner Ansicht nach braucht Hochdorf «sicher rund 50 Mio. Fr.».
Ein Investmentbanker denkt sogar, dass eine Kapitalerhöhung «bis zu einem dreistelligen Millionenbetrag» einbringen sollte.
Federführend bei der Durchführung einer Kapitalerhöhung wären wohl UBS und die Luzerner Kantonalbank, die bereits als Lead-Manager bei der Emission von Hochdorfs Hybridanleihe über 125 Mio. Fr. im November 2017 wirkten.
Die zweitgrösste Aktionärin von Hochdorf ist mit einem Anteil von 14,5% die Genossenschaft der Zentralschweizer Milchproduzenten (ZMP). Ihr Geschäftsführer Pirmin Furrer meint zum Thema Kapitalerhöhung, wenn es Hilfe von den Aktionären brauche, müsse man immer diskutieren.
Es gibt noch eine Möglichkeit: eine Übernahme von Hochdorf. Ein Unternehmenskenner sieht eine gewisse Übernahmefantasie. Sie gründet auf zwei Sachverhalten. Zum einen ist Hochdorf für die Schweizer Milchindustrie systemrelevant.
Zum anderen hat die Stichting General Holdings ihren Anteil an Hochdorf in zwei Monaten bis 20. September auf 20,3% ausgebaut. Bei dieser Aktionärin handelt es sich um eine Stiftung niederländischen Rechts, hinter der der in Hongkong basierte Investor Jethro Goldsmith steckt. Was seine Absichten sind, ist nicht bekannt. Zu hören ist, dass er mit Mechria, der Hochdorf den Pharmalys-Mehrheitsanteil verkauft hat, in Kontakt sei.
Diese Konstellation lädt zu Spekulationen ein. In jedem Fall muss Hochdorf eine Lösung für die nicht kontrollierbare Problemtochter Pharmalys finden. Das geht nur mit Mechria, auch wegen vertraglicher Vereinbarungen. Der Tunesier hält weiter 49% an Pharmalys.
Seine Interessenlage ist indessen vielschichtig. So wickelt Pharmalys den Grossteil des Umsatzes über Distributoren ab, an denen Mechria selbst beteiligt ist, teils mehrheitlich. Es ist anzunehmen, dass er über die Geschehnisse mehr Kontrolle hat als Hochdorf.
Es bietet sich an, dass Mechria den Pharmalys-Mehrheitsanteil von Hochdorf zurückkauft – was eine schwierige Operation wäre. Das Verhältnis zwischen ihm und Hochdorf wird nicht mehr so einvernehmlich sein wie einst. Am 21. August ist Mechria denn auch als Vizepräsident von Pharmalys und von allen weiteren Funktionen in dieser Gesellschaft zurückgetreten – einen Tag nachdem Hochdorf über den Halbjahresverlust und die Neuausrichtung orientiert hatte.
Zudem fragt sich, zu welchem Preis ein Rückverkauf des Pharmalys-Mehrheitsanteils durchgeführt werden könnte. Sicher nicht zu den 245 Mio. Fr., die Hochdorf dafür gezahlt hatte. Wobei anzufügen ist, dass Mechria davon nur 114 Mio. Fr. in bar erhielt.
Rund 131 Mio. Fr. bekam er in Form der Tranche B der 2017 ausgegebenen Pflichtwandelanleihe von Hochdorf. Das heisst zum einen, dass Mechria selber unter dem Kursverlust der Hochdorf-Aktien infolge des Pharmalys-Desasters leidet. Denn der Wandelpreis des Pflichtwandlers liegt bei 304.67 Fr., während die Aktie aktuell bei 80.50 Fr. notiert. Das ungünstige Wandelverhältnis spiegelt sich im Kurs der Anleihe von 25,8%.
Zum anderen wird Mechria mit der Wandlung der Obligationen in Aktien im nächsten März zum Grossaktionär von Hochdorf, mit einem Anteil von 20%. Das lässt Raum für Gedankenspiele.
Wenn sich Mechria mit der Stichting General Holdings zusammentäte, kontrollierten sie im nächsten Jahr, nach der Wandlung der Anleihe, gemeinsam knapp 34% von Hochdorf. Das wäre eine starke Position, auch wenn das Unternehmen die Stimmrechte von Aktionären auf 15% des Kapitals beschränken kann.
Mindestens denkbar ist, dass Mechria den Pharmalys-Mehrheitsanteil von Hochdorf zurücknimmt und dabei seine Hochdorf-Anteile als Tauschwährung genutzt werden. So oder so ist klar, dass Hochdorf und Mechria nicht ohne einander können: Auch künftig wird Pharmalys Produkte von Hochdorf beziehen.
Für den Aktionär von Hochdorf ist die Lage riskant. Die Übernahmefantasie, die wohl mit hinter der Kurserholung um 51% seit dem Tiefst von 51.90 Fr. im August steckt, bleibt vage. Die Gefahr einer Kapitalerhöhung ist für die Aktionäre dagegen sehr real: Hochdorf muss refinanziert werden.