Seit bald dreizehn Jahren bleiben Substanz- hinter Wachstumsaktien zurück. Was könnte eine Trendumkehr einläuten?
Es ist momentan wohl die beste Methode, Investoren zu vergraulen: Man empfiehlt Value-Papiere zum Kauf. Denn seit mittlerweile bald dreizehn Jahren hinken Substanzwerte – also Titel von Unternehmen, die gemessen an den gängigen Bewertungskennzahlen attraktiv erscheinen – den Wachstumstiteln hinterher.
Auch heuer hat die Rangordnung Bestand: Der globale Value-Index von MSCI ist seit Jahresbeginn 12% avanciert, der Growth-Index indes 21,5%. In den vergangenen zwölf Jahren gelang es Value nur gerade im Jahr 2016, Growth hinter sich zu lassen. Eine solch lange Durststrecke liess sich in vierzig Jahren nicht beobachten (vgl. Grafik).
Die Liste der Gründe für das miserable Abschneiden ist lang. Die schleppende Konjunktur, die kriselnden Banken (die typischerweise prominent in Value-Indizes vertreten sind), die starke Performance der Technologie-Überflieger (die im Gegenzug in den Growth-Indizes ein hohes Gewicht haben) und politische Risiken haben Value belastet.
Ein weiteres Argument bringt Andrew Garthwaite, Chefstratege bei Credit Suisse, ins Spiel: Typische Value-Sektoren seien besonders stark durch Disruption gefährdet. So haben etwa Autokonzerne mit dem Trend zu Elektrovehikeln, selbstfahrenden Autos und Car Sharing zu kämpfen. Gleichzeitig drängen neue Konkurrenten aus China und aus dem Technologiesektor in den Markt. Das alles schmälert die Profitabilität.
Versorgerbetriebe leiden unter erneuerbarer Energie, besseren Batterien und smarten Stromzählern – in den USA ist der Stromkonsum gemäss Garthwaite wieder auf das Niveau von 2011 gefallen. Auch die Banken werden von Konkurrenten unter Druck gesetzt, die dank neuer Technologien Produkte kostengünstiger anbieten können. Damit haben Wachstumstitel einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil.
Ebenfalls wichtig sind die niedrigen Zinsen, von denen die Wachstumspapiere stärker profitieren. Denn bei Growth- fällt im Vergleich zu Value-Aktien ein grösserer Anteil des Gewinns – und damit des Unternehmenswerts – in der Zukunft an. Ihr heutiger Wert nimmt bei sinkenden Zinsen stärker zu als bei Substanzvaloren.
Kein Wunder, haben die jüngsten Signale von der Europäischen Zentralbank und der US-Notenbank Fed, weitere Lockerungsmassnahmen durchzuführen, Value einen weiteren Dämpfer versetzt (vgl. Grafik).
Ein Blick auf die Futures-Preise verrät, dass die Anleger die kurzfristigen Zinsen in Europa erst Mitte 2024 wieder bei null sehen. Die Zinsen sollen in den kommenden zehn Jahren nicht einmal auf 1% klettern. Das scheint ein überaus pessimistisches Szenario.
Ein positiver Effekt der jahrelangen Kurserosion macht sich jedoch in der relativen Bewertung bemerkbar. Gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis handeln Value-Aktien gemäss HSBC mittlerweile zu einem unüblich hohen Bewertungsabschlag von 42%.
Die Analysten von UBS kommen zu einem ähnlichen Ergebnis. Sie verwenden drei Bewertungsgrössen – das Kurs-Buchwert- und das Kurs-Gewinn-Verhältnis sowie die Dividendenrendite – und schliessen: «Value war relativ zu Wachstum noch nie so billig.» Nicht einmal während der Technologieblase zur Jahrtausendwende sei die Diskrepanz zwischen den beiden Segmenten grösser gewesen (vgl. Grafik).
Gleichzeitig vermag die Gewinndynamik der Growth-Titel nicht mehr zu überzeugen, wie Joao Tonatio von UBS bemerkt. «Trotz der rekordhohen Bewertungsdiskrepanz liegt das erwartete Gewinnwachstum von Growth relativ zu Value unter dem langfristigen Durchschnitt.»
Insgesamt scheint ein gerüttelt Mass an negativen Nachrichten in den Preisen von Value enthalten zu sein. Doch wie die Historie lehrt, reicht die Bewertung allein selten aus, um eine Trendumkehr herbeizuführen. Wie schon John Maynard Keynes wusste, können die Märkte länger irrational bleiben als mancher Anleger solvent. Doch was wären Auslöser, die die Durststrecke von Value beenden könnten?
Insgesamt zeigt sich, dass sich die Bewertungsschere immer weiter zugunsten von Value öffnet und der Pessimismus der Marktteilnehmer gegenüber dem Anlagestil mittlerweile enorm ist. Immer häufiger hört und liest man, Value sei kein erfolgversprechender Ansatz mehr. Angesichts der verbreiteten Skepsis braucht es wohl nicht viel, damit Value besser abschneidet als Growth.