Amerikanische Unternehmen haben in der Dekade von 2010 bis 2019 ihre Verschuldung um gut 5000 Mrd. $ auf das höchste Niveau aller Zeiten ausgedehnt. Wozu diente dieser Schuldenaufbau?
Wenn die Zehnerjahre des 21. Jahrhunderts wirtschaftshistorisch auf einen Satz reduziert werden sollten, dann lautete dieser ungefähr so:
Von 2010 bis 2019 stieg der Grad der Verschuldung in der Weltwirtschaft so schnell und so hoch wie nie zuvor.
Je nach Berechnungsmethode in der Behandlung des Finanzsektors lasten auf der Weltwirtschaft aktuell 190 bis 250 Billionen Dollar an Schulden. Das sind rund 50'000 Mrd. $ mehr als zu Beginn der Dekade.
China und zahlreiche weitere Emerging Markets bauten im Nachgang der globalen Finanzkrise ihre Infrastruktur mit Hilfe von Krediten aus, in Europa explodierten die Staatsschulden, und in den USA gaben sich die Unternehmen einem beispiellosen Schuldenexzess hin.
Schulden – das gilt sowohl für Staaten wie auch für Unternehmen – sind nie ein Problem, wenn sie für ökonomisch sinnvolle Investitionen eingesetzt werden, die die Produktivität erhöhen. Doch besonders mit Blick auf das abgelaufene Jahrzehnt stellt sich die Frage, welcher Anteil des Schuldenaufbaus tatsächlich ökonomisch sinnvoll war – und welcher Anteil primär Zwecken des kurzfristigen Financial Engineering diente, etwa um das Wirtschaftswachstum anzutreiben (zum Beispiel in China) oder um Unternehmensbilanzen zu «optimieren» (zum Beispiel in den USA).
Zum Thema des unproduktiven Schuldenaufbaus in China liefert der in Peking lehrende Finanzprofessor Michael Pettis in diesem Interview mit The Market erhellende Einblicke.
Unsere dieswöchige Grafik widmet sich dem amerikanischen Unternehmenssektor. Sie zeigt die Verschuldung der amerikanischen Unternehmen in Prozenten des US-Bruttoinlandprodukts, im Zeitraum seit 1980:
Die Grafik zeigt eindrücklich den zyklischen Charakter der Unternehmensverschuldung. In konjunkturellen Boomzeiten steigt sie, während die Unternehmen nach Rezessionen (graue Balken in der Grafik) damit beschäftigt sind, ihre Verschuldung abzubauen (im Jargon Deleveraging genannt).
Auch nach der grossen Rezession von 2008 und 2009 bauten die US-Unternehmen ihre Schulden zunächst kurz ab. Im vierten Quartal des Jahres 2010 erreichte ihre Verschuldung rund 66% des BIP oder etwas mehr als 10 Bio. $.
Danach, zweifellos auch begünstigt durch die Niedrigzinspolitik der Notenbank, startete jedoch ein kräftiger Schuldenboom, in dessen Verlauf die amerikanischen Unternehmen ihre Verschuldung auf über 15 Bio. $ oder mehr als 75% des BIP ausdehnten.
Wozu diente dieser Schuldenaufbau? Eines ist klar: Er diente jedenfalls nicht inländischen Kapitalinvestitionen. Diese stiegen gemäss Daten des U.S. Census Bureau zwischen 2009 und 2017 nämlich nur gerade um gut 600 Mrd. $.
Nein, hinter den neuen Schulden steht eine profanere Verwendung: Aktienrückkäufe.
Von 2010 bis 2019 kauften die im S&P-500-Index zusammengefassten US-Konzerne gemäss Daten von S&P Dow Jones Indices insgesamt eigene Aktien im Wert von 5,1 Bio. $ zurück. Im Rekordjahr 2018 allein, dem Jahr des Steuersenkungspakets von Donald Trump, beliefen sich die Aktienrückkäufe auf mehr als 800 Mrd. $.
Simpel gesagt: 5 Bio. $ neue Schulden ermöglichten Aktienrückkäufe über 5 Bio. $. Dieser grösste Debt-to-Equity-Swap aller Zeiten trieb die Aktienkurse ebenso in die Höhe wie die Boni der Topmanager.
Doch der langfristige volkswirtschaftliche Nutzen dieser fremdfinanzierten Rückkauforgie ist Null.
Die Folgen davon werden mit Sicherheit die Zwanzigerjahre des 21. Jahrhunderts prägen.