«Der Dollar hat ab Oktober begonnen, sich abzuschwächen. Hält dieser Trend an, ist das sehr positiv für die Börsen in den Emerging Markets»: Christopher Wood. (Bild: zvg)

«Der Dollar hat ab Oktober begonnen, sich abzuschwächen. Hält dieser Trend an, ist das sehr positiv für die Börsen in den Emerging Markets»: Christopher Wood. (Bild: zvg)

Das Interview

«Die Wende der amerikanischen Notenbank hat alles verändert»

Christopher Wood, Aktienstratege der US-Investmentbank Jefferies, ist zuversichtlich für die globalen Aktienmärkte. Ein schwächerer Dollar wird die Emerging Markets beflügeln, Gold sieht er in einem Bullenmarkt. Die attraktivste Anlagechance macht Wood im Energiesektor aus.

Mark Dittli
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Christopher Wood

Christopher Wood arbeitet seit Mai 2019 als Aktienstratege für die US-Investmentbank Jefferies. Zuvor war er fast zwanzig Jahre Chef-Aktienstratege für das Hongkonger Brokerhaus CLSA, wo er mehrere Jahre in Serie von «Asia Money» zum besten Strategen Asiens gewählt wurde. Bevor Wood zur Bankenwelt stiess, war er Journalist: Er arbeitete zehn Jahre für den «Economist», unter anderem als Bürochef in New York und Tokio, sowie für die «Far Eastern Economic Review» in Hongkong. Sein 1992 erschienenes Buch «The Bubble Economy: Japan's Economic Collapse» war ein Bestseller. Seit 1996 schreibt Wood den wöchentlichen «Greed and Fear»-Newsletter, der an den globalen Finanzmärkten für zahlreiche Investoren zur Pflichtlektüre zählt. Wood lebt in Hongkong, verbringt aber die meiste Zeit auf Reisen rund um die Welt.
Christopher Wood arbeitet seit Mai 2019 als Aktienstratege für die US-Investmentbank Jefferies. Zuvor war er fast zwanzig Jahre Chef-Aktienstratege für das Hongkonger Brokerhaus CLSA, wo er mehrere Jahre in Serie von «Asia Money» zum besten Strategen Asiens gewählt wurde. Bevor Wood zur Bankenwelt stiess, war er Journalist: Er arbeitete zehn Jahre für den «Economist», unter anderem als Bürochef in New York und Tokio, sowie für die «Far Eastern Economic Review» in Hongkong. Sein 1992 erschienenes Buch «The Bubble Economy: Japan's Economic Collapse» war ein Bestseller. Seit 1996 schreibt Wood den wöchentlichen «Greed and Fear»-Newsletter, der an den globalen Finanzmärkten für zahlreiche Investoren zur Pflichtlektüre zählt. Wood lebt in Hongkong, verbringt aber die meiste Zeit auf Reisen rund um die Welt.

Die Aktienmärkte haben ein Spitzenjahr hinter sich. Indizes wie der S&P 500 und der Swiss Market Index haben 30% und mehr zugelegt.

Für Christopher Wood, Aktienstratege von Jefferies und Autor des wöchentlichen «Greed and Fear»-Newsletters, ist klar: Dieser Anstieg ist der amerikanischen Notenbank zu verdanken. Die Zinssekungen sowie die Bilanzausweitung des Fed waren ein «Game Changer» für die Märkte.

Für 2020 äussert sich Wood zuversichtlich, die These einer konjunkturellen Belebung könnte seiner Meinung nach an Fahrt gewinnen – mit einer wichtigen Präzision: Das verkündete Phase-Eins-Abkommen im Handelskonflikt zwischen den USA und China muss auch tatsächlich unterzeichnet werden.

Zu den bevorzugten Anlage-Ideen des Asienspezialisten zählen Emerging Markets, Japan und Gold. Plus: Aktien aus dem Energiesektor. «Öl-Aktien sind sehr billig, Energie ist der letzte wirklich günstig bewertete Sektor an den Börsen», sagt Wood.

Herr Wood, 2019 war ein Spitzenjahr für die Börsen. Kann das so weitergehen?
Zunächst müssen Sie berücksichtigen, dass das vierte Quartal 2018 von einem heftigen Ausverkauf geprägt war. Deshalb ist es etwas irreführend, bloss die Kursentwicklung im Kalenderjahr zu betrachten. Aber ja, 2019 war ein grossartiges Jahr für die Märkte. Zu verdanken haben Investoren diese Kursgewinne dem Schlüsselereignis von Anfang Januar, als die US-Notenbank unter Jerome Powell eine 180-Grad-Wende beschloss. Der sogenannte Powell Pivot hat alles verändert.

Das war für Sie der «Game Changer» im vergangenen Jahr?
Ohne jeden Zweifel. Noch Ende 2018 stiegen die Risikoaufschläge an den Bondmärkten, die Bilanz der US-Notenbank schrumpfte, und die Finanzmärkte rechneten mit weiteren Zinserhöhungen des Fed. Am Ende erhielten die Märkte das Gegenteil: drei Zinssenkungen von Powell und eine wieder signifikant expandierende Fed-Bilanz.

Seit Ende August fallen zyklische Sektoren wie Industrie und Finanzen mit überdurchschnittlichen Gewinnen auf. Liegen die Börsen richtig mit der Erwartung einer konjunkturellen Belebung?
Zunächst denke ich, dass wir es mit einer Korrektur vorgängiger Übertreibungen zu tun haben. Bis Mitte August hatten wir eine Art Panik-Rally von enormen Ausmassen am Bondmarkt, als das Volumen der negativ rentierenden Anleihen den Höhepunkt erreichte. Das war auch die Zeit der sich verflachenden und zeitweise invertierten Zinskurve. Wir haben uns nun von diesen Extremwerten wieder etwas entfernt. Und wenn die Zinskurve nur schon marginal steiler wird, zählen Aktien von Banken meistens zu den Gewinnern.

Sie glauben demnach noch nicht so richtig an die konjunkturelle Erholung?
Das ist nicht so einfach zu sagen. Die Rendite zehnjähriger Treasury Notes in den USA ist immer noch nicht über 2% gestiegen, von Aufbruchstimmung kann also noch keine Rede sein. Was aber zweifellos geschehen ist: Die Marktteilnehmer haben die Sorge abgelegt, dass der globale Industrie-Abschwung auch die Dienstleistungssektoren und damit die gesamte Wirtschaft in die Tiefe reissen wird. Die Daten aus dem Industriesektor waren monatelang sehr schwach und haben eindeutig eine Rezession signalisiert. Auch der Speicherchip-Zyklus belastete die Konjunktur in Asien. Doch breite Teile der restlichen Wirtschaft, vor allem auch der Konsum in den USA, konnten sich gut halten. Deshalb ist unter den Marktteilnehmern im Verlauf der Herbstmonate die Zuversicht gestiegen, dass es zu keiner Rezession kommen wird.

Wird dieser Trend anhalten?
Ich denke schon. Extrem wichtig ist nun, dass Washington und Peking das angekündigte Phase-Eins-Abkommen auch tatsächlich unterschreiben und einen Waffenstillstand im Handelskonflikt schliessen. Der Handelsdisput hat viel Ungewissheit im Industriesektor verursacht. Sollte der Deal aus irgendeinem Grund doch noch scheitern, ist die These der zyklischen Belebung schnell Makulatur.

US-Präsident Trump hat per Twitter angekündigt, das Abkommen werde am 15. Januar unterschrieben.
Genau, und ich werte das positiv. Trump spielt die Klaviatur der Kommunikation sehr schlau. Es ist ja äusserst unüblich, dass der Deal zwar verkündet wird, dann aber wochenlang keine Details dazu publiziert werden und unklar bleibt, wann er unterschrieben werden soll. Mit seinem Tweet hält Trump die Märkte bei Laune. Aber vergessen wir nicht: Solange der Vertrag nicht unterschrieben und publiziert ist, besteht ein Restrisiko, dass das Abkommen doch noch scheitern könnte.

Angenommen, das Phase-Eins-Abkommen wird tatsächlich am 15. Januar unterschrieben. Wird das viele Probleme lösen?
Nein. Die grundsätzliche geopolitische Rivalität zwischen den USA und China bleibt unverändert, ebenso der Konflikt im Technologiesektor, der früher oder später viele Länder in Asien und Europa vor die Wahl stellen wird, ob sie zum Beispiel in der 5G-Mobiltechnologie zur chinesischen oder zur amerikanischen Sphäre gehören wollen. Auch bleiben nach dem Phase-Eins-Abkommen noch viele Strafzölle bestehen. Doch für die Märkte reicht es bereits, wenn sich die Situation marginal verbessert. Deshalb rechne ich damit, dass die «Risk On»-Phase weitergehen und an der Börse die zyklischen Sektoren begünstigen wird.

Seit September expandiert die Fed-Bilanz wieder, seit Oktober kauft die Notenbank monatlich Treasury Bills über 60 Mrd. $. In der ursprünglichen Ankündigung des Fed sollte diese Massnahme nur bis Frühjahr 2020 dauern. Was bedeutet das für die Märkte?
Powell und seine Kollegen haben die Kommunikation bewusst offen formuliert und gesagt, sie würden das Anleihenkaufprogramm nach Ablauf des ersten Quartals überprüfen. Was immer das heissen mag. Das Fed spricht von einer temporären Massnahme, um Liquiditätsprobleme am Repo-Markt zu lindern. Auf keinen Fall will Powell von einem neuen Quantitative-Easing-Programm sprechen. Die Märkte sehen es aber sehr wohl als QE-Programm an, nicht bloss als temporäre Kurzfristmassnahme.

Sie auch?
Ja. Aber es spielt keine Rolle, was ich denke. Wichtig ist, dass es die Märkte so sehen. Die Fed-Bilanz expandiert mit signifikantem Tempo, und auch das Wachstum der Geldmenge M2 in den USA hat sich beschleunigt. Das ist ein wichtiger Treiber der «Risk On»-Atmosphäre an den Börsen.

Das Fed bleibt den Märkten also wohlgesinnt?
So sieht es momentan aus. Dieses Jahr führt die Fed-Spitze zudem eine Strategieüberprüfung durch. Vielleicht wird dabei das Inflationsziel aufgeweicht; zum Beispiel könnte die Notenbank kommunizieren, dass sie ein temporäres Überschiessen der Inflation toleriert. Mehrere Fed-Gouverneure haben sich bereits in diese Richtung geäussert.

Was wären die Konsequenzen daraus für die Märkte?
Sollte es tatsächlich dazu kommen, wäre das positiv für die Börsen, denn es würde die Schwelle erhöhen, bis das Fed wieder eine restriktivere Geldpolitik einschlägt. Eine zentrale Frage ist für mich auch, ob der vollzogene U-Turn des Fed nun zu einer länger andauernden Dollarschwäche führt.

Was denken Sie?
Der Dollar hat ab Oktober begonnen, sich abzuschwächen. Ich beobachte den Dollar-Index genau. Gespannt bin ich, ob im Phase-Eins-Abkommen zwischen den USA und China irgend ein Passus enthalten ist, der den Wechselkurs zwischen dem Yuan und dem Dollar behandelt. Das wäre eine Win-Win-Situation für beide Seiten.

Wie könnte so ein Passus aussehen?
Peking könnte zum Beispiel das Versprechen abgeben, den Yuan nicht kompetitiv abzuwerten. Das würde Washington im Gegenzug erlauben, China nicht mehr offiziell als Währungsmanipulator zu deklarieren. Das wäre im Interesse beider Seiten, denn auch Chinas Regierung will keine signifikante Abwertung des Yuan gegenüber dem Dollar. Wenn das Abkommen publiziert ist, werden wir sehen, ob der Wechselkurs thematisiert ist. Wenn ja, wäre das ebenfalls ein Argument für einen schwächeren Dollar.

Und ein schwächerer Dollar wäre besonders positiv für Aktien in Emerging Markets?
Ja, definitiv. Aktien in asiatischen Schwellenländern würden profitieren.

Und wie halten Sie es mit den Aktienmärkten in Europa und Japan?
Japan gefällt mir aus strukturellen Gründen mit einer langfristigen Optik sehr gut. Die Corporate Governance wird deutlich aktionärsfreundlicher, die Unternehmen erhöhen ihre Dividenden und kaufen Aktien zurück. Unter der These der globalen konjunkturellen Belebung wird Japan ebenfalls gut abschneiden. Die grosse Frage im Zusammenhang mit Japan ist, ob die inländischen institutionellen Investoren endlich wieder als Käufer auf dem eigenen Markt auftreten.

Tun sie das derzeit nicht?
Seit 1990, seit dem Platzen der damaligen Blase, haben die japanischen Institutionellen ihre Aktien-Allokation kontinuierlich ins Ausland verlagert. Damit japanische Aktien langfristig überdurchschnittlich abschneiden können, ist eine Rückkehr der inländischen Institutionellen nötig. Das ist gut möglich, denn die Dividendenrendite japanischer Aktien steigt, was sie gegenüber Anleihen immer attraktiver macht. Merken Sie sich das: Die wichtigste Variable für den japanischen Aktienmarkt sind nicht die Makrodaten, sondern die Flüsse in der Anlage-Allokation. Wenn die Inländer wieder kaufen, wird's spannend.

Was ist denn mit Europa?
Solange die zyklische Belebung anhält, werden die europäischen Börsen gut abschneiden, da sie ein hohes Gewicht im Bankensektor haben. Steilere Zinskurven sind positiv für Banken. Mit einer längerfristigen Perspektive ist die Erkenntnis wichtig, dass die Geschicke der Europäischen Union nun von den Franzosen bestimmt werden. Emmanuel Macron ist heute der mächtigste Politiker in Europa. Ihm ist es gelungen, Christine Lagarde an die Spitze der Europäischen Zentralbank zu hieven. Das ist eine politische Besetzung, denn Lagarde ist Politikerin, keine Notenbankerin.

Und was bedeutet das?
Die Franzosen werden die Agenda bestimmen und die Währungsunion immer weiter in Richtung einer Banken- und Fiskalunion entwickeln. Die Stossrichtung ist klar, offen bleibt nur die Frage, wie viel Widerstand Berlin noch aufbringen kann. Unter diesem Gesichtspunkt werden mit einer längerfristigen Perspektive sogenannte Konversions-Trades interessant. Wer auf dieses Szenario setzt, sollte italienische Banken kaufen.

Was ist Ihre Meinung zu Gold? Der Goldpreis steht mit 1575 $ je Unze auf dem höchsten Niveau seit mehr als sechs Jahren.
Die 180-Grad-Wende und die neuerliche Bilanzausweitung des Fed
sind auf jeden Fall positiv für Gold. Technisch betrachtet ist es dem Goldpreis gelungen, das Niveau von 1460 $ zu durchbrechen. Fällt der Preis nicht mehr signifikant darunter, können wir sagen, dass für Gold ein neuer Bullenmarkt begonnen hat. Was den Goldpreis noch deutlich höher treiben würde, wäre eine konjunkturelle Abkühlung in den USA. Denn das würde die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass das Fed geldpolitisch die Schleusen noch weiter öffnet.

Vor dem Hintergrund der Eskalation im Nahen Osten ist der Goldpreis seit Anfang Jahr um fast 5% gestiegen. Ist dieser Preissprung nachhaltig?
Da war ein typischer «Flucht in Sicherheit»-Faktor im Spiel. Kurzfristig betrachtet ist Gold überkauft, das bedeutet, man darf eine Korrektur erwarten. Nochmals: Technisch betrachtet ist 1460 $ die relevante Schwelle. Hält dieses Niveau, haben wir einen neuen Bullenmarkt. Ein positives Signal für Gold ist übrigens auch, dass die Aktienkurse von Goldminengesellschaften in den vergangenen Monaten besser abgeschnitten haben als der Goldpreis.

Wieso ist das positiv?
Das ist einfach ein verlässliches historisches Muster. Steigt der Goldpreis, ohne dass die Kurse der Minengesellschaften steigen, ist die Preisbewegung nicht nachhaltig. Wer also mit etwas Hebelwirkung in das Thema Gold investieren will, sollte Minen-Aktien kaufen. Sie handeln heute auf den gleichen Niveau wie 2005, als die Unze Gold 480 $ kostete.

Die Verschärfung der Lage am Persischen Golf hat auch den Ölpreis steigen lassen.
Ja, auch das war zu erwarten. Deutlich in die Höhe springen würde der Ölpreis natürlich, wenn der Iran versuchte, die Strasse von Hormuz zu sperren. Doch auch von der unmittelbaren Krise am Golf abgesehen: Aus meiner Sicht bietet der Ölsektor gegenwärtig die attraktivsten Anlageperspektiven überhaupt. Öl-Aktien sind sehr billig. Ein Grund dafür ist, dass immer mehr institutionelle Investoren keine Aktien von Unternehmen halten dürfen, die fossile Energieträger fördern. Niemand will mehr Öl-Aktien kaufen, die Investoren verhalten sich, als wäre das Zeitalter der fossilen Energie vorbei.

Aber das ist es nicht?
Nein. Es ist eine Tatsache, dass die Nachfrage nach Öl vor allem aus den Schwellenländern noch jahrelang steigen wird. Wir stecken in dieser bizarren Situation, dass kaum mehr Anlagegeld in den Ölsektor fliesst und die grossen Ölkonzerne ihre Investitionen in neue Förderprojekte zurückhalten. Das bedeutet, das Angebot verknappt sich, während die Nachfrage weiter steigt.

In den vergangenen Jahren spielten die Schieferöl-Förderer in den USA die Rolle des marginalen Anbieters im Markt: Stieg der Ölpreis, weiteten sie ihre Produktion aus, und fiel der Preis, motteten sie ihre Anlagen ein. Ist das nicht ein Faktor, der den Ölpreis nach oben limitieren wird?
Ich höre immer mehr Stimmen, die sagen, die ergiebigsten Fracking-Felder in den USA seien allmählich erschöpft. Im vergangenen Jahr hat sich die Produktion der Fracking-Förderer markant verlangsamt. Wenn es stimmt, dass dahinter geologische Gründe liegen, dann wird es für Fracking-Unternehmen schwierig, ein globales Ungleichgewicht in Angebot und Nachfrage von Erdöl auszugleichen. Ich bleibe deshalb dabei: Energie ist der letzte wirklich günstig bewertete Sektor an den Börsen.