Howard Marks, Co-Chairman von Oaktree Capital, sagt, dass die Folgen der Coronavirus-Epidemie unmöglich abzuschätzen sind. Der legendäre Value-Investor rät deshalb zu Demut und erklärt, warum er Aktien gegenüber Staatsanleihen trotz den unsicheren Konjunkturperspektiven vorzieht.
Wenn sich Howard Marks zu Wort meldet, hören Investoren rund um den Globus genau zu. Das gilt umso mehr, nachdem die Börsen scharf korrigiert haben und die Zinsen auf zehnjährige Staatsanleihen in den USA erstmals unter 1% gefallen sind.
Doch wer vom Gründer der US-Investmentgesellschaft Oaktree Capital wissen will, wie es an den Finanzmärkten weitergeht, sieht sich enttäuscht. Marks braucht niemandem vorzugaukelen, dass er die Zukunft kenne.
«Es gibt keine Fakten, aus denen sich schliessen lässt, dass die Aktienmärkte nochmals 13% korrigieren. Oder, dass sie sich jetzt in gleichem Umfang erholen», hält er in einem aktuellen Memo an Oaktree-Kunden zur Covid-19-Epidemie fest.
Im Gespräch mit The Market teilt der Value-Spezialist seine Anlagephilosophie – und er sagt, wo er allenfalls Chancen für Engagements sieht.
Herr Marks, die Unsicherheit rund um die Coronavirus-Epidemie verängstigt die Börsen. Was raten Sie Investoren in diesem volatilen Markt?
Der grosse Mark Twain sagte es einst treffend: «Es ist nicht das, was Du nicht weisst, das Dich in Schwierigkeiten bringt. Vielmehr ist es das, was Du mit absoluter Sicherheit weisst, sich dann aber als falsch herausstellt.» Als Investoren dürfen wir nicht glauben, dass wir uns über etwas hundertprozentig sicher sind, besonders nicht heute. Niemand weiss, wie es mit dem neuen Coronavirus weitergeht und was die ökonomischen Auswirkungen sind. Wer also meint, die Antworten zu kennen, und darauf wettet, wird viel Geld verlieren, wenn etwas anderes passiert.
Was heisst das konkret für Anlageentscheide?
Ein Satz, der mit «Ich kann mich irren, aber ...» oder «Ich weiss es nicht, aber ...» beginnt, hat selten jemanden in Schwierigkeiten gebracht. Man muss sich darüber im Klaren sein, was man weiss und was nicht. Weiss man etwas und es stimmt tatsächlich, können hochprofitable Investments resultieren. Umso gefährlicher wird es aber, wenn man von etwas absolut überzeugt ist, das sich als falsch herausstellt. Entscheidend ist, den Unterschied zwischen diesen beiden Fällen zu kennen. Zu viele Leute haben eine zu hohe Meinung von ihrer eigenen Meinung.
Können wir denn wirklich nichts über die Auswirkungen der Epidemie sagen?
Nein, zu viel ist derzeit unbekannt und nicht prognostizierbar. Wir wissen nicht, wie lange dieser Ausbruch dauern wird, wie viele Menschen sich infizieren werden und viele sterben werden. Wie sollen wir so die Folgen für die Wirtschaft abschätzen können?
Dennoch warnen Experten, dass die Konjunktur einen dauerhaften Schaden erleiden wird.
Diverse Banken publizieren Prognosen, die auf die Kommastelle genau sagen, wie sich die Konjunktur im zweiten, dritten und vierten Quartal entwickeln wird. Wie zum Teufel wollen die das wissen? Sie fühlen sich wohl dazu verpflichtet, eine Prognose abzugeben. Auch mag das ihre bestmögliche Einschätzung sein. Die absolute Sicherheit, mit der solche Aussagen oft gemacht werden, ist jedoch absurd.
Wie fällen Sie demnach Ihre Investitionsentscheide?
Ich verspüre keinen Druck, eine Prognose machen zu müssen. Auch habe ich in meiner Karriere noch nie bereut, zu sagen, dass ich etwas nicht weiss. Manche glauben aber, sie könnten in unserem Geschäft nur erfolgreich sein, wenn sie so tun, als ob sie die Zukunft kennen. Das ist völliger Unsinn. Ökonomen oder Strategen sagen uns zwar präzis, wie sich die Märkte im nächsten Quartal entwickeln. Dass sie mit ihrer Prognose für die letzten vierzig Quartale beispielsweise aber nur 41% richtig lagen, verschweigen sie. Wer einen Vermögensverwalter wie mich engagiert, erkundigt sich als erstes nach meiner Performance. Bei Ökonomen spielt sie kaum eine Rolle. Man sagt daher auch, ein Ökonom sei ein Fondsmanager, der sein Portfolio nie zu Marktpreisen ausweisen muss.
In den letzten Wochen haben wir die grössten Kursschwankungen seit der Finanzkrise erlebt. Wie steht es um die mentale Verfassung der Märkte?
Weil wir nicht wissen, was an den Märkten als nächstes passiert, ist es umso wichtiger, zu verstehen, in welcher Laune sie sind. Im Privatleben schwanken unsere Gefühle meist zwischen «recht gut» und «weniger schön». Die Märkte hingegen machen viel extremere Schwingungen mit. Entweder ist ihre Stimmung «ausgezeichnet» oder «miserabel». In optimistischen Phasen hören wir oft, Aktien seien für Perfektion bewertet. Perfektion lässt sich aber selten erreichen und wenn überhaupt, hält sie nicht lange an. Entsprechend gross sind in einem solchen Umfeld die Risiken. Denken hingegen alle, dass die Lage ausweglos ist und es nie mehr aufwärts geht, eröffnen sich Chancen.
Und wie sieht es momentan aus?
Ich war schon seit Längerem der Ansicht, dass die US-Börsen anspruchsvoll bewertet sind. Dennoch sind die Kurse nicht eingebrochen. Gerechtfertigt wurde die Zuversicht stets mit den gleichen Argumenten: Die Perspektiven sind erbaulich, in Amerika läuft die Wirtschaft weltweit am besten, und Investoren haben angesichts der tiefen Zinsen keine Alternative, als in Aktien zu investieren. Herrscht derart viel Optimus, kann die Stimmung rasch drehen.
Das haben wir gerade erlebt.
Dennoch konnte sich bis vor Kurzem kaum jemand vorstellen, dass etwas Schlimmes passieren würde. In den letzten Wochen hat sich gezeigt, wie rasch ein exogener Schock Angst vor einer Rezession auslösen kann. Ein solcher Katalysator kann scheinbar aus dem Nichts kommen, wie dieses Virus: Das unvorstellbare Ereignis ist plötzlich Realität, und es ist furchterregend.
Sie hatten auch Anfang 2000 vor den Übertreibungen der Internetblase gewarnt. Gibt es Parallelen zwischen den damaligen Exzessen und der Mentalität, wie sie im Vorfeld dieser Korrektur vorherrschte?
Damals dachten die Leute ebenfalls, die Zukunft sei perfekt. Für Internetaktien war kein Preis zu hoch. Eine solche Einstellung ist immer gefährlich. So riskant wie Anfang 2000 oder 2007 vor dem Platzen der Immobilienblase war das Umfeld zuletzt aber nicht. Dermassen massive Exzesse hat es nicht gegeben, seit diese Hausse vor elf Jahren begann. Amerikanische Aktien waren von 2009 bis 2012 günstig, von 2012 bis 2016 fair bewertet und seit 2016 wohl etwas überteuert.
Und was ist mit dem Bondmarkt? Die Rendite auf zehnjährige US-Staatsanleihen ist sogar deutlich unter 1% gefallen. Ist das nicht ein Anzeichen für Übertreibungen?
Die Zinsen in den USA bewegen sich nun fast auf dem gleichen Niveau wie in Europa und Japan. Zwischen weniger als 1% und negativ gibt es keinen grossen Unterschied. Ich wüsste aber nicht, weshalb ich langfristige Staatsanleihen kaufen sollte. In den tiefen Zinsen manifestiert sich enorme Angst. Wer sich im Bondmarkt nicht gut auskennt, denkt daher wohl, dass man mit US-Staatsanleihen kein Geld verlieren kann. Das Argument lautet: Wenn ich 100 $ in Treasuries investierte, erhalte ich selbst bei so tiefen Renditen in zehn Jahren immerhin knapp 110 $ zurück.
Was ist daran falsch?
Mit diesem Geld kann man ebenso gut Aktien von attraktiven Unternehmen kaufen. Die entscheidende Frage ist damit, wie viel ich mit 100 $ in zehn Jahren verdiene, wenn ich an der Börse investiere. Die Dividendenrendite beim S&P 500 beträgt gegenwärtig 2%. Zudem haben diese Konzerne Wachstumspotenzial. Unter solchen Voraussetzungen wie heute wette ich deshalb jederzeit auf den S&P 500 gegenüber zehnjährigen Treasuries.
Das Risiko besteht aber auch, dass die Aktienkurse weiter einbrechen, wenn sich die Krise verschlimmert.
Prinzipiell gibt es zwei Szenarien. Erstens, die Lage normalisiert sich, und die Börsen erholen sich rasch. Zweitens, die Welt verändert sich fundamental, und wir passen uns an; zum Beispiel, indem wir weniger in Läden einkaufen. Ein Online-Händler wie Amazon beispielsweise würde von einer solchen Entwicklung profitieren. Dennoch notieren die Aktien von Amazon tiefer als vor zwei Wochen.
Spricht das für Engagements?
Zu diesem Preis ist Amazon für mich wesentlich attraktiver als zehnjährige Staatsanleihen. Ich weiss zwar nicht, wo die Börsen morgen, in einer Woche, in einem Monat oder in einem Jahr stehen - und wer behauptet, er wisse es, sollte sein Gehirn untersuchen lassen. Ich setzte aber gerne darauf, dass Aktien wie Amazon oder Google in zehn Jahren mehr wert sind als heute.
Wie lässt sich feststellen, wann ein guter Zeitpunkt zum Kaufen ist?
Worauf es wirklich ankommt, sind die Proportionen der aktuellen Korrektur im Vergleich zur Veränderung der Fundamentaldaten. Kurzfristig gibt es nie eine Garantie für Erfolg. Auf lange Sicht gibt es aber kein besseres Rezept, als den inneren Wert eines Unternehmens ins Verhältnis zu seinem Aktienkurs zu stellen. Wer auf kurze Sicht agiert, macht nicht viel mehr, als zu raten und zu spekulieren. Echte Chancen eröffnen sich hingegen mit langfristigen Investments. Man wird zwar Höhen und Tiefen mitmachen. Solange man die Nerven behält und nicht auf dem Tief verkauft, wird man es aber nicht bereuen.
Wie attraktiv sind Aktien denn jetzt bewertet?
Gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis sind die Bewertungen leicht höher als im historischen Mittel. Die Qualität der Unternehmensgewinne ist vielleicht nicht so gut wie früher. Andererseits rechtfertigen die tiefen Zinsen aber eine gewisse Prämie. Vor den Turbulenzen belief sich das KGV für den S&P 500 auf 19. Derzeit beträgt es etwa 17, und der Durchschnitt für die Nachkriegszeit bewegt sich zwischen 15 bis 16. Zum Vergleich: 2000 stieg das KGV auf 32. Die Bewertungen sind also nicht verrückt.
Wie sollen Investoren demnach vorgehen?
Wer Aktien zu den heutigen Bewertungen kauft, muss mit Schwankungen rechnen. Mit Investments in guten Unternehmen steht man in zehn Jahren aber wohl besser da als heute. Bei Staatsanleihen lässt sich das nicht sagen. Der Zeitpunkt für begrenzte Engagements scheint damit vernünftig. Falls die Kurse aber weiter sinken, darf man sich nicht von Emotionen leiten lassen. Ebenso wird es sich in diesem Fall auszahlen, wenn man über ausreichend Liquidität verfügt, um noch mehr Aktien kaufen zu können.
In einem Memo mit dem Titel «Dieses Mal ist es anders» haben Sie letzten Sommer ausdrücklich auf die begrenzten Möglichkeiten der Geldpolitik hingewiesen, um die Wirtschaft zu stützen. Was halten Sie von der notfallmässigen Zinssenkung der US-Notenbank?
Das Federal Reserve ist den vergangenen zwanzig Jahren zu aktiv geworden. Es hat versucht, zu viele Probleme zu lösen oder zu verhindern. Infolgedessen verlassen sich Anleger zu stark auf die Geldpolitik. Jedes Mal, wenn das Rezessionsrisiko stieg, hat das Fed die Zinsen tiefer und tiefer gesenkt. Auch hat es Gelegenheiten verpasst, sie wieder zu erhöhen.
Was hat das für Konsequenzen?
Anders als in früheren Zyklen besteht kaum mehr Spielraum, die Zinsen in bedeutendem Umfang zu senken. Daraus resultiert eine gefährliche Situation: Obschon sich Amerika in einer Phase wirtschaftlichen Wohlstands befindet, notieren die Zinsen auf nahezu null, und die Staatsschulden wachsen jährlich um 1000 Mrd. $. Einen Abschwung wünscht sich niemand. Dass wir nun aber alle Munition verpulvert haben, um eine Rezession zu verhindern, dürfte sich als unklug erweisen.
Wie sollten Investoren unter diesen Bedingungen ihr Portfolio ausrichten?
Man muss sich fragen, wie sich die aktuelle Risikoneigung des Portfolios im Vergleich zum Normalzustand verhält. Das ist der entscheidende Punkt: Ich empfehle schon seit ein paar Jahren, weniger ins Risiko zu gehen als üblich. Wer eine weniger riskante Strategie wählt, wird gut fahren. Ist das Gegenteil der Fall, ist man für dieses Umfeld nicht adäquat positioniert.