Michael Pieper, Inhaber der Artemis Group, sagt im Interview, dass von seinen Beteiligungen speziell der Zulieferer Feintool unter der Debatte um die Elektromobilität leide. Er glaubt, dass Hybridautos die Lösung sein werden.
Die Autoindustrie steckt in einem Abschwung. Für Verunsicherung sorgt unter anderem die Frage um den Antrieb der Zukunft. Michael Pieper ist in dem Sektor stark engagiert. Seine Artemis Group hält massgebliche Beteiligungen an Autoneum, Feintool und Adval Tech. Die Aktien dieser Autozulieferer haben innerhalb eines Jahres 27 bis 47% verloren.
Besonders die Feintool-Titel leiden unter den unsicheren Perspektiven des Verbrennungsmotors. Pieper sieht seine Unternehmen indessen gut aufgestellt. Er geht davon aus, dass die Lösung letztlich in hybriden Antriebsformen liegt, auch wenn der Marktanteil von Elektromotoren steigen werde.
Vor der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA), die morgen Donnerstag in Frankfurt beginnt, sind die Nerven in der Branche jedoch angespannt. Die Autohersteller haben Absatzprobleme, die sie ihre Zulieferer spüren lassen. Während diese maximale Produktionskapazitäten bereitstellen müssen, können ihre Kunden die Nachfrage an den Marktverhältnissen ausrichten. Pieper sagt, er habe das Ausmass dieses Handorgeleffekts unterschätzt.
Die Verunsicherung infolge des Handelskonflikts lassen dem 73-Jährigen ebenfalls keine Ruhe: «Das trifft auch Rieter.» Am Textilmaschinenbauer ist er mit fast 12% beteiligt. Generell spürt Pieper in seiner Gruppe «eine starke Verunsicherung in allen Märkten». Für den Unternehmer eröffnen sich in schlechten Zeiten aber auch «Opportunitäten».
Herr Pieper, alle spekulieren, ob uns eine Rezession bevorsteht. Wie stufen Sie die Gefahr ein?
Dass eine weltweite Rezession bevorsteht, sehe ich zurzeit noch nicht. Aber wir spüren in unserer Gruppe eine starke Verunsicherung in allen Märkten und eine grosse Investitionszurückhaltung, zum Beispiel im Pressengeschäft von Feintool oder bei den Spinnereimaschinen von Rieter. Die grossen Kunden warten alle zu, und das drückt die Stimmung.
Was ist denn das Wichtigste während eines Abschwungs, auf was müssen die Manager vor allem achten?
Sie müssen darauf achten, dass die Rentabilität nicht einbricht. Da kann man mit Kostensenkungen entgegenwirken. Zudem muss das Unternehmen liquid sein, sodass es nicht in eine Abhängigkeit von Dritten, von Banken, gerät. Das ist für mich das A und O.
Aber Autoneum zum Beispiel hat eine hohe Nettoverschuldung von 688 Mio. Fr. und eine für einen Autozulieferer relativ tiefe Eigenkapitalquote von 30%.
Mit dem neuen Rechnungslegungsstandard IFRS 16 zu Leasingverträgen sind die Nettoschulden von Autoneum um gut 300 Mio. Fr. gestiegen. Wenn die Autoneum-Gruppe einen Auftrag bekommt, wie von BMW in Spartanburg in South Carolina, braucht sie nebenan eine Fabrik. Sie kauft dann aber nur die Maschinen. Land und Gebäude mietet sie, und die Mietverträge werden nach IFRS 16 als Schulden angerechnet. Das muss man theoretisch herausrechnen, weil es keine verzinsbaren Schulden sind.
Abgesehen davon, wie hoch sollte die Eigenkapitalquote bei zyklischen Unternehmen, wie Autoneum, sicherheitshalber sein?
Eine Eigenkapitalquote von 45 bis 50% ist ideal, ohne verzinsliche Verschuldung. Aber bei Autoneum ist nicht das Eigenkapital kritisch, sondern die Ertragslage, speziell in Nordamerika. Gehen Sie davon aus, dass dort bereits entsprechende Massnahmen in die Wege geleitet wurden.
Die globale Autoindustrie ist im Abwärtstrend. Haben Sie Angst um ihre Beteiligungen an Zulieferern wie Autoneum oder Feintool, die anfällig auf zyklische Schwankungen sind?
Diese Unternehmen sind gut aufgestellt, von daher müssen wir einfach durch. Grundsätzlich verfügen die Zulieferer Autoneum oder Feintool über grosse Aufträge, nur die Abrufe der Kunden sind zurzeit zu tief.
Dann liegt das Problem darin, dass die Zulieferer für die Autohersteller Maximalvolumen zur Verfügung stellen müssen . . .
. . . von denen aber, wenn es zu einem Abschwung kommt, vielleicht nur 70% abgerufen werden. Das ergibt einen Handorgeleffekt. Der Zulieferer baut Kapazitäten auf aufgrund von Aufträgen. Doch die Hersteller haben nachher nicht die Verpflichtung, 100% davon abzurufen. Das ist ein Problem, dessen Ausmass ich zuvor nicht realisiert habe.
Gerade Feintool hat in den vergangenen Jahren viel investiert. War dieses Verhalten zu prozyklisch?
Man hat vielleicht die Rezessionsgefahr nicht so deutlich gesehen. Aber Feintool hat nicht spekulativ investiert. Die Kapazitäten sind aufgrund unterschriebener Aufträge aufgebaut worden, auch von allen grossen Herstellern in China.
Für Verunsicherung im Markt sorgt auch die Frage, wohin die Entwicklung geht und inwieweit der Verbrennungs- vom Elektromotor verdrängt wird.
Das ist ein Thema, über das wir viel diskutieren. Autoneum muss zwar gewisse hausgemachte Probleme lösen, da machen auch die Aktionäre Druck. Aber technisch und strategisch ist das Unternehmen gut aufgestellt. Es ist im Lärm- und Hitzemanagement tätig. Ein Benzin- oder Dieselmotor erzeugt Wärme. Der Elektromotor ist eiskalt und er verursacht einen anderen Lärm, ein schrilles Pfeifen. Das gibt uns viele neue Möglichkeiten.
Und Feintool?
Feintool ist wesentlich auf Teile für den Antrieb ausgerichtet. Da stellt sich schon die Frage, wohin die Entwicklung geht. Aber Feintool ist gut vorbereitet, hat modernste Werke. 2018 kaufte sie die deutsche Stanz- und LaserTechnik Jessen, die Elektrobleche stanzt für den Stator im Elektromotor.
Trotzdem produziert Feintool viele Teile für Verbrennungsmotoren, die in Elektromotoren nicht mehr gebraucht würden. Oder glauben Sie, dass der Wandel zu Elektroautos nicht so schnell vor sich geht?
Der Elektromotor wird schon etwas wegnehmen vom Benziner und vom Diesel, aber nicht so schnell, weil die Batterie zu schwer ist, zu wenig Ladestationen vorhanden sind, das Aufladen zu lange geht und die Reichweite zu kurz ist. Zudem ist das Recycling der Batterie in allen Aspekten noch nicht gelöst.
Wohin geht dann die Entwicklung?
Wir glauben, dass Hybridautos die Lösung sein werden. Dazu haben wir auch eine Analyse machen lassen durch ein grosses Beratungsunternehmen, das stark im Automobilbereich tätig ist. Die Berater sehen natürlich, dass der Anteil von Elektromotoren steigen wird. Die Alternative zum reinen Verbrenner ist der Hybrid. In der Stadt fährt man mit dem Elektromotor, auf den Überlandstrassen mit dem Benzinantrieb. Das zeigen unsere Analysen, und wir kämpfen dafür, dass wir die richtigen Technologien im Haus zu haben.
Wird zu viel Wirbel um Elektroautos gemacht?
Es ist ein Hype, der wieder abnehmen kann. Die Technologie vom Benziner und vom Diesel ist weiter fortgeschritten als die von der Batterie. Feintool ist technologisch eine hervorragende Gesellschaft, aber sie hat wegen dieses Elektro-Hypes gelitten.
Sie sind auch mit 11,6% am Spinnmaschinenhersteller Rieter beteiligt. Im wichtigen Markt Türkei ist sein Umsatz im ersten Halbjahr um 58% eingebrochen.
Rieter ist historisch stark in der Türkei. Das Land ist eine Wirtschaftsmacht, mit gut ausgebildeten und motivierten Leuten. Aber die politischen Unruhen tun der Türkei nicht gut, speziell auch die unternehmerischen Freiheiten sind eingeschränkt. Das darf nicht zu lange dauern, sonst hat es einen bleibenden Schaden zur Folge.
Die türkische Lira hat enorm an Wert verloren, was hat das für Folgen?
Das ist ein Problem. Türkische Unternehmen sind stark in Dollar verschuldet. Unsere Kunden erhalten praktisch keine Finanzierungen mehr, um kaufen zu können. Ausländische Banken vergeben fast keine Kredite mehr, die türkischen sind zum Teil angeschlagen.
Wie sehen Sie die Risiken für Rieter im Handelskonflikt zwischen China und den USA?
Ein grosser Kunde von Rieter produziert mit seinen Spinnereien in China und beliefert in einem wesentlichen Ausmass US-Kunden. Er sagte, per Anfang Jahr hätten die Amerikaner den Kauf von Garn in China reduziert und Ende Jahr würden sie nochmals reduzieren. Die Abnehmer weichen in andere Länder aus, wie zum Beispiel Vietnam und Bangladesch. Spinnereien zügeln ihre modernen Maschinen dorthin, die alten verschrotten sie in China. Zwei, drei chinesische Anbieter investieren zurzeit massiv in Amerika. Es gibt in der Textilindustrie eine Verunsicherung, das trifft auch Rieter.
Arbonia und Forbo, bei denen Sie jeweils der mit Abstand grösste Aktionär sind, sind ganz oder zum Teil von der Bauindustrie abhängig. Kann der Bauboom noch lange weitergehen?
Arbonia ist in der Schweiz, in Deutschland, Österreich, Polen, Tschechien und der Slowakei stark, für diese Länder bin ich immer noch sehr zuversichtlich. Zudem sind die Wohngebäude ein Klimakiller, dort passiert der grosse Energieverlust. Mit einem Angebot an besseren Türen, besseren Fenstern und Wärmepumpen sehe ich für Arbonia eine grosse Zukunft.
Und für Forbo?
Die Forbo-Gruppe macht einen Drittel des Umsatzes mit Transportbändern. Da sind ihre globalen Kunden Flughäfen oder Logistikzentren. Das läuft alles gut. Im Bereich Flooring Systems, den Bodenbelägen, stammt ein grosser Anteil des Umsatzes von Spitälern, Schulen, Universitäten, Kinderheimen oder Alterssiedlungen, die alle nach wie vor investieren. Klar, wenn es einen Einbruch in der Baukonjunktur gibt, leiden Arbonia und Forbo darunter. Aber strategisch stehen sie gut da. Und Forbo ist gesund. Arbonia hat sich stark verbessert, ist aber noch nicht am optimalen Punkt. Doch das kommt.
Nachdem oft die Rede vom Investitionsverhalten der Kunden Ihrer Unternehmen gewesen ist, wie stark investiert Ihre Artemis Group noch?
Über die letzten zehn Jahre investierten wir massiv. Seit etwa neun Monaten sind wir ebenfalls, wie andere, zurückhaltend, vor allem bei grösseren Investitionen. 2018 investierten wir mit der Artemis Group 400 Mio. Fr. oder etwa 12% des Umsatzes. In diesem Jahr werden es ca. 250 Mio. Fr. sein, also rund 40% weniger.
Sie selbst sind stark in zyklischen Unternehmen engagiert, fühlen Sie sich dennoch gut diversifiziert?
Ich finde, wir haben eine gut diversifizierte Gruppe. Mit Franke, Arbonia und Forbo verfügen wir über ein starkes Standbein in der Bauzulieferindustrie. Dann besitzen wir ein bedeutendes Immobilienportfolio in der Schweiz, Europa und den USA. In der schwierigsten Lage befinden sich derzeit die Autozulieferer, für sie hat sich das Umfeld schneller verschlechtert, als wir erwartet hatten. In der Autoindustrie hat der Abschwung vor einem Jahr eingesetzt. In der Bauindustrie ist die Konjunkturlage immer noch gut, in diesem Sektor nehmen die Schwankungen einen trägeren Verlauf.
Die Aktienkurse vieler, vor allem zyklischer Unternehmen sind stark gesunken. Ist es für Sie ein guter Zeitpunkt, um nach Kaufgelegenheiten Ausschau zu halten?
Natürlich schauen wir uns um. Schlechte Zeiten eröffnen auch Opportunitäten. Franke hat einige Konkurrenten, die stark sind, aber nicht so gut finanziert. Dort gibt es vielleicht Chancen, zuzugreifen. Aber wir müssen auf die Liquidität in unserer Gruppe schauen. Man muss sich in einer Zeit erhöhter Unsicherheit gut überlegen, ob man ein neues Abenteuer eingehen und dafür Schulden aufnehmen will.
Stark gesunken sind auch die Aktienkurse von Autoneum, Rieter und Co. Da Sie von der Qualität dieser Unternehmen überzeugt sind, wäre es nicht naheliegend, die Beteiligungen auszubauen?
Ich bin nicht mehr der Jüngste und habe eine enge Beziehung zu meinen Kindern, die mir sagen, dass ich schon genug Beteiligungen hätte. Das spricht gegen den Ausbau der Beteiligungen. Bezüglich Franke würde ich es mir schon wünschen, den Umsatz von zurzeit über 2,1 Mrd. Fr. bis in fünf Jahren auf 3 oder 4 Mrd. Fr. über organisches und akquisitorisches Wachstum zu steigern. Um dieses Ziel zu erreichen, wären Ergänzungsübernahmen in allen Franke-Divisionen sinnvoll.
Wie sehen Sie den Produktionsstandort Schweiz, mit Blick auf die Frankenstärke?
Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Schweizerische Nationalbank mit Thomas Jordan intervenieren wird, wenn der Franken zu stark wird. Davon bin ich überzeugt. Der Produktionsstandort Schweiz ist gut, aber nicht mehr für alle Industrien wie zum Beispiel Textil- und Papierfabriken. Aber er ist gut für Spitzentechnologie, für Medizinaltechnik, Health Care oder Chemie. Auch Franke hat die Spitzentechnologie, die bei uns die Kaffeemaschinen sind, in der Schweiz konzentriert, mit einer Entwicklungsabteilung, die über fünfzig Mitarbeiter umfasst.
Angesichts all der angesprochenen Risiken, was ist für Sie die grössere Gefahr: US-Präsident Donald Trump mit dem von ihm initiierten Handelskonflikt oder die Notenbanker, die mit ihrer Tiefzinspolitik dafür sorgen, dass die Verschuldung allerorten in die Höhe geht?
Beides ist gefährlich. Aber ich glaube auch, dass Trump ein Politiker ist, der weitgehend das macht, was er bei der Wahl versprochen hat, bezüglich den Steuersenkungen und anderer Themen. Er ist ein Unternehmer mit dem Motto: «Let’s make a deal.» Der US-Botschafter in Bern, Ed McMullen, ist ein toller Mensch, extrem engagiert, für Schweizer Firmen sehr hilfreich und jederzeit verfügbar.