Interview

«Die Zentralbanken schiessen sich selbst immer wieder in den Fuss»

William White, früherer Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, geht hart ins Gericht mit der Politik der Zentralbanken. Für die Verarbeitung der aktuellen Krise müsse die Fiskalpolitik übernehmen.

Mark Dittli
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William White hat in seinem Berufsleben viel gesehen. Fast fünfzig Jahre arbeitete er für Zentralbanken, zuletzt für die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel, wo er bis 2008 Chefökonom war. Er zählte zu den wenigen Warnern, die damals die Finanzkrise kommen sahen.

Heute kritisiert der Kanadier die Zentralbanken. Sie hätten die vergangenen drei Jahrzehnte eine falsche Politik verfolgt, die immer höhere Schulden und grössere Instabilitäten im Finanzsystem verursacht habe.

Er schlägt vor, die aktuelle Krise für ein Umdenken zu nutzen, um ein stabileres Wirtschaftssystem aufzubauen; eines, in dem die Fiskalpolitik eine grössere Rolle spielt und das mehr auf produktive Investitionen baut. Im Interview sagt er, was zu tun ist – und er fordert von den Entscheidungsträgern mehr Demut: «Wir wissen viel weniger über die Wirtschaft, als wir zu wissen glauben.»

«Die Zentralbanken schaffen Instabilitäten, dann müssen sie das System in der Krise retten, und dadurch schaffen sie noch mehr Instabilitäten»: William White.

«Die Zentralbanken schaffen Instabilitäten, dann müssen sie das System in der Krise retten, und dadurch schaffen sie noch mehr Instabilitäten»: William White.

(Bild: zvg)

Herr White, die Pandemie hat die tiefste Rezession seit Jahrzehnten verursacht. Wie beurteilen Sie die Massnahmen der Fiskal- und Geldpolitik zur Linderung der wirtschaftlichen Schäden?

Die Pandemie zeigt uns einmal mehr, wie wenig wir wissen. Wir haben es mit einem hohen Mass an Ungewissheit über ihren Verlauf zu tun, und wir alle brauchen eine Dosis Demut. Nach diesen Vorbemerkungen würde ich sagen, dass es richtig war, die fiskalpolitischen Schleusen zu öffnen, um einen Absturz der Wirtschaft zu verhindern. Ich bin dagegen skeptisch, ob eine noch lockerere Geldpolitik die richtige Antwort auf einen Schock dieser Art ist. In der Tat hoffe ich, dass wir diese Krise nutzen, um uns ernsthaft zu überlegen, ob die Geldpolitik der letzten dreissig Jahre mehr Schaden als Nutzen angerichtet hat.

Bleiben wir zunächst bei der Fiskalpolitik: Wann ist der richtige Zeitpunkt, die Unterstützung zu drosseln?

Sicher nicht jetzt. Der Handlungsspielraum der Fiskalpolitik kann noch vergrössert werden. Die Bondmärkte sind weit geöffnet. Die Regierungen sollten das Umfeld nutzen, um Geld mit langer Laufzeit zu günstigen Konditionen aufzunehmen.

Sind Sie nicht besorgt über die steigende Staatsverschuldung?

Was ich mir wünsche, sind klare Richtlinien von Regierungen darüber, wie sie beabsichtigen, den Schuldenstand in Zukunft wieder zu senken. Ich spreche hier nicht von einer Schuldenbremse nach schweizerischem Vorbild, sondern von Leitlinien über künftige Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen. Aber jetzt ist nicht die Zeit für Sparmassnahmen. Um es mit den Worten des heiligen Augustinus sagen: Herr, gib mir Keuschheit – aber noch nicht jetzt. Das war der grosse Fehler nach der Finanzkrise: Die meisten Regierungen setzten zu früh auf Austerität und überliessen es den Zentralbanken, die Wirtschaft in Gang zu bringen. Das ist seit dreissig Jahren das Muster.

Wie meinen Sie das?

Einst wurde akzeptiert, dass die Fiskalpolitik eine produktive Rolle in der Bewältigung einer schweren Rezession spielen kann. Das hat uns Keynes gelehrt. Aber in den Achtzigerjahren änderte sich das Glaubenssystem, die Fiskalpolitik geriet in Ungnade. Gleichzeitig wurde die Geldpolitik, beginnend 1987 mit Alan Greenspan an der Spitze des Fed, zum bevorzugten Instrument in allen Arten von Krisen.

Und das war falsch?

Wir befinden uns auf einem Pfad, auf dem die Geldpolitik als Instrument zur Förderung des realen Wirtschaftswachstums zunehmend unwirksam geworden ist. Jede Krise seit 1987 wurde mit monetärer Lockerung beantwortet. Das führte laufend zu höheren Schulden und wachsenden Instabilitäten im Finanzsystem – mit der Folge, dass die nächste Krise jeweils grösser war als die vorherige und grössere Interventionen erforderte. Da die Zentralbanken die Zinsen aber im Aufschwung nie so stark erhöhten, wie sie sie im Abschwung zuvor gesenkt hatten, nahm die Effektivität ihrer Interventionen laufend ab.

Im März 2020 stand das Finanzsystem am Rand des Zusammenbruchs, an den Märkten herrschte Panik. Die US-Notenbank beruhigte die Situation, indem sie ankündigte, Unternehmensanleihen zu kaufen. Ist das nicht der Beweis dafür, dass die Geldpolitik sehr effektiv ist?

Diese Episode fasst perfekt zusammen, was mit unserer Geldpolitik nicht stimmt. Das Fed hatte keine andere Wahl, als einzugreifen, um eine Kernschmelze zu verhindern. Aber diese drohende Kernschmelze war eine direkte Folge der Geldpolitik der Jahre zuvor. Indem die Zentralbanken mit zu niedrigen Zinssätzen versuchen, Wirtschaftswachstum zu schaffen, verführen sie Unternehmen und Haushalte dazu, mehr Schulden aufzunehmen. Zum Grossteil wurden diese Schulden aber nicht für produktive Investitionen, sondern für den Konsum oder, besonders in den USA, für den Rückkauf von Aktien verwendet. Das führt zu zunehmenden Instabilitäten im Finanzsystem. Diese Instabilitäten eskalierten im März, und das Fed musste die Panik stoppen. Die Zentralbanken schaffen Instabilitäten, dann müssen sie das System in der Krise retten, und dadurch schaffen sie noch mehr Instabilitäten. Sie schiessen sich selbst immer wieder in den Fuss.

Sind die Zentralbanken am Ende ihrer Möglichkeiten angelangt?

Lesen Sie, was Bill Dudley, früherer Präsident der Fed-Distriktnotenbank New York, vor einigen Wochen auf Bloomberg schrieb. Er warnt, den Zentralbanken gehe die Feuerkraft aus, und er warnt vor schlimmen Nebenwirkungen. Ich stimme jedem Wort zu. Das ist der gefährlichste Effekt der letzten dreissig Jahre Geldpolitik: Der Schuldenstand hat sich ständig erhöht, und damit auch die Instabilitäten im System.

Fed-Chef Powell hat versucht, die Geldpolitik zu normalisieren, musste aber nach der Marktpanik Ende 2018 stoppen. Ist das Fed zur Geisel der Börsen geworden?

Das ist meine Definition der Schuldenfalle: Die Zentralbanker wissen, dass sie die Zinsen nicht so niedrig belassen können, weil sie damit noch mehr faule Schulden und schlechtes Verhalten induzieren. Aber sie können die Zinsen nicht erhöhen, weil sie dann genau die Krise auslösen würden, die sie zu vermeiden versuchen. Sie sind gefangen.

Nach der Finanzkrise von 2008 wurde viel über die Entschuldung des Systems gesprochen. Es ist nichts passiert. Warum nicht?

2008 betrug das Verhältnis der weltweiten Verschuldung der Haushalte, Unternehmen und Staaten zum BIP 280%. Anfang 2020 war es auf 330% angestiegen. Nicht nur die Quantität der Schulden ist problematisch, sondern auch die Qualität. Der grösste Teil der neuen Unternehmensschulden hat ein BBB-Rating. Der Grund dafür ist die ultralockere Geldpolitik, die wir nach 2008 erlebt haben. Die Regierungen sind - wie erwähnt - fiskalpolitisch zu früh auf die Bremse getreten und haben den Zentralbanken die Aufgabe überlassen, Wirtschaftswachstum zu schaffen. Das war ein Fehler, den wir jetzt vermeiden müssen.

Die Zentralbanken argumentieren seit Jahren, ihre Geldpolitik sei notwendig, weil die Inflation zu niedrig ist. Zu Recht?

Nein, das war ein Irrtum. Seit Ende der Achtzigerjahre hatten wir eine Reihe positiver Angebotsschocks, allen voran die Etablierung Chinas als Produktionsstandort sowie den Zusammenbruch des Sowjetblocks. Mehrere hundert Millionen Arbeiter traten so in die kapitalistische Weltwirtschaft ein. Das wirkte stark disinflationär.

Also haben die Zentralbanken eine Disinflation bekämpft, die im Grunde gutartig war?

Genau. Es gibt Zeiten niedriger Inflation oder Deflation, die für die Zentralbanken kein Grund zur Sorge sein sollten. Was soll daran falsch sein, wenn die Preise aufgrund von Produktivitätssteigerungen sinken? Produktivitätssteigerungen bringen Unternehmen höhere Gewinne und niedrigere Preise, was den Konsumenten zu Gute kommt. Es gibt eine reiche Vorkriegsliteratur zum Thema der gutartigen Deflation, aber unsere Zentralbanker haben das vergessen.

Das Fed änderte sogar sein Mandat, um «durchschnittlich 2% Inflation» zu erreichen. Was halten Sie davon?

Wenn mangelnde Nachfrage und hohe Arbeitslosigkeit herrscht, dann ist lockere Geldpolitik durchaus sinnvoll. Meine Kritik ist, dass die Zentralbanken über Jahre alles getan haben, um eine gefühlte Unterschreitung der Inflationsrate zu bekämpfen, unabhängig von ihrer Ursache. Sie haben alle Register gezogen, bis hin zu Negativzinsen, was in Europa das Bankensystem geschwächt hat. Der frühere Fed-Chef Paul Volcker hat oft darauf hingewiesen, wie ungenau die Messung der Inflation ist. Und doch sind unsere Zentralbanker bereit, alle Mittel auszuschöpfen, um sie punktgenau zu steuern. Das ist schwer zu rechtfertigen.

Kann es überhaupt noch eine Normalisierung der Geldpolitik geben?

Es gibt keine Rückkehr zu einer Form von Normalität, wenn wir uns nicht mit dem Schuldenüberhang befassen. Das ist der Elefant im Raum. Wenn wir uns einig sind, dass die Geldpolitik der letzten dreissig Jahre einen immer grösseren Schuldenberg und immer grössere Instabilitäten im System geschaffen hat, dann müssen wir dieses Problem lösen. Der Schuldenüberhang muss weg.

Wie soll das gehen?

Theoretisch gibt es vier Möglichkeiten, einen Schuldenüberhang abzubauen. Erstens: Haushalte, Unternehmen und Regierungen sparen mehr, um Schulden zurückzuzahlen. Aber wir wissen, dass man dadurch in das von Keynes beschriebene Paradox der Sparsamkeit gerät, in dem die Wirtschaft kollabiert. Zweitens: Sie können versuchen, sich durch höheres reales Wachstum einen Weg aus dem Schuldenüberhang zu bahnen. Aber wir wissen, dass genau dieser Schuldenüberhang das reale Wachstum behindert. Natürlich sollten wir versuchen, durch Strukturreformen das Wachstumspotenzial zu erhöhen, aber das wird uns nicht retten. Damit bleiben zwei Wege: Höheres Nominalwachstum – also Inflation –, oder der Versuch, faule Schulden durch Abschreibung loszuwerden.

Welcher Weg wird es sein?

Wahrscheinlich eine Kombination, aber alle diese Wege sind sehr mühsam. Eine Reihe von Entscheidungsträgern versucht, die Schulden über Inflation zum Verschwinden zu bringen. So haben sie es nach dem Zweiten Weltkrieg getan; durch das, was wir heute finanzielle Repression nennen: Man versucht, die Inflation über das Zinsniveau zu heben, dann sinkt die Schuldenquote allmählich.

Einige namhafte Ökonomen schlagen genau das vor: Inflationsraten von 4 bis 8% über mehrere Jahre, während die Zentralbanken einen Anstieg der Zinsen verhindern.

Ja, das sagen Leute wie Larry Summers und Olivier Blanchard. Vielleicht ist das möglich. Ich halte es aber für gefährlich, von der Annahme auszugehen, die Natur der Wirtschaft sei verständlich und damit kontrollierbar. Ich sehe die Wirtschaft als komplexes, adaptives System, voller Kipppunkte. Wir sollten nicht davon ausgehen, dass wir es kontrollieren können. Vielleicht erweist es sich unter depressiven Umständen als unmöglich, die Inflation zu erhöhen, vielleicht steigt sie aber auch plötzlich höher, als uns lieb ist.

Die finanzielle Repression nach dem Weltkrieg hatte eine weitere Voraussetzung: Kontrollen, um Kapitalflucht zu verhindern. Wäre das heute praktikabel?

Als ich in den späten Sechzigern bei der Bank of England zu arbeiten begann, war die grösste Abteilung dort die Kapitalverkehrskontrolle. Doch ist es heute in der modernen, vernetzten Welt für eine Regierung möglich, die Kapitalflüsse so zu kontrollieren, wie es nötig wäre? Ich bezweifle es. Was passiert, wenn eine Reihe grosser Staaten gleichzeitig den Weg der finanziellen Repression einschlägt? Wohin kann das Kapital dann fliehen? Gold? Bitcoin? In diesem Umfeld würde ich mir als Schweizer Sorgen machen, da viele Investoren den Franken als Fluchtwährung sehen. Finanzielle Repression hat das Potenzial, in einen chaotischen Prozess auszuarten.

Was ist mit der vierten Möglichkeit: Umschuldungen und Abschreibungen?

Das ist der Weg, den ich empfehle: Das Problem anpacken, versuchen, die faulen Schulden zu identifizieren und sie so geordnet wie möglich umstrukturieren. Leider wissen wir aber, wie schwierig es ist, Gläubiger und Schuldner zusammenzubringen, um das Problem kooperativ zu lösen. Unsere derzeitigen Verfahren sind unzureichend.

Wie kommt das?

Zwei Beispiele: Es war klar, dass der beste Weg für Griechenland nach der Krise von 2010 ein umfassender Schuldenerlass als Gegenleistung für Strukturreformen war. Die Entscheidungsträger in Berlin und Brüssel konnten sich aber nie auf die Höhe des notwendigen Schuldenerlasses einigen, und so stürzten sie Griechenland in eine destruktive Austeritätsspirale. Oder schauen Sie die heutige Staatsverschuldung in Subsahara-Afrika an: Ein Grossteil davon muss abgeschrieben werden, sonst werden diese Länder gezwungen sein, den Schuldendienst auf Kosten ihrer Gesundheitsversorgung zu leisten – ein Rezept für menschliche Katastrophen. Wir haben es aber mit öffentlichen, privaten und chinesischen Gläubigern zu tun, die darum konkurrieren, bezahlt zu werden. Warum sollte ein westlicher Kreditgeber auf seine Forderung verzichten, wenn die Chinesen es nicht tun? Leider haben Gerichtsurteile wie NML Capital gegen Argentinien den Gläubigern gelehrt, stur zu bleiben.

Es scheint fast, als wäre der einfachste Weg, einfach so weiterzumachen wie bisher?

Da haben Sie nicht unrecht, schliesslich haben wir bei der BIZ schon vor zwanzig Jahren vor der Schuldenfalle gewarnt. Ich erinnere mich an den Ökonomen Herb Stein, der einmal sagte, wenn etwas nicht ewig weitergehen kann, wird es aufhören. Worauf Rudi Dornbusch sagte: Ja, aber es wird viel länger weitergehen, als man erwartet. Ein Grund dafür, nichts zu ändern, ist in der Tat das Argument, dass es bisher funktioniert hat. Wenn wir uns aber einig sind, dass die Geldpolitik der letzten dreissig Jahre zu steigender Verschuldung und Instabilität geführt hat, und wenn wir uns einig sind, dass dieser Weg zu immer grösseren Krisen führt, dann wäre es absurd, auf diesem Weg zu bleiben, bloss weil alle anderen mühsam sind.

Komplexe, adaptive Systeme sind anfällig auf Kipppunkte: Was könnte der Auslöser sein, der das System zum Entgleisen bringt?

Ich weiss es nicht. Eine Folgerung der Komplexitätsliteratur ist, dass der Auslöser irrelevant ist. Wenn das System instabil ist, kann alles ein Kipppunkt sein, selbst wenn die Instabilität jahrelang ohne Zwischenfälle anhält. Nehmen wir als Beispiel nochmals die Episode vom März 2020, als die Konzerne in den USA schlingerten. Das Fed stoppte die Panik. Aber was, wenn die Märkte abrupt das Vertrauen in die Fähigkeiten des Fed verloren hätten? Wir wissen im Nachhinein, dass es funktioniert hat, aber wir wissen nicht, wie das System in Zukunft reagieren wird. Wir dürfen uns nicht zu viel Wissen anmassen – das hatten Hayek und Keynes, die gemeinhin als Widersacher bezeichnet werden, verstanden. Zentralbanker, ja alle Makroökonomen, sollten viel bescheidener sein, als sie es sind.

Sie sagten, wir sollten die Krise nutzen, um ein besseres System aufzubauen. Was stellen Sie sich vor?

Erstens müssen wir ein System aufbauen, das sich stärker auf produktive Investitionen stützt. Ich erwähnte, dass die Fiskalpolitik Spielraum hat: Es gibt viel Potenzial für sinnvolle Investitionen in die Infrastruktur, besonders in Amerika und Europa. Schulden sind kein Problem, solange sie für produktive Investitionen genutzt werden. Zweitens: Wir brauchen ein Unternehmenssystem, das sich mehr auf Eigenkapital und weniger auf Schulden stützt. Manager, die Schulden aufgenommen und Investitionen gekürzt haben, nur um Aktien zurückzukaufen und damit ihre Optionsprogramme anzufeuern, haben unverantwortlich gehandelt. Diese Bonuskultur ist ungesund. Drittens: Wir brauchen ein System mit mehr Wettbewerb und weniger Konzentration. In unserem Unternehmenssystem haben sich im Stillen Monopole gebildet, und diese nutzen ihre Macht für politischen Einfluss. Viertens müssen wir erkennen, dass die Probleme in unserem Politsystem – Populismus, Misstrauen – ihre Wurzeln im Wirtschaftssystem haben, besonders in der steigenden Ungleichheit.

Wie werden wir damit fertig?

Wenn die Krise vorbei ist, werden wir steigende Grenzsteuersätze sehen, wir werden über Vermögenssteuern sprechen müssen, und wir müssen härter gegen die Verlagerung von Unternehmenssteuern und Steuerhinterziehung durchgreifen. Und natürlich müssen wir den Klimawandel angehen, eine eindeutige Gefahr, die nur von Leugnern nicht akzeptiert wird. Das sind gewaltige Aufgaben.

Sind Sie optimistisch, dass wir diese Herausforderungen meistern werden?

Ich weiss es nicht. Wir werden einen Paradigmenwechsel in unserem Denken brauchen, und wir wissen aus der Geschichte, wie schwierig das ist. Seit der Reagan-Thatcher-Revolution in den Achtzigern haben wir mit einer Reihe von falschen Überzeugungen gearbeitet.

Welche zum Beispiel?

Die Idee, dass Preisstabilität ausreichend für wirtschaftliche Stabilität ist? Falsch. Dass lockere Geldpolitik immer die Nachfrage stimuliert? Falsch. Dass die Wirtschaft von selbst zurück in ein Gleichgewicht der Vollbeschäftigung findet? Falsch. Dass die Finanzmärkte effizient sind? Falsch. Dass Wohlstand auf alle Ebenen der Gesellschaft durchsickert? Falsch. Das sind alles Überzeugungen, die wir zu lange als Wahrheit angesehen haben. Glauben Sie mir: Wir wissen viel weniger, als wir zu wissen glauben.

William R. White

William White war von 1995 bis 2008 Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel. Von 2009 bis 2018 war er Chairman des Economic and Development Review Committee der OECD in Paris. White, der seine Karriere 1969 in den Diensten der Bank of England begann und auf fünfzig Jahre Erfahrung in der Geldpolitik zurückblickt, befasst sich intensiv mit Fragen rund um das Thema der Stabilität des Finanzsystems. Er lebt in Toronto.
William White war von 1995 bis 2008 Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel. Von 2009 bis 2018 war er Chairman des Economic and Development Review Committee der OECD in Paris. White, der seine Karriere 1969 in den Diensten der Bank of England begann und auf fünfzig Jahre Erfahrung in der Geldpolitik zurückblickt, befasst sich intensiv mit Fragen rund um das Thema der Stabilität des Finanzsystems. Er lebt in Toronto.