Der Bankensektor hat dank der von den Zentralbanken erzeugten Markteuphorie Rekordgewinne erzielt. Doch was passiert, wenn das billige Geld versiegt?
Wirft man einen Blick auf die Ergebnisse des Schweizer Bankensektors im Jahr 2020, fällt es schwer zu glauben, dass diese Zahlen inmitten einer weltweiten Pandemie entstanden sind. Aber es ist so: die Banken hatten ein fantastisches Jahr 2020, sei es in Bezug auf den Gewinn, das verwaltete Vermögen, den Personalzuwachs oder die Vergütung des Topmanagements.
Wenn man in einer Bank arbeitet, könnte man sich fast schizophren fühlen, wenn man die Zeitungen liest und Freunden zuhört, die in der Restaurant- oder Reisebranche arbeiten. Die Diskrepanz zum Rest der Wirtschaft ist fast schon peinlich, offenbart aber vor allem die grosse Kluft zwischen dem Olymp, in dem sich die Geldströme bewegen, und der Realwirtschaft mit ihren irdischen Grenzen.
Um zu verstehen, wie der Bankensektor solche Ergebnisse erwirtschaftet, während die Konjunktur darniederliegt, kann man die Jahresberichte der Banken durchblättern. Dann versteht man, wie stark ihre Zahlen mit den boomenden Märkten und der starken Handelsaktivität der Kunden zusammenhängen. Diese sind wiederum eng mit den Zentralbanken und der Geldpolitik verknüpft, deren Unterstützung für die Finanzmärkte beispiellos war.
Die Pandemie befeuerte auch den Boom der Tech-Investitionen. Dies war ein säkularer Trend, der schon vor der Pandemie vorhanden war, und die Krise hat ihn noch verstärkt. Aber auch hier haben wir den Zentralbanken viel zu verdanken. Billiges Risikokapital und Private-Equity-Finanzierungen trugen dazu bei, dass sich die Bewertungen der Branche aufblähten wie nie zuvor, ebenso wie die billige Kreditaufnahme für den Handel und die Transaktionen mit diesen Aktien.
Um das Phänomen zu verstehen, kann man auch einfach bei Nacht durch die Strassen schlendern. Gehen Sie an Bankgebäuden in Zürich oder Genf vorbei. Schauen Sie auf ihre Signete, die das Trottoir beleuchten, oder auf ihr Spiegelbild, das im See glitzert. Und denken Sie daran, wie stark sich Finanzdienstleistungen von Bars, Theatern, Kinos, Buchhandlungen, Flughäfen oder Schwimmbädern unterscheiden. Während diese Banken noch aus Backstein und Mörtel sind, beherbergen ihre fein gestalteten Büros hauptsächlich Computer. Ihre Aktivitäten – das Sparen, das Handeln oder das Investieren – finden virtuell statt und dienen Menschen und Orten weit jenseits dieser Mauern. Das Bankwesen benötigt keine Hygienemassnahmen.
Der Aktienkurs von UBS ist seit dem Börsentief im März 2020 um 85% nach oben geklettert. Die Gewinne sind gestiegen, das verwaltete Vermögen und die Zahl der Mitarbeiter ebenfalls. Der neue UBS-CEO Ralph Hamers, dem nachgesagt wird, ein «Digitalisierer» zu sein, erhielt 2020 nach nur zwei Monaten im Amt 4,2 Mio. Fr. an Vergütung, während der scheidende CEO Sergio Ermotti für seine letzten zehn Monate bei der UBS 13,5 Mio. Fr. einkassierte. Insgesamt zahlte die UBS ihren CEO im Jahr 2020 also 18 Mio. Fr. Ein Luxusjahr.
Ralph Hamers verdiente zusätzlich 1 Mio. Fr. für seine letzten zehn Monate bei seinem vorherigen Arbeitgeber, der ING Bank, was seine gesamte Vergütung 2020 auf 5,2 Mio. Fr. anhebt. Das ist mehr als doppelt so viel, wie er bei der ING Bank im Jahr 2019 verdient hat. Ein Blick in den ING-Geschäftsbericht 2020 zeigt, dass auch hier der Gewinn, das verwaltete Vermögen und die Anzahl Mitarbeiter im vergangenen Jahr gestiegen sind.
Julius Bär, deren Aktienkurs seit dem Tiefpunkt um 113% zugelegt hat, verzeichnete ebenfalls einen Gewinnsprung und einen Zufluss an verwalteten Vermögen, während Vontobel in der Vermögensverwaltung eine grosse Zahl an Neukunden anziehen konnte.
Die Ausnahme, die die Regel bestätigt, war Credit Suisse. Auch wenn ihr Aktienkurs seit März 2020 um 73% gestiegen ist, hat die Nummer zwei der Schweizer Banken im vergangenen Jahr schlecht abgeschnitten. Aber selbst in diesem Fall lag es nicht an Covid. Die Bank musste für den Zusammenbruch des britischen Fondsmanagers Greensill vorsorgen und ihre Vermögensverwaltung umstrukturieren.
Ungeachtet einzelner Fälle von Fonds, die aufgelöst wurden, gesetzlich vorgeschriebenen Rückstellungen oder anderen Debakeln, die auch in Jahren ohne Pandemie vorkommen, war die allgemeine Entwicklung aussergewöhnlich.
Das gilt auch für Regionalbanken. Die ZKB erwirtschaftete einen Konzerngewinn von 865 Mio. Franken und verzeichnete eine Zunahme der verwalteten Vermögen, wobei sie 35 neue Mitarbeiter einstellte. Die Genfer Privatbanken erlebten ein Traumjahr. Pictet, Lombard Odier oder Union Bancaire Privée meldeten alle Rekordgewinne. Der Neugeldzufluss, kombiniert mit dem Anstieg der Börsen, erhöhte ihre Kundengelder, zusammen mit den Provisionen, die sie einnahmen. Wo bitte ist die Krise?
Dennoch haben die Banken einen kühlen Kopf bewahrt. Sie wissen, wie viel sie den Zentralbanken und den speziellen Umständen zu verdanken haben, die sie dank der Krise genossen haben, einschliesslich der massiven quantitativen Lockerung, der weniger strengen Kapitalanforderungen und des verlängerten Nullzinsregimes. Ohne diese niedrigen Zinsen wären viel weniger Kredite aufgenommen worden, was bedeutet, dass wir eine ganz andere Marktentwicklung gesehen hätten.
Leichtes Geld führt typischerweise zu Euphorie – und eine solche lässt sich momentan beobachten. Laut den neuesten US-Daten, die von advisorperspectives.com zusammengestellt wurden, haben Investoren im S&P 500 noch nie so viel Fremdkapital eingesetzt, um in Aktien zu investieren.
Die aktuelle Börsenrally – und die Ergebnisse der Banken – sind extrem abhängig von billiger Liquidität. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich hat Ende des letzten Jahres gezeigt, wie dieser Faktor allein den grössten Teil des Kursanstiegs von Aktien in den USA und Europa erklärt. Wie lange können sich Banken und ihre Kunden noch kostenlos Geld leihen? Sie können wetten, dass diese Frage viele Banker nachts wach hält, viel mehr als die Pandemie.