Das Gipfeltreffen in Anchorage mag von Drama begleitet gewesen sein, aber jede Seite hat ihre Ziele erreicht. Die beiden Grossmächte versuchen, gleichzeitig miteinander zu kooperieren und zu konkurrieren.
Das Gipfeltreffen zwischen den USA und China in Alaska endete mit viel Drama und Spekulationen, dass die bilateralen Beziehungen auf einem Kurs der Konfrontation und Verschlechterung bleiben könnten. Gewiss, die Atmosphäre des Treffens war nicht so positiv, wie einige Beobachter vielleicht gehofft hatten – aber das Ergebnis war nicht so schlecht, wie es viele Medien projizieren.
Im Gegensatz zum Treffen zwischen Chinas oberstem Diplomaten Yang Jiechi und US-Aussenminister Mike Pompeo im vergangenen Sommer auf Hawaii, das ohne greifbare Ergebnisse endete, wurden am Gipfel in Alaska immerhin konkrete nächste Schritte für die beiden Länder festgelegt. Trotz der politischen Theatralik und des Medienrummels erfüllte das Treffen die niedrigen Erwartungen beider Delegationen.
Das Treffen in Anchorage war von Beginn weg als ein ausführlicher politischer Dialog konzipiert, bei dem beide Seiten ihre Positionen zu bestimmten Themen klären sollten, und nicht als ein Ort für politische Vereinbarungen. Die Erklärungen, die nach Abschluss des zweitägigen Treffens veröffentlicht wurden, waren viel weniger strittig als die Eröffnungserklärungen beider Seiten.
Tatsächlich kamen die Delegationen beider Länder in Anchorage an, wohl wissend, dass es keine Fortschritte in Bezug auf Souveränitätsfragen wie Taiwan, Hongkong, Xinjiang und Tibet geben würde. Sie wussten auch, dass der Klimawandel die beste Chance für eine Zusammenarbeit sein würde.
Im Vergleich zu den Konfrontationen in der Trump-Ära ist die Tatsache, dass beide Seiten ihre Bereitschaft bekundet haben, einen fallbezogenen Ansatz in der Behandlung ihrer Konkurrenzbeziehung zu unterstützen, bereits eine bedeutende Verbesserung.
Die Aussage von Aussenminister Blinken während des Treffens, dass die USA «kompetitiv sein werden, wenn sie es sein sollten, kooperativ, wenn sie es sein können, und gegnerisch, wenn sie es sein müssen», erinnert an den «Drei Listen»-Ansatz, den die chinesische Seite im vergangenen Jahr vorgeschlagen hatte. Dieser sieht vor, dass beide Seiten Themen in eine «Liste der weiteren Zusammenarbeit», eine «Liste des Dialogs und der Verhandlungen» und eine «Liste der Differenzen, die verwaltet werden müssen», unterteilen sollten.
Während ihres Pressebriefings am 19. März führte die Sprecherin des US-Aussenministeriums, Jalina Porter, den angespannten Beginn des Treffens auf «übertriebene diplomatische Darstellungen» zurück, die «auf ein inländisches Publikum» abzielten. Mit «inländischem Publikum» meinte Porter die chinesische Öffentlichkeit, sowie, vielleicht in noch grösserem Masse, Xi Jinping selbst.
Diese Einschätzung ist nicht ganz zutreffend. Während die chinesische Delegation sicherlich vor den Medien hart auftreten musste, gab es für Yang Jiechi keinen Grund, sich auf diplomatische Theatralik einzulassen, nur um seinem heimischen Publikum zu gefallen. Dafür ist der Karrierediplomat, der seit den frühen Achtzigerjahren an den Beziehungen zwischen den USA und China arbeitet, zu alt und zu erfahren.
Tatsächlich besteht in Chinas Aussenpolitik ein breiter Konsens darüber, dass Peking seinen Ton im Umgang mit den USA systematisch anpassen und selbstbewusster bei der Festlegung von Grenzen und der Gestaltung der Regeln des Engagements sein sollte. Mit anderen Worten: Yangs Kritik an den USA, sie seien «nicht qualifiziert, aus einer Position der Stärke zu sprechen», war nicht nur eine spontane Reaktion auf einen Streit über das Protokoll, sondern vielmehr ein Signal einer neuen, selbstbewussteren chinesischen Aussenpolitik.
Trotz des dramatischen Beginns des Gipfels haben sowohl China als auch die USA das erreicht, wofür sie nach Alaska gekommen sind: ihre Positionen und Absichten zu klären und festzulegen, was in nächster Zeit erreicht werden kann.
Eine der wichtigsten Errungenschaften für China war das Festhalten der USA an der «Ein-China-Politik», dem Fundament einer friedlichen bilateralen Beziehung. In der Verlautbarung Pekings nach dem Gipfel heisst es, die amerikanische Seite habe «ihre Ein-China-Politik in der Taiwan-Frage bekräftigt». Das bedeutet wahrscheinlich, dass die beiden Länder zu einem gemeinsamen Verständnis gekommen sind, dass China Taiwan nicht gewaltsam übernehmen wird, solange die USA Taiwan weiterhin unter Kontrolle halten.
Ein weiterer Punkt, den China für sich verbuchen konnte, war die Vereinbarung, das Gespräch über die Wiedereröffnung des chinesischen Generalkonsulats in Houston und des US-Generalkonsulats in Chengdu aufzunehmen. Die Schliessung des chinesischen Konsulats in Houston war ein politischer Schachzug der Trump-Regierung und einer, den Präsident Biden leicht rückgängig machen könnte, ohne viel innenpolitische Gegenwehr zu erfahren. Es ist eine niedrig hängende Frucht für die Normalisierung der Beziehungen, und Peking hofft, dass ein Gipfeltreffen zwischen Xi und Biden in dieser Sache für beide Seiten einen symbolischen Erfolg bringen könnte.
Aus Pekings Verlautbarung geht ferner hervor, dass beide Seiten an einer Lockerung der Reisebeschränkungen arbeiten möchten, möglicherweise durch ein Programm zur gegenseitigen Anerkennung von Impfstoffen. Konkret heisst es, dass die Länder Impfungen für diplomatisches Personal organisieren werden. Chinas «Frühjahrs-Impfungsinitiative», die Anfang März von Aussenminister Wang Yi vorgestellt wurde, sieht vor, dass Chinas Konsulate chinesischen Bürgern im Ausland helfen würden, entweder chinesische oder lokale Impfstoffe zu erhalten.
Zusammengefasst deuten diese Entwicklungen darauf hin, dass 2021 eine Impfstoffkooperation zwischen den USA und China zustande kommen wird.
Die Kooperation im Bereich des Klimawandels ist der Punkt, an dem sowohl Washington als auch Peking einen Sieg verbuchen können. In Pekings Verlautbarung heisst es, dass beide Seiten beim Thema Klima zusammenarbeiten und eine bilaterale Arbeitsgruppe bilden werden – es ist der einzige konkrete Austauschmechanismus, der als Resultat des Treffens versprochen wurde.
Das bedeutet, dass John Kerry und Xie Zhenhua, Chinas neu ernannter Sondergesandter für Klimafragen, der direkt an Xi berichtet, in häufigem Kontakt stehen werden. Ausserdem wird der Earth Day Summit, der vom 20. bis 22. April stattfinden soll, eine Gelegenheit sein, bei der Xi und Biden miteinander sprechen könnten.
Aussenminister Blinken ist von Alaska nach Brüssel gereist, um am NATO-Ministertreffen teilzunehmen, das vom 22. bis 25. März stattfindet. Seine Pendeldiplomatie, die in Japan und Korea begann und in Europa endet – mit dem Treffen mit China in Anchorage dazwischen – hat Bidens Aussenpolitik für Peking ziemlich deutlich gemacht. Tatsächlich könnte China ein solch ausgeprägtes Bemühen Washingtons, regionale Allianzen wiederzubeleben, als Zeichen der Schwäche und des Vertrauensverlustes in die USA wahrnehmen.
Parallel dazu hielt Xi Jinping am 21. März eine im Fernsehen übertragene Videoansprache an die kolumbianische Öffentlichkeit, in der er die drei Lieferungen chinesischer Impfstoffe nach Bogotá hervorhob. Seine Rede war wahrscheinlich darauf ausgerichtet, Chinas Stärke mit der Schwäche der USA zu kontrastieren.
Während beide Delegationen in ihre Hauptstädte zurückkehren und an der Vorbereitung eines Treffens zwischen Biden und Xi arbeiten, wird es im zweiten Quartal 2021 zu einem allmählichen «Reset» der bilateralen Beziehungen kommen. Der Earth-Day-Gipfel im April bietet Xi und Biden die Möglichkeit, sich auf die Klimakooperation zu konzentrieren, ohne von anderen Themen abgelenkt zu werden.
Die Beschleunigung der Impfkampagnen in beiden Ländern könnte derweil bereits im Juli zu einer Lockerung der Reisebeschränkungen führen. Beide Seiten könnten auch ihre Bereitschaft signalisieren, die Konsulate in Houston und Chengdu wieder zu eröffnen, wenngleich es viel länger dauern könnte, bis sie tatsächlich wieder in Betrieb genommen werden.
Die Handelsbeziehungen werden wahrscheinlich auf einem stabilen Kurs bleiben, da Peking bisher nicht signalisiert hat, dass es seine Kaufverpflichtungen aus dem «Phase Eins»-Handelsabkommen der Trump-Ära aufgeben würde. Auch das Weisse Haus unter Biden wird das Thema des bilateralen Handels herunterspielen – einzig eine fortgesetzte Überprüfung der Lieferketten von medizinischen Produkten in den USA ist zu erwarten.
Die Rivalität der beiden Staaten auf dem Gebiet der Technologie war kein Hauptthema in Alaska. Es ist zu erwarten, dass die USA das Exportkontrollregime der Trump-Ära weiter umsetzen, während sie bei US-Unternehmen, die auf den chinesischen Markt angewiesen sind, mehr Nachsicht walten lassen werden.
Beide Länder sind sich mittlerweile bewusst, dass sich das globale Tech-Ökosystem in zwei Sphären teilen wird, wobei China und die USA ihre jeweiligen, sich jedoch überschneidenden Einflussbereiche sichern werden. Anstatt sich für den Zugang chinesischer Unternehmen auf globalen Märkten einzusetzen, wird Peking mehr politische Unterstützung für Grundlagenforschung und inländische Innovationen bereitstellen und die Wettbewerbsfähigkeit in Sektoren, in denen chinesische Firmen bereits einen Vorsprung haben, weiter stärken.
Langfristig ist der Spielraum für eine Verbesserung – oder eine Verschlechterung – der Beziehungen zwischen den USA und China unter der Regierung Biden begrenzt. Mit dem Treffen in Alaska als Schauplatz für die Neuziehung von Abgrenzungen könnte die bilaterale Beziehung in eine Phase der Stabilisierung eintreten.
Angesichts der Herausforderungen des Aufschwungs nach der Covid-Pandemie werden beide Seiten davon absehen, drastische Massnahmen einzuführen, die die Wirtschaft weiter gefährden könnten. Voraussichtlich werden die beiden Grossmächte kleine Schritte unternehmen, um den regionalen Partnern zu versichern, dass sie in der Lage sind, eine friedliche Beziehung zu führen.