Meinung

Anleger müssen sich auf ein völlig neues makroökonomisches Umfeld einstellen

In einem von Stagflation geprägten Umfeld gerät das traditionelle, aus Aktien und Anleihen bestehende Portfolio unter Druck. Eine höhere Gewichtung von Rohstoffen inklusive Gold bietet sich an.

Ronald-Peter Stöferle
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Mitte Juni haben wir in unserem Kommentar «Die Weltwirtschaft steht an der Schwelle zur Stagflation» unsere Einschätzung veröffentlicht, dass die USA und Europa vor einer Stagflation stehen dürften.

Unsere Prognose wird von Tag zu Tag mehr von der Wirklichkeit bestätigt. Der GDPNow-Echtzeitindikator der Federal Reserve Bank of Atlanta liegt seit Mitte Juni für das zweite Quartal bei 0,0%, nachdem noch Mitte Mai ein annualisiertes Wachstum von 2,5% erwartet worden war. Im ersten Quartal 2022 sank die amerikanische Wirtschaftsleistung bereits um annualisierte 1,4%. Somit stehen die USA kurz davor, die definitorische Bedingung für eine Rezession – zwei aufeinanderfolgende Quartale mit Negativwachstum – zu erfüllen.

In Europa ist die Lage nicht besser, zumal der Alte Kontinent schon längere Zeit nicht an die wirtschaftliche Dynamik der USA heranreicht und Europa von den negativen Auswirkungen des Ukraine-Krieges stärker betroffen ist und auch bleiben wird.

Die Inflation verharrt weiterhin auf hohem Niveau. Diese – im Augenblick deutlich – erhöhte Inflationsrate ist aber kein vorübergehendes Phänomen. Wir erleben aktuell das Ende der 40-jährigen disinflationären «Great Moderation». Die Verwendung des Begriffs «Zeitenwende» ist auch in der Finanzwelt mehr als angebracht.

Es wird ein längerfristiger Prozess sein, bis das kollektive Mindset der Anleger diesen Paradigmenwechsel vollzogen hat. Eine fundamentale Repositionierung vieler Portfolios und somit eine Reallokation von enormen Summen an Finanzkapital wird die Konsequenz dieses Paradigmenwechsels sein. Diese Umschichtungsprozesse werden mehrere Quartale, wenn nicht sogar Jahre andauern.

Stagflation: Gift für das herkömmliche gemischte Portfolio?

Stagflation ist womöglich das herausforderndste Umfeld für Investoren. Dabei handelt es sich für die meisten Marktteilnehmer noch dazu um ein gänzlich neues Umfeld, denn das Gros der westlichen Anleger war noch nie mit einem signifikanten Anstieg der Inflation konfrontiert, geschweige denn mit einer längeren inflationären oder gar stagflationären Periode.

Deshalb möchten wir nun einen groben Überblick über die Performance unterschiedlicher Assetklassen in Zeiten der Stagflation geben. Wie erwähnt gibt es in westlichen Ländern nicht allzu viele Präzedenzfälle für eine ausgeprägte Stagflation in der jüngeren Vergangenheit. Wir werden uns daher auf die Siebzigerjahre fokussieren.

Bei hoher Inflation und steigenden Bondrenditen sind festverzinsliche Wertpapiere die offensichtlichen Verlierer. Konstante Zinszahlungen bei laufender Geldentwertung verringern den Wert eines Wertpapiers. Je länger die Laufzeit, umso höher das kaufkraftbereinigte Verlustrisiko. Auch nominell sind die Werte gefährdet, nämlich dann, wenn die Renditen an den Kapitalmärkten steigen und der Marktwert des Wertpapiers sinkt. Anleihen bescherten Anlegern deutliche Verluste in den Siebzigerjahren:

Quelle: Incrementum

Das trifft auch auf 2022 zu. In der ersten Jahreshälfte mussten Bond-Investoren bereits schmerzhafte Verluste verbuchen. Je länger die Laufzeit eine Anleihe ist, desto stärker wirkt sich der Anstieg der Kapitalmarktzinsen auf den Kurs aus (Duration).

Wie der folgende Chart für die zweite der beiden bisher emittierten 100-jährigen Staatsanleihen der Republik Österreich mit einem Coupon von mickrigen 0,85% und einer Emissionsrendite von 0,88% zeigt, war die Anlage für die Käufer bisher alles andere als ein gutes Investment:

Quelle: Incrementum

Zur Erinnerung: Diese Anleihe mit einem Volumen von 2 Mrd. € war bei ihrer Emission im Sommer 2020, also vor noch nicht allzu langer Zeit, zwölffach (sic!) überzeichnet.

Aktien bieten nur bedingt Schutz

Aber auch Aktien als Anlageklasse sind per se bieten in einem stagflationären Umfeld keinen umfassenden Schutz. Während der stagflationären Dekade der 1970er haben sich US-Aktien inflationsbereinigt ebenfalls schwach entwickelt. Nur ausgewählte Sektoren wie Minenaktien oder Rohstofftitel sowie ausgewählte Value-Titel konnten sich der negativen Gesamtentwicklung entziehen.

Quelle: Incrementum

Hierin besteht die Crux für Anleger: Beiden Hauptanlageklassen – Aktien und Anleihen – bläst während der Stagflation gleichzeitig Wind entgegen. Das spiegelt sich auch in den Korrelationen zwischen den beiden Anlageklassen und ist genau der Punkt, der die Konstruktion eines diversifizierten Portfolios so herausfordernd macht. Zudem drohen herkömmlichen, gemischten Portfolios bei einem Anstieg der Korrelation dieser beiden Anlageklassen ungewöhnlich hohe Verluste.

Problematisch ist weiter, dass auch das Halten von Cash bei negativen Realzinsen zu Kapitalvernichtung führt. Bestenfalls kann eine erhöhte Barreserve im Rahmen einer taktischen Asset-Allokation kurzfristig opportunistisch angewandt werden.

In einem Umfeld steigender Inflationsraten sind naturgemäss inflationssensitive Anlagen gefragt. Zu diesen zählen typischerweise Rohstoffe sowie rohstoffnahe Anlagen wie Rohstoffaktien oder auch Rohstoffwährungen. Weiter können Anleihen von rohstoff-exportierenden Staaten wie Brasilien oder Australien, inflationsindexierte Anleihen (TIPS) und Immobilien als inflationssensitive Anlagen in Betracht gezogen werden.

Keine der erwähnten Anlageklassen ist jedoch makellos. Wir haben nachfolgend die wichtigsten inflationssensitiven Anlageklassen inklusive ihrer Vor- und Nachteile gegenübergestellt:

Quelle: Incrementum

Dass eine Anlage in Rohstoffe bei anziehender Geldentwertung einträglich ist, erscheint intuitiv nachvollziehbar. Die Umsetzung im Portfolio bringt jedoch einige Tücken mit sich.

Direktanlagen im Rohstoffsektor sind schwierig

Eine direkte, physische Anlage in Rohstoffe ist oft schwierig. Das Hauptproblem bei Direktinvestitionen in Rohstoffe ist, dass diese mit hohen Lagerkosten verbunden sind bzw. es aufgrund der Verderblichkeit von beispielsweise Agrarrohstoffen nicht praktikabel ist, in die Rohstoffe selbst zu investieren. Hierin liegt einer der Vorteile von Investitionen in physische Edelmetalle, denn diese sind mit vertretbarem Aufwand über lange Zeit ohne Qualitätsverlust lagerbar.

Quelle: Incrementum

Eine Veranlagung in Gold ist also die einfachste und günstigste Möglichkeit, längerfristig in einen physischen Rohstoff zu investieren. Allerdings ist zu beachten, dass Gold eine deutlich geringere Korrelation zur Inflationsrate aufweist als breite Rohstoffindizes.

Wenn man sich als Anleger direkter gegen steigende Inflationsraten absichern will, ist eine breitere Abdeckung des Rohstoffsektors besser geeignet. Eine Alternative zu physischen Direktinvestitionen stellen Terminkontrakte börsengehandelter Rohstoffe dar. Der Nachteil des Einsatzes dieser Instrumente ist, dass eine dauerhafte Investition (buy and hold) in Rohstoffderivate typischerweise mit Rollverlusten einhergeht. Diese Verluste spiegeln letzten Endes ökonomisch betrachtet die Lager- und Finanzierungskosten.

Aktiensektoren: Rohstoffe Top, Technologie Flop

Anders ist die Situation bei Aktien von Unternehmen, die an der Wertschöpfungskette der Rohstoffproduktion partizipieren. Eine Beteiligung an solchen Unternehmen bedeutet Miteigentum an Produktivkapital, das – die potenziell weitreichenden unternehmensspezifischen Risiken ausser Acht lassend – grundsätzlich positive Erträge abwirft. Dennoch ist man als Aktionär von Rohstoffunternehmen typischerweise einer generellen Aktienmarkt-Sensitivität ausgeliefert, die im stagflationären Umfeld Gegenwind bedeuten kann, besonders im Fall einer Rezession.

Natürlich gibt es auch in anderen Aktiensektoren Unternehmen, die beispielsweise aufgrund ihrer Preissetzungsmacht gestiegene Kosten weiterreichen können oder aufgrund der Substituierung teurer Güter profitieren. Die Korrelation zur Inflationsrate ist bei Aktieninvestments jedenfalls geringer und das unternehmensspezifische Risiko entsprechend vorhanden.

Während Rohstoffaktien typischerweise zu den Gewinnern einer stagflationären Phase gehören, sind Technologieaktien besonders negativ betroffen. Der Nasdaq hat seit Jahresbeginn rund 30% verloren, der lange Zeit gehypte ARK Innovation ETF von Cathie Wood sogar mehr als 50%.

Das liegt daran, dass Wachstumswerte typischerweise Gewinne, die noch weit in der Zukunft liegen, diskontieren, um sie bereits heute einzupreisen. Daher ist auch eine besonders hohe Sensitivität zu langfristigen Zinsen – also ein Durationsrisiko – gegeben, welche typischerweise die Basis für einen Diskontierungssatz liefern.

Aber auch etwaige Gewinnmargen der Unternehmen sind gefährdet, wenn die Kosten steigen. Sofern man als Anleger über die entsprechende Risikobereitschaft und Finanzmarktkenntnis verfügt, können taktische Short-Positionen innerhalb dieses Wachstumssektors vielversprechende Trades sein. Ähnliches gilt für Staatsanleihen, die erfahrene Investoren z. B. über Futures shorten können, um so von steigenden Bondrenditen zu profitieren.

Bitcoin als offene Frage

Wie sich die junge Anlageklasse der Kryptowährungen innerhalb einer Stagflation schlagen wird, bleibt abzuwarten. Besonders Store-of-Value-Tokens wie Bitcoin könnten aufgrund ihrer Nichtinflationierbarkeit vermehrt als alternativer Wertspeicher angesehen werden. Zuletzt war bei Bitcoin allerdings eine extrem hohe Korrelation zu den Technologieaktien zu bemerken, welche, wie bereits erwähnt, unter steigenden Inflationsraten tendenziell leiden.

Trotzdem sollte man in dieser Hinsicht nicht allein auf die Korrelationen achten, sondern auch die relative Performance der Assets im Blick haben. Das Bitcoin/Nasdaq-Ratio zeigt, dass Bitcoin über die Zeit deutlich besser abgeschnitten hat als der US-Technologieindex Nasdaq. Eine gewisse Beimischung von Bitcoin zu anderen inflationssensitiven Anlagen dürfte in einem ausgewogenen Portfolio vor diesen Hintergründen durchaus ratsam sein.

Quelle: Incrementum

Fazit

Stagflation bedeutet ein ausserordentlich herausforderndes Umfeld für Anleger. Herkömmliche Anlagekonzepte, die durch die Disinflation der vergangenen Jahrzehnte geprägt sind, beginnen bereits, ihren Investoren teuer zu stehen zu kommen.

Eine Beimischung von inflationssensitiven Anlageklassen empfiehlt sich jedem, der sein Portfolio diversifizieren und gegen eine immer wahrscheinlicher werdende Stagflation absichern möchte. Denn eines steht fest: Eine Stagflation wird man mit einem klassischen 60/40-Portfolio – bestehend aus 60% Aktien, 40% Bonds – nicht bezwingen können.

Quelle: Incrementum

Neben Gold sind dies vor allem rohstofflastige Investments wie Rohstoffindex-Derivate, Rohstoffaktien oder mit Abstrichen auch inflationsindizierte Anleihen. Allerdings haben selbst die 10-jährigen inflationsgeschützten Treasury Notes (TIPS) seit Jahresbeginn rund 10% an Wert verloren. Daher muss die Auswahl überlegt vorgenommen werden.

Wir sind davon überzeugt, dass weder dem Federal Reserve und schon gar nicht der EZB das Kunststück einer sanften Landung gelingen wird. Es ist daher nur eine Frage der Zeit, bis der aktuelle Zinserhöhungszyklus beendet und reversiert wird. Jeder Zinserhöhungszyklus seit Anfang der Achtzigerjahre endete unter dem Höchststand des vorangegangenen Zyklus.

Dass dieses Mal alles anders sein soll, ist so wahrscheinlich wie ein WM-Finale Schweiz – Österreich.

Ronald-Peter Stöferle

Ronald-Peter «Ronnie» Stöferle ist Partner von Incrementum und zuständig für Research und Portfoliomanagement. Er studierte Betriebswirtschaftslehre und Finance in den USA und an der Wirtschaftsuniversität Wien. Nach seinem Abschluss arbeitete er bei der Erste Group im Research, wo er 2007 erstmals den «In Gold We Trust»-Report publizierte. Seit 2013 ist er Lektor am Scholarium in Wien sowie Vortragender an der Wiener Börse Akademie. 2014 hat er das Buch «Österreichische Schule für Anleger» und 2019 das Buch «Die Nullzinsfalle» veröffentlicht. Er ist verheiratet und stolzer Vater dreier Töchter.
Ronald-Peter «Ronnie» Stöferle ist Partner von Incrementum und zuständig für Research und Portfoliomanagement. Er studierte Betriebswirtschaftslehre und Finance in den USA und an der Wirtschaftsuniversität Wien. Nach seinem Abschluss arbeitete er bei der Erste Group im Research, wo er 2007 erstmals den «In Gold We Trust»-Report publizierte. Seit 2013 ist er Lektor am Scholarium in Wien sowie Vortragender an der Wiener Börse Akademie. 2014 hat er das Buch «Österreichische Schule für Anleger» und 2019 das Buch «Die Nullzinsfalle» veröffentlicht. Er ist verheiratet und stolzer Vater dreier Töchter.