In der Geschichte des Investierens wiederholen sich die Ereignisse nicht, vertraute Themen tauchen aber immer wieder auf, besonders wenn es um das Verhalten der Anleger geht. Was also haben die jüngsten Turbulenzen an den Finanzmärkten zu bedeuten?
In meinen schriftlichen Veröffentlichungen verwende ich eine Vielzahl von Sprichwörtern und Zitaten. Meine Referenzliste mit den wichtigsten Aussprüchen besteht indes lediglich aus einer relativ begrenzten Auswahl. Eines meiner favorisierten Zitate wird üblicherweise Mark Twain zugeschrieben: «Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.»
Es ist hinreichend belegt, dass Twain die ersten vier Worte des Zitats 1874 verwendete. Ein eindeutiger Beweis dafür, dass er den Rest je sagte, existiert hingegen nicht. Diverse weitere Persönlichkeiten haben sich im Lauf der Jahre in eine ähnliche Richtung geäussert, und 1965 sagte der Psychoanalytiker Theodor Reik im Prinzip dasselbe in einem Essay mit dem Titel «The Unreachables». Er brauchte einige Worte mehr. Meiner Meinung nach ist seine Formulierung jedoch die treffendste:
«Es gibt wiederkehrende Zyklen, mit Höhen und Tiefen, der Verlauf der Ereignisse ist im Wesentlichen aber derselbe, mit geringen Variationen. Es wurde schon gesagt, dass sich die Geschichte wiederholt. Das ist wohl nicht vollständig richtig; sie reimt sich lediglich.»
In der Geschichte des Investierens wiederholen sich die Ereignisse nicht, vertraute Themen tauchen aber immer wieder auf, besonders wenn es um das Verhalten der Marktteilnehmer geht - und genau diese Themen studiere ich.
In den vergangenen zwei Jahren haben wir an den Märkten drastische Beispiele für das zyklische Auf und Ab gesehen, über das Reik geschrieben hat. Faszinierend ist für mich daran, wie einige der klassischen Themen im Verhalten der Investoren einmal mehr auftauchen. Sie stehen im Fokus dieses Memos.
Ich möchte vorab darauf hinweisen, dass dieses Memo nichts mit der Einschätzung zur möglichen weiteren Entwicklung an den Märkten zu tun hat. Auf den Tiefpunkt im März 2020, verursacht durch die Pandemie, folgte ein Aufwärtstrend; inzwischen haben sich erhebliche interne Probleme in der Wirtschaft (Inflation) und externe Schwierigkeiten (Ukraine) herausgebildet, und es ist zu einer deutlichen Korrektur gekommen. Niemand, mich eingeschlossen, weiss, was diese Entwicklungen in der Summe für die Zukunft bedeuten.
Ich schreibe dieses Memo, um die jüngsten Ereignisse in einen historischen Kontext zu stellen und Lehren daraus zu ziehen. Das ist wichtig, denn wir müssen 22 Jahre zurückblicken – bis vor das Platzen der Technologie-, Medien- und Telecomblase im Jahr 2000 –, um zu erkennen, was ich unter einem echten Bullenmarkt und dem Ende des daraus resultierenden Bärenmarktes verstehe. Auch kann ich mir gut denken, dass viele Leserinnen und Leser zu spät in die Welt des Investierens eingetreten sind, um die damaligen Ereignisse erlebt zu haben.
Sie fragen sich jetzt vielleicht: «Was ist mit den Avancen an den Märkten, die der globalen Finanzkrise von 2008/09 und dem pandemiebedingten Kollaps von 2020 vorausgegangen sind?» Meiner Ansicht nach spielte sich in beiden Fällen zuvor ein kontinuierlicher und nicht ein parabolischer Anstieg ab; er wurde nicht von überhitzter Psychologie angefeuert und er trieb die Aktienkurse nicht in irrsinnige Höhen. Zudem waren hohe Aktienkurse in beiden Fällen nicht die Ursache der Krise. Die Erschütterungen von 2008/09 basierten auf den Exzessen im Immobilienmarkt und der Kreation von Wertpapieren, die mit Subprime-Hypotheken unterlegt waren. Der Markteinbruch von 2020 war eine Folge des Ausbruchs der Pandemie und dem Beschluss von Regierungen, die Wirtschaft stillzulegen, um die Ausbreitung von Covid-19 einzudämmen.
Wenn ich wie oben von einem «echten Bullenmarkt» spreche, dann beziehe ich mich auch nicht auf Standarddefinitionen wie die folgende von Investopedia:
Die erste dieser beiden Definitionen ist zu banal und verfehlt die emotionale Komponente einer Hausse, die zweite bedient sich einer irreführenden Präzision. Ein Bullenmarkt sollte nicht durch eine prozentuale Kursbewegung definiert werden. Für mich lässt er sich am besten dadurch charakterisieren, wie er sich anfühlt; die Psychologie hinter einer Hausse und das Verhalten, das durch diese Psychologie ausgelöst wird.
Rasende Bullenmärkte sind ein Beispiel für Massenhysterie. Im Extremfall entkoppelt sich das Denkvermögen und damit das Verhalten der Marktteilnehmer von der Realität. Als Voraussetzung dafür ist jedoch ein Auslöser erforderlich, der die Fantasie der Investoren anregt und ihre Besonnenheit untergräbt. Ein besonderes Augenmerk muss daher auf ein Element gerichtet werden, das Bullenmärkte fast immer prägt: eine neue Entwicklung, Erfindung oder Rechtfertigung für steigende Aktienkurse.
Bullenmärkte sind per Definition durch Überschwang, Zuversicht, Leichtgläubigkeit und die Bereitschaft gekennzeichnet, hohe Preise für Vermögenswerte zu zahlen – und zwar auf einem Niveau, das sich im Nachhinein als exzessiv erweist. Generell zeigt die Historie, wie wichtig es ist, solche Tendenzen in Grenzen zu halten. Deshalb beruhen die intellektuellen oder emotionalen Ursachen für eine Hausse oft auf etwas Neuem, das sich nicht aus der Geschichte herleiten lässt.
Diese letzten Worte sind ausgesprochen wichtig. Historisch lässt sich hinreichend belegen, dass es oft zu sehr schmerzhaften Folgen kommt, wenn (a) die Märkte ein optimistisches Verhalten an den Tag legen, (b) bei den Bewertungen übertrieben wird und (c) das «neueste Ding» ohne Zögern akzeptiert wird. Jeder weiss – oder sollte wissen –, dass auf einen parabolischen Anstieg an den Aktienmärkten in der Regel ein Rückgang von 20 bis 50% folgt. Dennoch lassen sich solche Kursavancen immer wieder beobachten, begünstigt durch das, was ich im Englischunterricht während meiner Schulzeit gelernt habe, nämlich «die willentliche Unterdrückung von Zweifel». Hierzu ein weiteres meiner Lieblingszitate:
Zu Euphorie tragen zwei weitere Faktoren bei, die in unserer Gegenwart oder in vergangenen Episoden kaum beachtet wurden. Der erste ist die extreme Kurzlebigkeit des finanziellen Gedächtnisses. Folglich wird ein finanzielles Desaster schnell vergessen. Wenn sich dieselben oder ziemlich ähnliche Umstände erneut ergeben, manchmal nur wenige Jahre später, dann werden sie von einer neuen, oft jungen und stets äusserst selbstbewussten Generation als brillante Innovation in der Finanzwelt und in der Wirtschaft in weiterem Sinn zelebriert. Hinsichtlich des menschlichen Strebens gibt es wohl nur wenige Bereiche, in denen die Geschichte so wenig Gewicht hat wie in der Finanzwelt. Vergangene Erfahrungen, sofern sie überhaupt Teil der Erinnerung sind, werden als plumpe Ausflucht derjenigen abgetan, die nicht über die Erkenntnis verfügen, die unglaublichen Wunder der Gegenwart zu schätzen.
(John Kenneth Galbraith, A Short History of Financial Euphoria, 1990. Die Hervorhebungen wurden nachträglich hinzugefügt.)
Ich habe dieses Zitat in den letzten dreissig Jahren oft mit meinen Lesern geteilt, weil es eine Reihe wichtiger Aspekte so elegant zusammenfasst. Meine Erklärung für das darin beschriebene Verhalten habe ich bislang jedoch nicht mitgeteilt. Ich glaube nicht, dass Anleger tatsächlich vergesslich sind. Vielmehr stehen das Wissen um die Geschichte und angemessene Vorsicht auf der einen Seite der Waage, und der Traum von Reichtum auf der anderen Seite. Letzterer gewinnt immer. Gedächtnis, Vorsicht, Realismus und Risikoaversion würden diesem Traum bloss im Weg stehen. Aus diesem Grund werden berechtigte Bedenken häufig abgetan, wenn ein Bullenmarkt in Gang kommt.
An ihre Stelle treten oft intellektuelle Rechtfertigungen für Bewertungen, die über der historischen Norm liegen. Am 11. Oktober 1987 beschrieb die Finanzjournalistin Anise Wallace dieses Phänomen in einem Artikel in der «New York Times» mit dem Titel «Why This Market Cycle Isn’t Different». Zu dieser Zeit wurde optimistisches Denken propagiert, um aussergewöhnlich hohe Aktienkurse zu rechtfertigen, doch Wallace hielt dagegen:
«Die vier gefährlichsten Worte beim Investieren sind «This Time is Different» («dieses Mal ist es anders»), gemäss John Templeton, dem 74-jährigen Fondsmanager. Bei Höchst- und Tiefstständen an den Aktienmärkten stützen sich Anleger stets auf dieses Argument, um emotional getriebene Entscheide zu begründen.
Im nächsten Jahr werden viele Investoren diese vier Worte wahrscheinlich wiederholen, um höhere Aktienkurse zurechtfertigen. Sie sollten ihnen jedoch mit der gleichen Skepsis entgegentreten, mit der sie dem Versprechen «der Check ist in der Post» begegnen. Gleichgültig, was Börsenmakler oder Vermögensverwalter sagen: Bullenmärkte dauern nicht ewig.»
Es dauerte kein Jahr. Bloss acht Tage später erlebte die Welt den «Black Monday», als der Dow Jones Industrial an einem einzigen Tag um 22,6% fiel.
Eine weitere Rechtfertigung für haussierende Märkte basiert oft auf dem Glauben, dass bestimmten Unternehmen eine glänzende Zukunft garantiert ist. Das gilt sowohl für die Nifty-Fifty-Wachstumsunternehmen in den späten Sechzigerjahren wie auch für die Hersteller von Diskettenlaufwerken in den Achtzigerjahren und die Telecom-, Internet- und E-Commerce-Firmen in den späten Neunzigerjahren. Jedem dieser Trends wurde zugetraut, die Welt fundamental zu verändern, so dass sich Anleger in ihrer Vorstellungskraft und Zahlungsbereitschaft nicht mehr durch bisherige ökonomische Gegebenheiten einschränken mussten. Diese Entwicklungen haben die Welt tatsächlich verändert. Doch die enorm hohen Bewertungen, die sie rechtfertigen sollten, erwiesen sich als unhaltbar.
Während einer Hausse werden häufig eine oder mehrere Kategorien von Unternehmen zu «Superaktien» gekürt. Ihre rasanten Kursavancen stimmen Anleger zunehmend optimistisch. Im zirkulären Prozess, der die Märkte oft kennzeichnet, treibt diese wachsende Zuversicht die Kurse dann noch höher. Die positive Stimmung und Aufwertung wirken sich wiederum vorteilhaft auf andere Kategorien von Wertschriften – oder den gesamten Markt – aus. Der Grund dafür sind Vergleiche relativer Bewertungen und/oder die allgemeine Aufhellung der Stimmung unter den Anlegern.
Ganz oben auf der Liste der Unternehmen, die 2020/21 Begeisterung unter Investoren auslösten, standen die FAAMG-Konzerne Facebook, Apple, Amazon, Microsoft und Google, deren Marktdominanz und Potenzial zur Nutzung von Skaleneffekten nie so gross waren wie heute. Die beeindruckende Performance der FAAMG-Aktien im Jahr 2020 zog die Aufmerksamkeit der Anleger auf sich und stützte eine breite Aufwärtsbewegung an der Börse. Bis September 2020 (d. h. innerhalb von sechs Monaten) hatten sich die Kurse dieser Titel verglichen mit dem Tief vom März fast verdoppelt und waren seit Jahresbeginn 61% gestiegen.
Da diese fünf Aktien im S&P 500 stark gewichtet sind, hat ihre Performance dem Index einen deutlichen Gesamtgewinn ermöglicht. Dies lenkte jedoch von der weit weniger beeindruckenden Kursentwicklung der anderen 495 Aktien ab. Die Avancen der «Superaktien» entfachte Enthusiasmus und veranlasste Anleger, Sorgen über einen langwierigen Verlauf der Pandemie oder andere Risiken zu vernachlässigen.
Der bahnbrechende Erfolg der FAAMG-Titel erzeugte eine Strahlkraft, die sich positiv auf Technologieaktien generell auswirkte. Die Nachfrage nach Aktien aus diesem Sektor stieg sprunghaft an, und wie in der Investmentwelt üblich, ermutigte und ermöglichte die starke Nachfrage eine Ausweitung des Angebots.
Ein deutlicher Indikator ist diesbezüglich die Einstellung gegenüber Börsengängen von unrentablen Unternehmen. Vor der Technologieblase der späten Neunzigerjahre waren Publikumsöffnungen von Unternehmen, die kein Geld verdienen, relativ selten. Während den Exzessen wurden sie zur Norm, nahmen danach aber wieder ab. Im Bullenmarkt der Jahre 2020/21 erlebten Börsengänge von unrentablen Unternehmen einen massiven Boom, da Anleger dem Bedürfnis von Tech-Unternehmen nachkamen, sich Skalenvorteile zu verschaffen, und Biotech-Firmen darin zu unterstützten, Geld zur Forschung an Medikamenten auszugeben.
Wenn Unternehmen mit einer vielversprechenden Zukunft die Hausse anfeuern, dann können Faktoren, die für die Märkte neu sind, Exzesse umso stärker anheizen. Aktuell bieten SPAC-Firmen ein anschauliches Beispiel dafür. Anleger gaben solchen neu gegründeten Investmentvehikeln Blankochecks für Übernahmen unter der Bedingung, dass sie ihr Geld mit Zinsen zurückerhalten, wenn (a) innerhalb von zwei Jahren keine Akquisition gelingt oder (b) Investoren mit der angestrebten Übernahme nicht einverstanden sind.
Dieses Konzept schien eine «No-Lose-Proposition» zu sein (drei der gefährlichsten Wörter der Welt). Die Zahl der SPAC-Firmen stieg von lediglich 10 im Jahr 2013 und 59 im Jahr 2019 auf 248 im Jahr 2020 und 613 im Jahr 2021. Einige dieser Vehikel brachten grosse Gewinne ein, in anderen Fällen erhielten Anleger ihr Geld mit Zinsen zurück. Doch die mangelnde Skepsis gegenüber dieser verhältnismässig unerprobten Innovation – angeheizt durch die Psychologie des Bullenmarktes – führte dazu, dass zu viele SPAC-Firmen lanciert wurden; und zwar von kompetenten wie auch inkompetenten Initianten, die hoch bezahlt wurden, wenn sie eine Übernahme durchführten – gleichgültig, was für eine.
Die durchschnittliche SPAC-Firma, die seit 2020 durch den Vollzug einer Akquisition (in jedem Fall mit Zustimmung der Investoren) zu einem regulären Unternehmen transformiert wurde, handelt heute zu einem Preis von 5.25 $ pro Aktie. Der Emissionspreis belief sich hingegen auf 10 $. Ein gutes Beispiel also für ein «neues Ding», das sich als weniger verlässlich erwies, als sich Anleger – die einmal mehr auf eine scheinbar garantierte Erfolgsstory hereinfielen – dachten.
Befürworter von SPAC-Firmen argumentieren, dass diese Vehikel lediglich eine alternative Variante darstellen, um Unternehmen an die Börse zu bringen. Mir geht es hier aber nicht um ihren potenziellen Nutzen. Vielmehr richte ich den Fokus darauf, wie bereitwillig die Anleger in einer heissen Marktphase auf eine unbewährte Innovation eingestiegen sind.
Erwähnung verdient ebenso eine andere Dynamik, die mit neuartigen Trends einhergeht. Das, zumal sie exemplarisch die Art und Weise illustriert, wie das «neue Ding» zu einem Bullenmarkt beitragen kann:
Der letzte betrachtungswerte Aspekt sind Kryptowährungen. Befürworter von Bitcoin verweisen beispielsweise auf die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten sowie das begrenzte Angebot im Verhältnis zur potenziellen Nachfrage. Skeptiker hingegen argumentieren, dass Kryptowährungen keinen Cashflow erarbeiten, wodurch es unmöglich ist, den inneren Wert von Bitcoin und somit einen fairen Preis zu berechnen. Doch unabhängig davon, welches Lager letztlich Recht behalten wird, erfüllt Bitcoin verschiedene Merkmale eines Profiteurs in einem Bullenmarkt:
Bitcoin notiert derzeit etwas mehr als 50% unter dem Höchststand von 2021. Andere der Tausenden von kreierten Kryptowährungen sind aber viel stärker eingebrochen.
Die beeindruckende Performance der FAAMG-Titel, von Tech-Aktien allgemein, der SPAC-Firmen, Meme-Aktien und Kryptowährungen im Jahr 2020 verstärkte die Begeisterung für solche Investments und trug zum generellen Optimismus der Anleger bei. Es ist schwer vorstellbar, dass es zu einer Hausse ohne etwas kommt, das man noch nie zuvor gesehen oder gehört hat. Das «neue, neue Ding» und der Glaube, dass «es dieses Mal anders ist», sind hervorragende Beispiele für sich wiederholende Themen in Bullenmärkten.
Bullenmärkte behandeln nicht alle Sektoren gleich. Wie ich bereits erwähnt habe, konzentriert sich der Optimismus in Bullenmärkten am stärksten auf bestimmte Kategorien von Wertpapieren wie beispielsweise «das neue Ding» oder «Superaktien». Sie steigen am kräftigsten, werden in dieser Periode zum Inbegriff der Hausse und verlocken zu weiteren Aktienkäufen. Die Medien schenken diesen Sektoren die grösste Aufmerksamkeit, wodurch sich der Prozess verlängert. In den Jahren 2020/21 waren die FAAMG-Titel und andere Technologiewerte das beste Beispiel für dieses Phänomen.
Es versteht sich von selbst – ich weise aber trotzdem daraufhin –, dass Anleger, die bedeutende Positionen in denjenigen Aktien halten, die in einem Bullenmarkt am besten laufen, enorm gut abschneiden. Während der Optimismus überwiegt, verzeichnen Fondsmanager die höchsten Renditen, die klug genug sind oder das Glück haben, sich ausschliesslich mit diesen Titeln zu befassen. Sie erscheinen auf den Titelseiten der Zeitungen und in TV-Sendungen. In der Vergangenheit habe ich dazu festgehalten, dass unsere Branche voll von Leuten ist, die berühmt wurden, weil sie einmal in ihrer Karriere richtig lagen. Das gilt auch für Fondsmanager, die klug sind oder das Glück haben, in den Sektoren übergewichtet zu sein, die eine Hausse anführen.
Doch die Aktien, die in den Jahren des Aufschwungs am stärksten steigen, erleben in den Jahren des Abschwungs oft den schwersten Einbruch. Sprichwörter, die hierzu passen, stammen aus der realen Welt, was ihre Relevanz jedoch nicht beeinträchtigt: «live by the sword, die by the sword – lebe nach dem Schwert, stirb durch das Schwert»; «what goes up must come down – was steigt, muss auch wieder fallen» und «the bigger they are, the harder they fall – je grösser sie sind, desto härter fallen sie»:
Vorhin habe ich Robinhood erwähnt, die Trading-Plattform, die den kommissionsfreien Handel eingeführt hat. Sie verkörpert die Rolle der Digitalisierung im Bullenmarkt 2020/21. Robinhood ging im Juli 2021 zu einem Kurs von 38 $ an die Börse, und innerhalb der folgenden Woche schoss die Aktie auf 85 $ hoch. Heute liegt der Kurs bei 10 $, ein Rückgang von 88% gegenüber dem vor weniger als einem Jahr markierten Höchststand.
«Aber die breiten Indizes an den Börsen stehen doch gar nicht so schlecht da», könnte man hier einwenden. Der technologielastige Nasdaq Composite ist im Jahr 2022 «nur» um 27,4% gefallen. Zu den Merkmalen dieses Bullenmarktes zählt, dass die Aktien der grössten Unternehmen – die am stärksten gewichtet sind – am besten abgeschnitten haben, was den Indizes Auftrieb gab. Bedenken Sie deshalb, was das für den Rest bedeutet: 22% der Nasdaq-Aktien sind um mindestens 50% gefallen. (Diese Angaben sowie die unten folgenden Daten beziehen sich auf das Stichdatum per 20. Mai.)
Hier sind die Kursrückgänge seit dem Hoch von einigen prominenten Aktien aus dem Bereich Technologie/Digitalisierung/Innovation, die ich zufällig ausgewählt habe. Vielleicht sind hier einige Titel dabei, bei denen Sie sich auf dem Höhepunkt der Kursentwicklung erheblich ärgerten, sie nicht gekauft zu haben:
Nehmen wir nun an, Sie glauben noch immer, dass die Kurse am Markt von einem Konsens intelligenter Investoren auf der Grundlage von Fundamentaldaten bestimmt werden. Wenn das der Fall ist, warum sind dann alle diese Aktien um einen solch hohen Prozentsatz gesunken? Und glauben Sie wirklich, dass sich der Wert dieser Unternehmen in den letzten Monaten im Durchschnitt mehr als halbiert hat?
Diese Frage führt zu einem anderen Aspekt, über den ich oft nachdenke. An Tagen, an denen der Aktienmarkt die grössten Kursbewegungen erlebt, tendiert Bitcoin oft in dieselbe Richtung. Gibt es einen fundamentalen Grund, weshalb die beiden Anlageklassen miteinander korrelieren sollten? Das Gleiche gilt für internationale Wechselbeziehungen: Wenn die Märkte in Japan den Tag mit einem grossen Kursrückgang beginnen, folgen die Börsen in Europa und in den USA oft diesem Trend. Manchmal erscheint es auch so, dass amerikanische Aktien den Ton angeben und Japan dann nachzieht. Hängen die Fundamentaldaten dieser Länder so eng miteinander zusammen, dass gemeinsame Kursbewegungen gerechtfertigt sind?
Meine Antwort auf all diese Fragen lautet grundsätzlich «Nein». Der gemeinsame Nenner sind nicht die Fundamentaldaten, sondern die Psychologie – und wenn sie sich massgeblich ändert, sind alle diese Anlagen in ähnlicher Weise betroffen.
Für Anleger, die sich mit den Lehren des Investierens befassen, besteht der entscheidende Punkt wie immer nicht darin, welche Ereignisse in einer bestimmten Periode stattgefunden haben, sondern was wir aus ihnen lernen können. Und aus den Entwicklungen der Jahre 2020/21, die sich mit denjenigen von früheren Zyklen reimen, kann man eine Menge lernen. In Bullenmärkten:
Das sind Themen, die ich in meiner beruflichen Laufbahn immer wieder erlebt habe. Keiner dieser Aspekte hat ausschliesslich mit fundamentalen Entwicklungen zu tun. Vielmehr sind die Ursachen weitgehend psychologischer Natur. Die Art und Weise, wie die Psychologie der Märkte funktioniert, wird sich zudem wohl kaum ändern. Deshalb bin ich mir sicher, dass wir diese Phänomene immer wieder erleben werden, solange Menschen am Anlageprozess beteiligt sind.
Und zur Erinnerung: Da die grossen Auf- und Abwärtstrends an den Märkten primär von der Psychologie bestimmt werden, ist klar, dass Marktbewegungen, wenn überhaupt, nur dann vorhergesagt werden können, wenn sich die Kurse auf absurden Hoch- oder Tiefständen befinden.
Bei diesem Gastbeitrag handelt es ich um einen Auszug aus dem jüngsten Memo von Howard Marks. Die englische Originalfassung ist unter diesem Link auf der Website von Oaktree Capital abrufbar.