Meinung

Das Fed kann keinen ewigen Bullenmarkt kaufen

Die Bilanz der US-Notenbank ist auf fast 8 Bio. $ angeschwollen. Ihr Abbau wird eine grosse Herausforderung sein, denn eine starke konjunkturelle Erholung ist unwahrscheinlich.

Myret Zaki
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Wenn es um die Aktienmärkte geht, sagt die Grafik der Bilanzsumme der US-Notenbank Fed eigentlich alles. Sie zeigt, dass die Märkte auf dem Schoss eines grossen Käufers von Staatsanleihen und Hypothekarschulden sitzen, der in den letzten zwölf Jahren für eine dauerhafte Unterstützung der Märkte gesorgt hat. Die Bilanzsumme erreichte am 27. April rund 7800 Mrd. $, nachdem das Fed von 2019 bis 2020 für 3200 Mrd. $ Vermögenswerte gekauft hatte, was die aktuelle Börseneuphorie befeuert hat.

Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie stark die Fed-Käufe von Vermögenswerten die Märkte anheizen: Mittlerweile machen sie 40% des gesamten Marktwerts aller US-Staatsanleihen aus. Und sie entsprechen 25% der Kapitalisierung aller im Aktienindex S&P 500 enthaltenen Titel. Die Fed-Bilanz ist fast doppelt so gross wie das BIP des Vereinigten Königreichs. Sie entspricht 72 Warren Buffets, die ihren Vermögensverwalter anweisen, ihr gesamtes Vermögen in US-Anleihen anzulegen.

Zwei Drittel der 7800 Mrd. $ des Fed liegen in Treasuries, und der Rest entfällt grösstenteils auf mit (Wohn-)Hypotheken gesicherte Wertpapiere. Warum sollte diese säkulare Neubewertung von Anleihen überhaupt die Aktienbewertung beeinflussen? Weil es wieder einmal um die Unternehmensbilanzen geht. Die Aufwertung von Staatsanleihen wertet den gesamten Kreditbereich auf und sichert ihn ab.

Die Bestätigung eines guten Ratings erhöht immer auch den Wert der Aktie eines Unternehmens. Es ist ein gigantischer Bonus für alle Unternehmensbilanzen, Kreditspreads, Cashflows und Kapitalkosten, ein Refresh-Knopf, der selbst den Junk-Bond-Kategorien Rückenwind verleiht. Auch Firmen, die den Kreditmarkt nur spärlich anzapfen, wurden in ihrer Bewertung positiv beeinflusst.

Eine Billion hier, eine Billion da

Billionen sind jetzt das Standardmass – zumindest für Schulden. Bei Gold wird noch in Milliarden gerechnet: 11 Mrd. $ in «Goldzertifikaten» sitzen jetzt in der Fed-Bilanz. Nimmt man die 8000 Tonnen physischen Goldes hinzu, die in Fort Knox, Kentucky, lagern und einen Wert von 456 Mrd. $ haben, entsprechen die Goldreserven 6% der Fed-Aktiva, die überwiegend aus Schulden bestehen.

Die Bilanz der Europäischen Zentralbank sieht ähnlich aus und übersteigt seit Februar die Marke von 7,5 Bio. €, was mehr als 70% des BIP der Eurozone entspricht, während das Verhältnis der Fed-Bilanz zum US-BIP 35% beträgt. Die EZB hielt am 18. Februar 3,89 Bio. € in Anleihen und gab fast 2 Bio. € für Refinanzierungsgeschäfte aus. Eine interessante Beobachtung ist, dass die EZB-Liquidität grösstenteils in US-Aktien geflossen ist und nicht dem Aktienmarkt in Europa zugute kam, wie die gedämpfte Performance des Stoxx 600 zeigt, der seit 2009 eine merklich schwächere Performance als der S&P 500 erzielte.

Zurück zum Fed: Seine Expansion kam US-Aktien aufgrund der Tiefe des US-Kreditmarktes – der Markt für Unternehmensanleihen ist viel weiter entwickelt als in der Eurozone – in Kombination mit dem historischen Boom von Tech-Innovationen in Kalifornien dramatisch zugute. Das Fed wurde ab 2008 zum zentralen Marktteilnehmer, als sich seine Bilanz innerhalb eines Jahrzehnts auf 4,5 Bio. $ verfünffachte. Dann durchlief sie zwischen 2018 und August 2019 eine kurze Schrumpfungsphase und ging auf 3,76 Bio. $ zurück.

Diese Phase ist es wert, genau unter die Lupe genommen zu werden, weil sie einen Live-Test darstellte, was passieren würde, wenn die Bilanz jemals wieder schrumpfen sollte. Das Fazit des Tests ist unumstösslich: Die Märkte vertragen keine Schrumpfung. Die «quantitative Straffung» führte zu einem Druck auf die Zinssätze, was nach einer Bilanzreduktion um bloss 1 Bio. $ zu einem starken Ausverkauf bei Risikoanlagen führte, da die Händler nicht mehr bereit waren, Kredite aufzunehmen. Jerome Powell kehrte die Politik um und beschleunigte die Käufe im letzten Jahr dramatisch. 2020 wurden mehr Schulden gekauft als je zuvor.

Das Fed treibt alle Vermögenswerte in die Höhe

Wir haben in dieser Kolumne bereits die Folgen der Fed-zentrierten Märkte und der Zentralbankliquidität analysiert: Sie erhöht die Korrelation zwischen allen Vermögenswerten erheblich. Im Moment bewegen sich Aktien, Anleihen und Kryptowährungen alle auf hohem Niveau. Kurze Korrekturen kommen vor, aber der Trend ist insgesamt einheitlich. Die andere Konsequenz, auf die wir hier hinweisen, ist die erhebliche Herausforderung, vor der das Fed steht: nämlich vor der Unmöglichkeit, ihre Bilanzsumme zu reduzieren. Da sie fast 8 Bio. $ erreicht hat, scheint die Aussicht eines Rückgangs auf nur schon 7 Bio. $ gefährlich, es sei denn, Wirtschaft und Arbeitsmarkt erholen sich kräftig.

Laut dem Pew Research Center scheint eine vollständige Erholung des Arbeitsmarktes in weiter Ferne zu liegen, und einige Covid-Effekte könnten unterschätzt worden sein. «Der Rückgang der Erwerbsbeteiligung legt nahe, dass die offizielle Arbeitslosenquote den Anteil der Amerikaner unterschätzt, die ohne Arbeit sind», heisst es im Papier. Der Fed-Vorsitzende Jerome Powell schlug daher vor, diejenigen, die seit Februar 2020 aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, «zu den Arbeitslosen zu zählen, um ein besseres Verständnis für den Einbruch auf dem Arbeitsmarkt zu erhalten.»

Ein Problem, das die Fed-Bilanz nicht lösen kann, ist die schwierige Situation auf dem Arbeitsmarkt. Es ist daher an der Zeit, sich vom übermässigen Vertrauen in die Geldpolitik zu lösen und sich auf die Fiskalpolitik zu fokussieren.

Myret Zaki

Myret Zaki begann 1997 als Analystin in einer Genfer Privatbank, wo sie die Grundlagen der Unternehmensanalyse erlernte. 2001 wechselte sie zur Tageszeitung «Le Temps», wo sie neun Jahre lang den Finanzbereich leitete. Als die Finanzkrise 2008 ausbrach, schrieb sie das investigative Buch «UBS am Rande des Abgrunds», für das sie den Schweizer Journalistenpreis erhielt. 2010 wechselte sie zu «Bilan»; von 2014 bis 2019 war Zaki Chefredakteurin der Zeitschrift. Zwischen 2010 und 2016 schrieb sie drei weitere Bestseller über das Bankgeheimnis, das Ende des Dollar-Reserve-Status und den Aufstieg des Schattenbankensystems. Zaki hat einen Bachelor in Politikwissenschaft von der American University in Kairo und einen MBA von der Business School of Lausanne. Heute ist sie Leiterin der Fakultät für Kommunikation an der Hochschule für Journalismus und Medien in Lausanne.
Myret Zaki begann 1997 als Analystin in einer Genfer Privatbank, wo sie die Grundlagen der Unternehmensanalyse erlernte. 2001 wechselte sie zur Tageszeitung «Le Temps», wo sie neun Jahre lang den Finanzbereich leitete. Als die Finanzkrise 2008 ausbrach, schrieb sie das investigative Buch «UBS am Rande des Abgrunds», für das sie den Schweizer Journalistenpreis erhielt. 2010 wechselte sie zu «Bilan»; von 2014 bis 2019 war Zaki Chefredakteurin der Zeitschrift. Zwischen 2010 und 2016 schrieb sie drei weitere Bestseller über das Bankgeheimnis, das Ende des Dollar-Reserve-Status und den Aufstieg des Schattenbankensystems. Zaki hat einen Bachelor in Politikwissenschaft von der American University in Kairo und einen MBA von der Business School of Lausanne. Heute ist sie Leiterin der Fakultät für Kommunikation an der Hochschule für Journalismus und Medien in Lausanne.