Die Frage nach dem Danach in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft stellt sich immer dringender. Was könnten die geopolitischen Folgen der Covid-19-Pandemie auf die Weltwirtschaft sein?
Die durch das Virus Sars-CoV-2 verursachte Covid-19-Pandemie betrifft alle Länder der Welt und alle Gesellschaftsschichten. Insofern kann sie durchaus mit einem epochalen Ereignis wie dem Zweiten Weltkrieg verglichen werden. Allerdings sind Gewinner und Verlierer weniger offensichtlich, als dies nach dem Sieg der Alliierten über die Achsenmächte der Fall war.
Alles erscheint mit Blick auf das Leben danach möglich, von einer gewissen Rückkehr zur vor-pandemischen Normalität bis hin zum Beginn grundlegender Umschichtungen – genau so, wie der Zweite Weltkrieg die Dekolonisierung der Dritten Welt eingeleitet und sich damit Weltpolitik und Weltwirtschaft grundlegend verändert hatten.
Veränderungen auf technischer Ebene der Weltwirtschaftsbeziehungen sind immerhin wahrscheinlich. Das System der vor der Pandemie bestehenden, globalen Waren- und Wertschöpfungsketten als Basis der bisherigen «just in time»- Produktion wird sich wohl verändern.
Reine Kosten- und Profitberechnungen werden durch Überlegungen zu Nachschubsicherheit und geographischer Produktionsdiversität ergänzt werden müssen. Um es konkreter, und im Moment bewusst noch als Frage auszudrücken: Wo und in welchen Wirtschaftszweigen wird es zu einem «reshoring», also der Rückführung in alte Produktionsstätten in Europa oder Nordamerika kommen?
Die schon vor der Pandemie immer lauter werdenden Stimmen, auch und gerade die Wirtschaft müsse sich vermehrt für das Wohl aller Stakeholder einsetzen, werden sich verstärken. Sowohl innerhalb nationaler und regionaler Märkte – etwa in Europa – als auch im internationalen Austausch von Kapital, Gütern und Dienstleistungen könnten neue Regeln gelten, von der vermehrten Beachtung von ESG-Kriterien (Environment, Social, Governance) bis zur Fiskalpolitik.
All dies wird in der Zukunft vermehrt auch überwacht, und Zuwiderhandelnde sanktioniert werden. Die Anbieter von Anlagefonds dürften ihre Anwendung der ESG-Regeln verstärken, wie dies der globale Branchenleader BlackRock bereits generell angekündigt hat. Der grosse britische Asset Manager Schroders will, dass neue Kapitalflüsse in Unternehmen von deren Zurückhaltung bei Entlöhnung und Dividendenausschüttung begleitet sein werden.
Die Regeln nationaler und internationaler Steuerpolitik werden durch die Staaten bestimmt. Auch hier wurde ein Anfang zum besseren Ausgleich bereits vor der Pandemie gemacht. Die OECD will seit einigen Jahren dafür sorgen, dass internationale Unternehmen am Ort der Wertschöpfung, und nicht in einem Fiskalparadies besteuert werden. Letztere ganz aus dem Verkehr der Steueroptimierung sowohl von Unternehmen als auch Einzelpersonen zu ziehen, wird zwar schwierig sein, denn viele OECD-Länder – beziehungsweise einzelne Gebietskörperschaften – zählten bis anhin zu den eifrigsten Architekten von Steuerinseln. Die Liste umfasst Übersee-Gebietskörperschaften Grossbritanniens, EU-Staaten wie die Niederlande oder US-Gliedstaaten wie Delaware, Heimat des Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei, Joe Biden.
Trotz dieser Interessenlage: Der Druck, Steuerschlupflöcher zu schliessen, wird markant steigen. Der Staat wird generell in der Wirtschaft eine stärkere Stellung einnehmen. Pandemiebekämpfung konnte und kann nur der Staat, was im Moment der Katastrophe von allen vernünftigen Kommentatoren auch akzeptiert worden ist. Er verschuldet sich dafür ja auch in zeitgeschichtlich einzigartigem Mass. Dafür muss er sich refinanzieren, mittelfristig wird die Steuerlast steigen. Ausnahmen, Vergünstigungen und Schlupflöcher dürften geschlossen werden.
Wie die Geschichte zeigt, könnte dies in einer auf mehr sozialen Ausgleich gerichteten Art und Weise geschehen, unabhängig von herrschender politischer Couleur. In der unmittelbaren Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg lagen die marginalen Steuersätze zur Abzahlung der Kriegsschuld sowohl im damals sozialdemokratisch regierten Frankreich als auch in den USA unter dem Republikaner Eisenhower höher als die kühnsten entsprechenden Zahlen von Bernie Sanders.
Zentral ist die Frage, ob sich nicht nur diese Ausprägungen, sondern auch die Natur des bisherigen Wirtschaftskapitalismus ändern wird. Der französische Wirtschaftsprofessor Thomas Piketty, der über soziale Ungleichheit forscht und publiziert («Kapital im 21. Jahrhundert», «Kapital und Ideologie») plädiert seit Jahren für einen Kapitalismus, in dem wieder Arbeitsleistung und nicht Kapitalakkumulation Basis zum wirtschaftlichen Erfolg sein sollte.
In der «Financial Times» fragt sich die indische Autorin Arundhati Roy, das ihrer Meinung nach katastrophale Pandemiemanagement des indischen Premierministers Modi einleitend, ob der gegenwärtige Kapitalismusmotor geflickt oder ersetzt werden muss.
Ein guter Teil der Ausprägung der künftigen Weltwirtschaft wird sich tatsächlich in den Entwicklungsländern entscheiden, jene die wir oft beschönigend als «Schwellenländer» oder «Wachstumsmärkte» bezeichnen – allerdings mit ungenügenden oder auch fehlenden Sozialnetzen für viele, speziell die absolut Ärmsten, welche von Tag zu Tag überleben müssen.
Ob diese Länder medizinisch von Covid-19 so stark betroffen werden wie wir, ist noch immer unklar. Sicher aber ist, dass die von der Pandemie verursachte Weltwirtschaftskrise sie brutal treffen wird. Der Einbruch der Nachfrage nach ihren Rohstoffen und nach Konsumgütern wie Textilien, der Rückzug internationaler Anleger und der Wegfall von Remissen der Millionen von Gastarbeitern in höher entwickelten Ländern, könnte sehr wohl zu grösseren Unruhen führen. Solche aber werden sich, wie das Virus, global auswirken, unbesehen von einer allfälligen wirtschaftlichen De-Globalisierung.