Ein selbst verschuldeter triple whammy hat das Ansehen der Schweiz, ihrer höchsten Vertreter und ihrer Aussenpolitik auf den tiefsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg gebracht: Festgefahrene Europapolitik, feige Haltung gegenüber der um ihre Existenz kämpfenden Ukraine und nun die Kernschmelze der Credit Suisse, welche die Landesmarke im Namen trägt.
Den schlimmsten Ausrutscher hat sich ausgerechnet der höchste Schweizer dieses Jahr geleistet. Was Bundespräsident Alain Berset in zwei Interviews mit «Le Temps» und der «NZZ am Sonntag» zum Ukrainekrieg äusserte, war ethisch verwerflich und aussenpolitisch verheerend – im «Kriegsrausch» befindet sich allein der Kriegsverbrecher Putin. Mit Ausnahme des russischen Botschafters in der Schweiz und der SVP waren alle nationalen und internationalen Reaktionen von Unverständnis, teilweise Einsetzen geprägt. Sein politisches Vermächtnis hat Berset damit auf Dauer beschädigt.
Zudem gehört der Bundespräsident dem Vernehmen nach zur Mehrheit im Bundesrat, die vor den eidgenössischen Wahlen keine wirkliche Einigung mit der EU über die Weiterführung des bilateralen Weges will. Eine solche muss die grundsätzliche Anerkennung der letztinstanzlichen Kompetenz des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) für die Anwendung der Binnenmarktregelungen umfassen. Wenn Brüssel dem für Europa strategisch ungleich wichtigeren Partner Grossbritannien hier keine Ausnahme zubilligt, wird das für die Schweiz umso weniger möglich sein.
Anstatt mit Wahlkampfpolitik unsere Europapolitik weiter zu vergiften, sollte die schweizerische Landesregierung vielmehr dem von Rechts- und Linksnationalisten gehätschelten Popanz der «Fremden Richter» entgegentreten: Was den Binnenmarkt mit allen seinen begleitenden Freiheiten anbelangt – die Schweiz angehört ihm an und einer grossen Mehrheit in der Schweiz erscheint er unverzichtbar– so sind die Richter in Luxemburg neben deutschen, französischen und 25 weiteren Nationen, eben auch schweizerische Richter.
In dieser Sache ebenso wie in anderen strittigen Punkten hat der Besuch von EU-Kommissar Maroš Šefčovič in der Schweiz offensichtlich keinen Fortschritt gebracht. Im Gegenteil wird die unnachgiebige Haltung der Schweiz mit Blick auf Unterstützung der Ukraine das allgemeine Gesprächsklima zwischen dem neutralen Aussenseiter und den EU-Mitgliedsländern weiter beeinträchtigen.
Zwar wird versichert, dass die EU keine direkte Koppelung von Europa- und Ukrainepolitik anstrebe. Doch dürfte offensichtlich sein, dass etwa eine deutsche Regierung angesichts des schroffen Berner Neins zur Weitergabe von Munition und Panzern an die notleidende Ukraine noch weniger Geduld für helvetische europapolitische Extrawürste aufbringen wird.
Hier liegt das gegenwärtige Hauptproblem der schweizerischen Aussenpolitik. Es sei halt von Neutralität und dem Kriegsmaterialgesetz her unmöglich, mehr als humanitäre Hilfe an die Ukraine zu liefern. Beides ist falsch. Neutralität ist eines von mehreren Mitteln, eine vernünftige Aussenpolitik zu führen. So sieht es die Bundesverfassung vor. Wo Neutralität nicht zweckdienlich ist, soll sie auch nicht angewandt werden.
In einem nackten Aggressionskrieg, so sehen es die heute geltenden, im Rahmen der Uno festgelegten Regeln des Völkerrechts vor, hat der Angegriffene das Recht, sich zu verteidigen und dafür auf die Hilfe jener zu bauen, die seine Werte teilen. Es gibt also weder einen völkerrechtlichen Grund noch eine moralische Rechtfertigung, die Neutralität anzurufen.
Das Gesetz über die Ausfuhr von Kriegsmaterial, und speziell seine Verschärfung kurz vor dem Angriff von Putin auf die Ukraine hatte den Zweck, Ausfuhren zu verhindern in Konfliktgebiete, wo eine Unterscheidung zwischen Angreifer und Opfer nicht klar ist, keineswegs aber darin, die Verteidigung gegen Aggression und damit einen Angriff auch auf schweizerische Grundwerte zu verhindern.
Zudem ist unter diesem Gesetz die Bewilligung zur Weitergabe von Kriegsmaterial, das Dritten gehört, ohne weiteres möglich; wenn nötig mit Notrecht. Letzteres anzuwenden, hat dem Bundesrat ja offensichtlich anlässlich des Debakels um die Credit Suisse keinerlei Mühe bereitet.
Was da an Halb- und Unwahrheiten sowie an Unterlassungen von Seiten der langen rogues gallery der privatwirtschaftlichen und behördlichen Verantwortlichen zusammengekommen ist, dürfte präzedenzlos sein.
Hier sei der Blick auf offizielle schweizerische Vertreter beschränkt. Für den Schreibenden, einst Vertreter der Schweiz am Golf, hat dies bereits anlässlich der letzten Finanzkrise 2008/9 begonnen. Das damalige Eigenlob der Credit Suisse, im Gegensatz zur UBS sei man nicht auf staatliche Hilfe angewiesen, war lächerlich, wurde aber in der Schweiz ohne Widerspruch geschluckt.
Lächerlich, weil die Not-Finanzierung aus den Ölscheichtümern kam, speziell Katar, wo bekanntlich nicht zwischen den Staats- und den Privatschatullen der regierenden Familien unterschieden wird. Es war also ebenfalls staatliche Hilfe und dies unter schlechteren Bedingungen als sie die UBS in der Schweiz erhielt.
Die damaligen Spitzen der Credit Suisse standen als rein privatwirtschaftliche Vertreter mit dem Hut in der Hand in der Wüste. Dass diesmal ein saudischer Investor den endgültigen Niedergang der Grossbank einläutete, war sein gutes kommerzielles Recht. Warum auch hätte er auf das Ansehen der Schweiz Rücksicht nehmen sollen.
Dies im Gegensatz zur schweizerischen «Dreifaltigkeit» – nach einem Bonmot der Financial Times umfassend Finanzministerin Karin Keller-Sutter, Nationalbankpräsident Thomas Jordan und Finma-Präsidentin Marlene Amstad – am schwarzen Wochenende vom 18./19. März. Ob dieser Kraftakt in letzter Minute den immensen Flurschaden durch die Kernschmelze der namentlichen Schweizer Bank eindämmen wird, ist offen.
Regeln zu Eigentum – die faktische Enteignung von ausländischen Bondeigentümern – und zum Wettbewerb mussten, weil die Zeit drängte, ausser Acht gelassen werden – alle anderen Möglichkeiten als eine billige Übernahme mit Staatsgarantie für allfällige Verluste der zukünftigen Monsterbank UBS wurden ausgeschlossen. Dies wird zu einer Prozesslawine aus dem Ausland und zu politischer Unrast in der Schweiz führen.
Zum dritten Mal innerhalb kürzester Zeit trägt die vermeintlich so glänzende Marke Schweiz tiefe Kratzer davon. Unser Land steht einmal mehr als zwar gut verwaltete, aber im Not- und Krisenfall nicht vorausschauend regierte Insel da.