Meinung

Der Einfluss der Russland-Sanktionen auf Chinas Wirtschaft

Peking wendet sich nicht von Moskau ab, versucht jedoch gleichzeitig, westliche Sekundärsanktionen zu vermeiden. Für Chinas Wirtschaft steht viel auf dem Spiel.

Jörg Wuttke
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Die westlichen Regierungen haben in den Wochen seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine eine Vielzahl von Sanktionen und Handelsembargos gegen Russland verhängt. Hunderte von Unternehmen haben sich entschlossen, Russland zu verlassen, was einen beispiellosen wirtschaftlichen Exodus bedeutet.

Peking bewegt sich in diesem Zusammenhang auf einem schmalen Grat. Chinas Regierung ist mit diesen Sanktionen nicht einverstanden und will eine normale Wirtschaftsbeziehung zu Russland aufrechterhalten. Gleichzeitig möchte China nicht als Unterstützer des Krieges angesehen oder von den US-Sanktionen gegen Russland getroffen werden. Im chinesischen Unternehmenssektor hält man wenig von «Selbstsanktionen», doch in der Öffentlichkeit spricht aus der Wirtschaft kaum jemand über das Thema Russland.

Das bedeutet, China wird weiterhin russische Energie- und Agrarprodukte kaufen, es wird aber keine höheren Technologien oder Güter für militärische Zwecke an Russland verkaufen. Das mag für Washington vorerst akzeptabel sein. Schliesslich treiben viele Verbündete und Partner der USA nach wie vor Handel mit Russland, so dass es heuchlerisch wäre, China dafür zu beschuldigen.

Doch für chinesische Unternehmen bergen die Sanktionen weitere Risiken, wenn sie weiterhin auf dem russischen Markt präsent sind. Der unmittelbarste Schaden für chinesische Unternehmen entsteht im Technologiesektor. Die USA haben Ausfuhrverbote verhängt, um den Verkauf von bestimmten Gütern nach Russland einzuschränken. Sie betreffen alle Elektronik-, Computer-, Telekommunikations-, Sensor-, Navigations-, Avionik-, Schiffs- und Raumfahrttechnologien. Das US-Handelsministerium setzte 91 mit Russland verbundene Unternehmen auf seine Entity List und verbot zudem die Ausfuhr von Ausrüstungsgütern für die Verarbeitung von Rohöl.

Dünnes Eis für chinesische Unternehmen

Für chinesische Unternehmen ist dies besonders problematisch, weil die USA zusätzlich zu den Exportverboten auch die Foreign Direct Product Rule (FDPR) auf Russland anwenden. Demnach dürfen Drittländer keine kontrollierten Güter nach Russland exportieren, wenn die Produkte oder Dienstleistungen irgendeine US-Komponente oder -Technologie enthalten. Die Regierung von Donald Trump hatte ähnliche Regeln bereits 2019 auf Huawei angewandt und damit den Telecomausrüster weltweit von Halbleiterlieferungen abgeschnitten.

Mit der FDPR wird sichergestellt, dass ein chinesisches Technologieunternehmen, das mit einem Embargo belegte Güter nach Russland exportieren möchte, Gefahr läuft, seine eigenen US-Lieferungen zu verlieren.

Die FDPR hat beispielsweise komplizierte Auswirkungen auf chinesische Hersteller von Unterhaltungselektronik: Während etwa Apple und Samsung ihre Lieferungen von Smartphones auf den russischen Markt gestoppt haben, hat Xiaomi dies noch nicht getan. Xiaomi ist der zweitgrösste Smartphone-Verkäufer in Russland und könnte erhebliche negative Auswirkungen zu spüren bekommen, da in seinen Geräten Qualcomm-Chips verwendet werden. Die Lieferungen der führenden chinesischen Smartphone-Hersteller Xiaomi, Oppo und Huawei nach Russland sind seit dem Ausbruch des Krieges um mindestens 50% eingebrochen. Chinesische Marken machen etwa 60% des russischen Smartphone-Marktes aus.

Abgesehen von der FDPR können die USA auch die Sanktionen gegen chinesische Unternehmen verschärfen. So unterliegen beispielsweise einige führende chinesische Chiphersteller derzeit der US-Ausfuhrkontrolle. Diese Beschränkungen gelten für Produkte und Ausrüstungen, die für die Herstellung von Chips bis zu 10 Nanometer verwendet werden. Würde ein sanktioniertes chinesisches Unternehmen, sei es Huawei oder SMIC, gegen die US-Sanktionen verstossen, indem es Halbleiter nach Russland liefert, könnte es somit selbst seinen Spielraum für Chips bis 10 Nanometer verlieren.

Wenn China Russland mit Lieferungen von Halbleitern unterstützt, wird es als Ermöglicher von Bedrohungen des Weltfriedens abgestempelt werden. Die USA und ihre Verbündeten werden nicht zögern, Sekundärsanktionen gegen China zu verhängen. Tatsächlich haben sowohl die US-Handelsministerin Gina Raimondo als auch das Weisse Haus bekräftigt, dass sie mögliche Sekundärsanktionen rigoros durchsetzen würden.

Energiekäufe erlaubt, aber keine Investitionen

Die russische Energiebranche ist sowohl für das Land als auch für die Welt der kritischste Sektor. Im vergangenen Jahr wurden 40% des Erdgasverbrauchs der Europäischen Union aus Russland gedeckt. China bezog 11% seines Rohölbedarfs aus Russland. Der Ölpreis ist auf dem Weltmarkt bereits gestiegen, und er läge wohl noch deutlich höher, wenn Chinas Ölkonzerne kein russisches Rohöl mehr kaufen könnten.

Bisher haben die westlichen Sanktionen den Energiesektor nur wenig berührt, vor allem wegen der Abhängigkeit Europas. Nur die USA haben bereits alle Öl- und Gasimporte aus Russland verboten. Das Vereinigte Königreich wird bis zum Jahresende den Bezug von russischem Öl einstellen, aber es hat ohnehin nie viel russische Energieträger gekauft.

Wegen der Bedürfnisse Europas können die USA keine umfassenden Sanktionen gegen Russland verhängen, wie sie es im Fall des Iran getan hatten. Die Verordnung der US-Regierung verbietet lediglich russische Energieeinfuhren in die USA. Unternehmen, auch amerikanische, können jedoch weiterhin russisches Öl und Gas kaufen, ohne Sanktionen ausgesetzt zu sein, wenn sie anderswohin transportiert wird. Energiebezogene Transaktionen sind auch von den Finanzsanktionen ausgenommen.

Tatsächlich importiert die EU ungeachtet des Krieges weiterhin Gas über die Pipeline durch die Ukraine. Sie sucht zwar nach anderen Anbietern, aber eine kurzfristige wesentliche Änderung ist unrealistisch. Die EU hat lediglich angekündigt, «vor 2030» auf alternative Lieferungen umzusteigen.

Solange Europa noch russische Energie kauft, können die chinesischen Ölkonzerne dies auch weiterhin tun, ohne Sekundärsanktionen befürchten zu müssen – zumindest vorerst. Doch chinesische Energieunternehmen müssen mit ihren Investitionen in Russland vorsichtig sein. Einige chinesische Staatsunternehmen wie CNPC und Minmetals haben Berichten zufolge bereits Gespräche mit russischen Partnern über den Erwerb von Anteilen geführt. Der Energieriese Sinopec befindet sich in intensiven Gesprächen mit seinem Partner Sibur; die beiden Konzerne haben im Dezember 2020 ein 10 Mrd. $ schweres Joint Venture, den Amur Gas Chemical Complex, zur Produktion von Polyethylen und Polypropylen gegründet.

Derartige Beteiligungsgeschäfte würden sekundäre Sanktionen auslösen, wenn sie von den USA sanktionierte russische Unternehmen betreffen, die sowohl gegen das Verbot von Finanzinvestitionen als auch gegen das Verbot von Energiegeschäften verstossen. Die meisten grossen chinesischen Staatsunternehmen im Energiesektor haben Tochtergesellschaften in den USA und wären dort mit Sanktionen konfrontiert.

Begrenzter Schaden für chinesische Banken

Die Finanzsanktionen sind am komplexesten. Von allen Sanktionen, die gegen das russische Finanzsystem verhängt wurden, betrifft die grösste die russische Zentralbank (Central Bank of Russia, CBR). Mehrere Länder, darunter die USA, die EU, das Vereinigte Königreich und Japan, haben die Devisenreserven der Zentralbank eingefroren. Unternehmen aus diesen Ländern ist es untersagt, mit der CBR Geschäfte zu tätigen.

Sberbank und VTB, die beiden grössten kommerziellen Kreditinstitute Russlands, sowie viele kleinere Banken sind von den Sanktionen des US-Finanzministeriums betroffen. Sberbank ist vom US-Finanzsystem abgeschnitten und kann keine Dollar-Transaktionen tätigen, während die Vermögen von VTB eingefroren wurden. US-Unternehmen können mit keiner der beiden Banken Geschäfte machen.

Sieben russische Banken, darunter VTB, können Swift, das globale Nachrichtennetz für Transaktionen, nicht mehr nutzen. Das alles bedeutet, dass chinesische Banken keine Dollar-Transaktionen mehr mit Sberbank oder VTB tätigen können. Die Situation ist ähnlich wie im Fall der iranischen Banken, die ebenfalls unter den Sanktionen des US-Finanzministeriums stehen. Wenn chinesische Finanzinstitute mit ihnen Geschäfte machen, müssen sie mit Sekundärsanktionen der USA rechnen. Die Bank of Kunlun war ein solcher chinesischer Kreditgeber, der zuvor wegen Geschäften mit Iran sanktioniert worden war.

Die Auswirkungen auf China sind vorerst recht begrenzt, da die Sanktionen auf ausgewählte russische Banken abzielen. Das Land ist nicht völlig vom globalen Finanzsystem abgeschnitten, und auch ausländische Banken können weiterhin in Russland tätig sein. Die ICBC Russia beispielsweise, ein direkter Teilnehmer an Chinas CIPS-System – eine Alternative zu Swift –, bleibt in Moskau geöffnet und muss sich keine Sorgen um Sanktionen machen. Viele europäische Banken sind weiterhin in grösserem Umfang in Russland tätig, darunter auch die französische Société Générale.

Vor allem Gazprombank, die drittgrösste Bank Russlands, die sich im Besitz des Gasriesen Gazprom befindet, ist nur geringen Sanktionen ausgesetzt. Sie ist vom Swift-Verbot ausgenommen, das US-Finanzministerium hat ihr nur die Aufnahme von Kapital auf den US-Finanzmärkten untersagt. Selbst für sanktionierte russische Banken und Energieunternehmen gewähren die USA eine Abwicklungsfrist bis zum 24. Juni für energiebezogene Zahlungen. Was danach geschieht, ist unklar.

Kein zusätzlicher Schub für den Renminbi

Die interessantere und spekulativere Frage ist die nach den Auswirkungen der Sanktionen auf die chinesische Währung. Ein Argument ist, dass die USA und ihre Verbündeten mit ihren Sanktionen gegen Russlands Zentralbank die Rolle des Dollars missbraucht haben, was die Entdollarisierung beschleunigen könnte.

Das würde die Popularität des Renminbi weltweit steigern, besonders in den Schwellenländern. An dieser Ansicht ist etwas dran. Für Länder, die nicht zu den Verbündeten oder gar zu den Gegnern der USA gehören, ist es sicherlich sinnvoll, ihre Währungsreserven vom Dollar weg zu diversifizieren. Sie könnten ihre Goldreserven auch in ihren eigenen Tresoren und nicht bei der Federal Reserve Bank of New York deponieren, da auf Dollar lautende oder bei US-Behörden gehaltene Vermögenswerte in Extremsituationen möglicherweise konfisziert werden.

Da der Anteil des Renminbi an den weltweiten Devisenreserven (ohne China) immer noch nur 3,3% beträgt, wäre es nicht überraschend, wenn seine Verwendung in den kommenden Jahren zunehmen würde. Allerdings ist der Abgesang auf den Dollar zu früh, und nach wie vor sprechen einige Argumente gegen den Renminbi.

  • Erstens zeigen die koordinierten Sanktionen der G-7-Staaten gegen die Zentralbank Russlands, dass der Euro oder der Yen nicht sicherer sind als der Dollar, wenn ein Land in einen Konflikt mit dem Westen gerät. Tatsächlich hat die CBR bereits vor einigen Jahren in Erwartung möglicher US-Sanktionen begonnen, sich vom Dollar abzuwenden. Das half ihr diesmal jedoch wenig, da alle ihre Vermögenswerte in Euro, Yen und Pfund Sterling ebenfalls eingefroren wurden.
  • Zweitens kann sich China nicht verbergen. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die People’s Bank of China (PBoC) mit 3,2 Bio. $ über die weltweit grössten Devisenreserven verfügt, die 25% des globalen Gesamtvolumens ausmachen, und ihr auf Dollar lautender Betrag ist wahrscheinlich auch der grösste. Während Länder wie Russland einen Teil ihrer Devisenreserven von westlichen Währungen auf Renminbi umstellen können, kann die PBoC nicht auf Rubel oder Rupien umstellen. Es wird keinen sinnvollen Regimewechsel im globalen Währungsgefüge geben, wenn die PBoC nicht in der Lage ist, ihre eigene Bilanz zu entdollarisieren oder besser gesagt zu entwestlichen.
  • Drittens kann der Renminbi in extremen Szenarien eher ein Problem als eine Lösung darstellen. Die USA haben China als ihren grössten Widersacher bezeichnet, so dass das Risiko eines Konflikts zwischen den beiden Nationen nicht gleich Null ist. Sollte es zu einem Konflikt kommen, wäre dies für jeden westlichen Investor mit Renminbi-Anlagen problematisch. Selbst nicht-westliche Investoren müssten sich überlegen, ob es noch sinnvoll ist, den Renminbi zu verwenden, wenn Washington chinesische Banken oder die PBoC sanktionieren würde.

In der heutigen Finanzwelt ist es äusserst schwierig, den Westen völlig zu umgehen. Im Fall der Zentralbank Russlands sind die Renminbi-Vermögenswerte zwar nicht eingefroren, aber es bleibt unklar, wie die Institution sie nutzen kann. Der Rubelkurs wird immer noch hauptsächlich in Dollar und Euro notiert, und es gibt nur wenige direkte Devisentransaktionen zwischen Rubel und Renminbi. Wenn jemand zwischen den beiden Währungen wechseln möchte, muss er oft eine dritte Währung wie den Dollar oder den Euro als Zwischenstufe einschalten, und das ist verboten.

Eine unbeabsichtigte Folge der Sanktionen ist, dass wohlhabende Chinesen möglicherweise Vermögen aus dem Ausland nach Hause bringen wollen – eine Umkehrung dessen, was sie in früheren Jahrzehnten getan haben. Das könnte dem Renminbi über die kommenden Monate und Jahre Auftrieb verleihen.

Das Schicksal von russischen Oligarchen wie Roman Abramowitsch und Alisher Usmanow kann den reichen Chinesen als Weckruf dienen: Ihr westliches Vermögen ist im Fall eines Konflikts nicht sicher, und ihre ausländischen Pässe sind nutzlos.

Jörg Wuttke

Jörg Wuttke ist Präsident der EU-Handelskammer in China – ein Amt, das er bereits von 2007 bis 2010 sowie von 2014 bis 2017 besetzt hatte. Wuttke ist Chairman der China Task Force des Business and Industry Advisory Committee der OECD (BIAC) sowie Mitglied des Beratergremiums des Mercator Institute for China Studies (MERICS) in Berlin. Er lebt seit mehr als drei Jahrzehnten in Peking.
Jörg Wuttke ist Präsident der EU-Handelskammer in China – ein Amt, das er bereits von 2007 bis 2010 sowie von 2014 bis 2017 besetzt hatte. Wuttke ist Chairman der China Task Force des Business and Industry Advisory Committee der OECD (BIAC) sowie Mitglied des Beratergremiums des Mercator Institute for China Studies (MERICS) in Berlin. Er lebt seit mehr als drei Jahrzehnten in Peking.