In der Innen- und Aussenpolitik hat der russische Präsident Wladimir Putin in den vergangenen Wochen entscheidende Weichen gestellt. Die Zusammenarbeit mit der russischen Wirtschaft wird noch risikoreicher.
Mit der Ersetzung von Premierminister Dmitri Medwedew durch Michail Mischustin hat Wladimir Putin, hinter einem Schleier komplizierter Kompetenzverschiebungen in der Verfassung, kürzlich seine Amtsdauer auf Lebenszeit verlängert. So jedenfalls lautet die einhellige Meinung der Russlandexperten in den internationalen Medien.
Dank Alexei Nawalny, dem einzigen noch nicht zum Schweigen gebrachten Regimekritiker Russlands, wissen wir auch, dass Mischustin, der als unerbittlicher Jäger von Steuersündern angepriesen wird, während seiner Beamtenlaufbahn für sich und seinen Familienclan unerklärliche Reichtümer angehäuft hat.
Das passt in das Schema der flächendeckenden Korruption, die Putin zu Gunsten von sich, den Seinen und deren Helfern errichtet hat. Beschrieben wird das System in der Lebens- und Leidensgeschichte des in England lebenden Amerikaners Bill Browder, des einstmals wichtigsten ausländischen Investors im postsowjetischen Russland und Gründer des Funds Hermitage Capital Management. Sein Buch «Red Notice: How I Became Putin’s No. 1 Enemy» ist bereits 2015 erschienen. Die Schilderungen grenzenloser Gier an der Spitze des Staates, willfähriger Justiz und korrupter Verwaltung gelten aber mehr denn je.
Browder, Stammgast am World Economic Forum, wurde dieses Jahr nach verlässlichen Quellen gewarnt, dass er in Davos vom russischen Geheimdienst bedroht sei. Dem Vernehmen nach gaben sich die Häscher als «Spengler» aus, die schon im vergangenen Sommer in Davos «Ferien» verbracht hatten.
Die dunkelste Seite Putins Herrschaft besteht darin, dass er Kritiker, die ihm gefährlich erscheinen, kaltblütig umbringt. So auch 2015 den damals wichtigsten Dissidenten, Boris Nemtsov, auf einer Moskauer Brücke in Sichtweite des Kremls. Ganz zu schweigen von abgesprungenen Spionen, die er mit Nuklearmaterial im westlichen Ausland vergiften lässt. Übrigens: Leicht raffinierter, aber gleichwertig, wie das der Kronprinz von Saudi-Arabien praktiziert.
In Syrien, wo der Massenmörder Baschar al-Assad sein Überleben russischen Truppen zu verdanken hat, und in Libyen, wo Putin den Putschgeneral Khalifa Haftar als Puppe vorschiebt, ist auch eine kriegerische Auseinandersetzung mit einem anderen autoritären Herrscher voraussehbar: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, selbsternannter Aspirant auf den Kalifentitel in der muslimischen Welt, ist an diesen beiden Kriegsschauplätzen auf der jeweils gegnerischen Seite aktiv.
Bis anhin haben sich Erdogan und Putin einigermassen arrangiert. Doch der Tod türkischer Truppen – in Syrien bereits Tatsache, in Libyen voraussehbar – könnte eine russische Provokation zu viel sein.
Die Konsequenzen eines Aufflammens dieser Konflikte trägt Europa, speziell Westeuropa in Form absehbarer Wellen neuer Flüchtlinge aus der Peripherie unseres Kontinents – mit allen humanitären und politischen Konsequenzen, die man vom Sommer 2015 her kennt. Ob die Europäische Union diesem Spiel noch lange weitgehend tatenlos zusehen kann und will, ist offen.
Kurzfristig sieht Putin wie ein ruchloser, aber strahlender Sieger in der Realpolitik aus: politische Grabesruhe zu Hause und zudem Schritte zur Wiedereroberung der einstigen Weltmachtgeltung seines Landes. Sein Risiko, und damit jenes Russlands, ist aber hoch.
Die Folter mit Todesfolge in einem Moskauer Gefängnis von Browders russischem Rechtsvertreter, Sergei Magnitsky, hat 2012 zum sogenannten Magnitsky Act in den USA geführt, der empfindliche Sperren und Boykotte gegenüber einigen der engsten Gefährten Putins zur Folge hat. Sie dauern an – auch allfällige Drittfolgen aus Kontakten mit diesen Parias.
Mittel- und längerfristig ist ein latentes Risiko von Wirtschaftskontakten mit Russland und Russen vorhanden. Denn in der Folge aussenpolitischer Rückschläge und mit Blick auf den voraussehbaren Einbruch der allein auf traditionellen Energieträgern aufgebauten Wirtschaft des Landes, dürfte Putins Herrschaft nicht ewig dauern.
Dann könnte eine Welle von Rechtshilfegesuchen neuer Machthaber in Russland auch in die Schweiz schwappen.