Meinung

Die Ukraine braucht Geld – jetzt und auch von der Schweiz

Für die Ukraine ebenso wichtig wie Waffen ist Geld, um die eigene Wirtschaft trotz des Krieges am Laufen zu halten. Es kann nur vom westlichen Ausland kommen, damit auch von der Schweiz. Dafür eignen sich die Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds.

Daniel Woker
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Die Wirtschaftsprobleme der Ukraine sind enorm, was für ein Land im Krieg nicht erstaunt. Der Fluss der traditionellen Hauptexportgüter ist Grossteils zum Erliegen gekommen. Bei Getreide, weil sowohl der Anbau als auch der Export zu einem guten Teil kriegsbedingt nicht mehr möglich sind. Bei Eisen und Stahl, weil die Produktionsstätten im Osten zerstört sind, und Energie für die Produktion nur teuer auf dem Landweg eingeführt werden kann.

Rund ein Drittel der arbeitenden Bevölkerung hat die Stelle verloren; jüngere Ukrainer stehen im Feld und sind damit nicht produktiv. Vorhandene Budgetmittel müssen für das Militär und für minimale Sozialaufgaben verwendet werden. Weder Reparaturen noch Investitionen sind möglich.

Ukrainische Bedürfnisse

Anfang Juli fand in Lugano die erste Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine statt. Das war offensichtlich auch ein Thema des Besuchs von Bundespräsident Cassis in Kiev in der vergangenen Woche. Im Vordergrund stehen im Moment aber die kurzfristigen Bedürfnisse eines Landes, das nicht nur um seine Existenz und territoriale Unversehrtheit kämpft, sondern gleichzeitig grundlegende Werte verteidigt. Damit sind der Westen, speziell Europa und damit auch die Schweiz aufgerufen, der Ukraine beizustehen.

Wohl ist im Rahmen des Ukrainekrieges eine breite Diskussion über eine zeitgemässe Neutralität der Schweiz entbrannt, direkte und im Moment auch indirekte Lieferung von Kriegsmaterial will Bern aber nicht zulassen. Wenn nicht mit Waffen, müssen wir der Ukraine eben mit Geld beistehen. Dutzende von Milliarden werden unmittelbar benötigt.

Der ukrainische Premierminister Denys Shmyhal sprach kürzlich von einem «Winterpaket» von rund 20 Mrd. $, allein um die ukrainische Bevölkerung vor den grössten Entbehrungen des ersten Kriegswinters zu schützen.

Ukrainerinnen und Ukrainer tun bereits, was sie können, um den eigenen Staat zu unterstützen. Seit Kriegsbeginn hat das Finanzministerium Kriegsanleihen im Umfang von rund 15 Mrd. $ verkauft. Dies heizt allerdings die Inflation an, die bereits bei rund 25% steht, und deren weiterer Anstieg voll auf die Bevölkerung zurückfällt.

Benötigt wird also Geld aus dem Ausland, sei es direkt aus einzelnen Staatshaushalten, sei es aus Mitteln von Organisationen wie der EU – und von zentraler Bedeutung: via den Internationalen Währungsfonds IWF. Basierend auf dem Währungshilfegesetz von 2004 hat die Schweiz respektive. die Schweizerische Nationalbank der Ukraine bereits vor Jahren eine bilaterale Kreditlinie von 200 Mio. Fr. gewährt, wovon 100 Mio. 2017 gezogen, allerdings wegen des hohen Zinssatzes von 3% bald wieder zurückbezahlt wurden.

Der IWF und seine SDR

Bereits in den 60er Jahren hat der IMF, dem die Schweiz voll angehört und wo wir als wichtiges Währungsland einen Direktorenposten innehalten, eine heute als «digitale Reserve» zu bezeichnende monetäre Einheit geschaffen. Diese ergänzt die Reserven der einzelnen Zentralbanken und soll zum Einsatz kommen, um die Schwächsten zu stützen sowie das monetäre Gesamtsystem zu stabilisieren.

Dies sind die Sonderziehungsrechte SDR, die periodisch und auf Beschluss aller IWF-Mitgliedsländer verteilt und gemäss der Bedeutung ihrer Wirtschaftskraft zugesprochen werden. Die Schweiz hält heute, am Sitz des IMF, rund 9 Mrd. SDR, was rund 11,5 Mrd. Fr. entspricht. SDR sind keine frei handelbare Währung, sondern können von einem SDR-Kreditnehmer in die Hartwährung eines SDR-Kreditgebers umgewandelt werden. SDR sind mit keinerlei Auflagen für den Schuldner verbunden.

Die bekannten IWF-Hilfspakete für von Zahlungsunfähigkeit bedrohte Mitgliedstaaten sind mit Konditionen und Zins verbunden. Ein solches Paket für die Ukraine ist im Moment in Ausarbeitung, wird aber nicht ausreichen. Damit sind innovative Lösungen gefragt.

SDR Channeling

SDR können übertragen werden, was als SDR channeling bezeichnet wird. Damit kann ein Mitglied die Menge seiner eignen SDR drastisch erhöhen. Deutschland, Kanada und die Niederlande haben dies bereits zu Gunsten der Ukraine getan. Das Land profitiert stark von der kriegsbedingten Notfinanzierung, besonders da diese Hilfe weder Auflagen hat noch mit Zins belastet ist.

Die Schweiz könnte dies ebenfalls tun. Hohe Beträge in der Reservewährung SDR stehen zur Verfügung, die aller Voraussicht von uns nie gebraucht werden, da der Franken zu den weltweit härtesten Währungen gehört.

Yes we can!

Dieser notwendigen und für die Schweiz nicht budgetrelevanten Lösung – sie erhöht die Staatsverschuldung nicht – stehen international die Türen weit offen. Sie würde nicht nur von der Ukraine, sondern auch von der EU als europafreundliche Geste der Schweiz gewürdigt, was angesichts der gegenwärtigen Zerrüttung des bilateralen Verhältnisses zwischen Bern und Brüssel hilfreich wäre.

Innerhalb der Schweiz dürften konservative, währungstechnische und auch rechtliche Mahnfinger erhoben werden gegenüber einer Aktion, die tatsächlich einzigartig, aber angesichts der fortdauernden russischen Aggression gegenüber der Ukraine dringend und notwendig erscheint.

Dem Finanzminister, der SNB und letztlich dem Bundesrat ist aber zuzurufen: Yes, we can! Wenn nötig auch mit Notrecht und später folgender Parlamentsdebatte. Der Ukrainekrieg geht weiter, ohne auf den Gang der eidgenössischen Gesetzesmühle Rücksicht zu nehmen.

Daniel Woker

Daniel Woker ist ehemaliger Botschafter der Schweiz in Australien, Singapur und Kuwait. Davor war er erster Direktor des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik (GCSP), mit dem Titel eines Botschafters. Frühere diplomatische Posten umfassten Paris (Ministre Conseiller), Stockholm (stv. Missionschef) sowie Wirtschaftsrat an der Uno-Mission in New York. Heute arbeitet er als Spezialist für Geopolitik und Strategie, mit regelmässiger Vortragstätigkeit und Veröffentlichungen über den Grossraum Asien-Pazifik, speziell die ASEAN und Australien, über die arabische Halbinsel und die Entwicklung der EU. Zusammen mit dem früheren Schweizer Diplomaten Philippe Welti hat Woker das Unternehmen Share-an-Ambassador gegründet, das sich auf geopolitische Due Diligence spezialisiert.
Daniel Woker ist ehemaliger Botschafter der Schweiz in Australien, Singapur und Kuwait. Davor war er erster Direktor des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik (GCSP), mit dem Titel eines Botschafters. Frühere diplomatische Posten umfassten Paris (Ministre Conseiller), Stockholm (stv. Missionschef) sowie Wirtschaftsrat an der Uno-Mission in New York. Heute arbeitet er als Spezialist für Geopolitik und Strategie, mit regelmässiger Vortragstätigkeit und Veröffentlichungen über den Grossraum Asien-Pazifik, speziell die ASEAN und Australien, über die arabische Halbinsel und die Entwicklung der EU. Zusammen mit dem früheren Schweizer Diplomaten Philippe Welti hat Woker das Unternehmen Share-an-Ambassador gegründet, das sich auf geopolitische Due Diligence spezialisiert.

Meere und Märkte: Geopolitik 2.0 als Schlüssel zur weltpolitischen Aktualität

Die beiden früheren Schweizer Botschafter Daniel Woker und Philippe Welti – beide auch freie Autoren im Team von The Market – haben in Zusammenarbeit mit The Market ein neues Smartbook verfasst: Geopolitik, die Beschäftigung mit den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten, steht am Beginn jedes Auslandsgeschäfts. Die beiden Autoren, die in ihrer diplomatischen Arbeit unter anderem in Iran, Indien, Singapur und Australien stationiert waren, geben einen kenntnisreichen Überblick über die politischen, strategischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in den verschiedenen Weltregionen. Das Smartbook «Meere und Märkte: Geopolitik 2.0 als Schlüssel zur weltpolitischen Aktualität» kann im NZZ-Shop zu einem Preis von 33 Franken (inkl. Versandkosten) bestellt werden.
Die beiden früheren Schweizer Botschafter Daniel Woker und Philippe Welti – beide auch freie Autoren im Team von The Market – haben in Zusammenarbeit mit The Market ein neues Smartbook verfasst: Geopolitik, die Beschäftigung mit den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten, steht am Beginn jedes Auslandsgeschäfts. Die beiden Autoren, die in ihrer diplomatischen Arbeit unter anderem in Iran, Indien, Singapur und Australien stationiert waren, geben einen kenntnisreichen Überblick über die politischen, strategischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in den verschiedenen Weltregionen. Das Smartbook «Meere und Märkte: Geopolitik 2.0 als Schlüssel zur weltpolitischen Aktualität» kann im NZZ-Shop zu einem Preis von 33 Franken (inkl. Versandkosten) bestellt werden.