Washington und Peking achten darauf, das Handelsabkommen am Leben zu erhalten, während sie aussenpolitisch vor allem mit scharfer Rhetorik gegeneinander antreten. Am folgenschwersten ist der Konflikt im Technologiesektor.
Der Handelsbeauftragte des Weissen Hauses, Robert Lighthizer, und US-Finanzminister Steven Mnuchin haben sich vergangene Woche telefonisch mit dem chinesischen Vizepremier Liu He ausgetauscht, um die Umsetzung des im Januar unterschriebenen Phase-Eins-Handelsabkommens zwischen den beiden Ländern zu überprüfen. Beide Seiten bekräftigten ihr Engagement für das Abkommen.
Das Gespräch zeigt, dass es Washington und Peking immer noch gelingt, ihre Rivalität differenziert zu behandeln. Die Auseinandersetzungen in den Bereichen Politik und Technologie haben sich nicht auf die makroökonomischen und handelspolitischen Gespräche ausgeweitet. Dies wird sich wahrscheinlich in naher Zukunft fortsetzen, da beide Seiten davon profitieren.
Die Überprüfung fand mit einer Verzögerung von einigen Tagen statt, die möglicherweise auf den jährlichen Rückzug der chinesischen Staatsführung in Beidaihe zurückzuführen ist.
Die öffentliche Erklärung von Lighthizer zum Gespräch mit Liu He ist kurz. Sie besagt, dass beide Seiten die Bemühungen Chinas in Bereichen wie dem Schutz der Rechte an geistigem Eigentum, der Verbesserung des Marktzugangs und der Beseitigung des erzwungenen Technologietransfers angesprochen haben. Was Chinas Kauf von Gütern aus den USA betrifft, so scheint der Handelsbeauftragte nicht allzu besorgt zu sein, obwohl Chinas Importe aus den USA immer noch deutlich hinter den Zielvorgaben zurückbleiben.
Lighthizer anerkannte die «erhebliche Zunahme» der Käufe von US-Produkten und sagte: «Beide Seiten sehen Fortschritte und sind entschlossen, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um den Erfolg des Abkommens sicherzustellen.»
Die von der chinesischen Seite veröffentlichte Erklärung ist sogar noch kürzer. Sie lautet: «Beide Seiten hatten einen konstruktiven Dialog über die Stärkung der Koordinierung der makroökonomischen Politik und die Umsetzung der ersten Phase des Handelsabkommens zwischen China und den USA. Beide Seiten kamen überein, die Bedingungen und die Atmosphäre zu schaffen, um die erste Phase des Abkommens weiterhin zu fördern.»
In der Erklärung von Lighthizer wurde die «Koordinierung der makroökonomischen Politik» nicht erwähnt; ihre Erwähnung in der chinesischen Erklärung bezieht sich wahrscheinlich auf Lius Gespräch mit Finanzminister Mnuchin über Themen in der Finanz-, Geld- und Wechselkurspolitik zwischen den beiden Staaten. Dies ist notwendig, da beide Seiten als Reaktion auf die wirtschaftlichen Schäden durch die Covid-19-Pandemie eine Reihe unkonventioneller Massnahmen umgesetzt haben.
Peking bemüht sich nach Kräften, die verschiedenen Themen, die in der Rivalität mit den USA im Spiel sind, voneinander getrennt zu halten. Das gelingt, indem verschiedene chinesische Behörden unterschiedliche Rollen zugewiesen erhalten. Handelsfragen werden von Vizepremier Liu He und seinem Team im Büro der Zentralen Kommission für Finanz- und Wirtschaftsangelegenheiten geleitet. Liu ist sich voll und ganz bewusst, dass es im Interesse Pekings liegt, das Handelsabkommen zu erfüllen, da es die bestehenden Zollsätze aufrecht erhält und die chinesischen Exporteure vor weiterem Schaden schützt.
Es ist enorm schwierig für Peking, den im Januar vereinbarten Wert der Güter und Dienstleistungen aus den USA zu erwerben, da der Ölpreis in diesem Jahr viel niedriger ist als 2019, der internationale Reiseverkehr eingefroren ist und es kaum Nachfrage nach neuen Flugzeugen gibt. Aber Liu He und sein Team versuchen immer noch, die staatlichen chinesischen Unternehmen dazu zu drängen, mehr landwirtschaftliche Produkte und Öl in den USA zu kaufen.
Damit soll Lighthizer davon überzeugt werden, dass Peking sich nach Kräften bemüht, seine Verpflichtungen zu erfüllen, und dass einzig die Pandemie verantwortlich zu machen ist für die Nichterreichung der Ziele. Chinesische Firmen haben in der Tat in den letzten Wochen sehr viel mehr Bestellungen für US-Produkte getätigt – dieser Effekt wird erst einige Monate später in den Handelsdaten auftauchen.
Die Erklärung der vergangenen Woche zeigt, dass die Strategie für China funktioniert hat. Weder Robert Lighthizer noch Präsident Trump haben einen starken Anreiz, das Handelsabkommen mit China aufzukündigen. Kein US-Handelsbeauftragter hat mehr als vier Jahre gedient; der Phase-Eins-Deal ist also ein wichtiger Teil des Vermächtnisses von Lighthizer.
Trump wiederum verhält sich ambivalent. Zwar setzt er sich gerne mit schmetternder Rhetorik gegen China in Szene, aber sollte er das Handelsabkommen platzen lassen und neue Strafzölle gegen China verhängen, würde er wohl einen Ausverkauf an der Börse provozieren – und das ist das Letzte, was er so kurz vor den Wahlen will.
Während in Handelsfragen also Waffenstillstand herrschen dürfte, wird Chinas Aussenministerium in politischen Auseinandersetzungen weiterhin gegen das U.S. State Department zurückschlagen, wann immer es dies für notwendig erachtet, wie zum Beispiel in der Verhängung gegenseitiger Sanktionen gegen amerikanische Personen.
Dies liegt zum Teil daran, dass Peking über das Aussenministerium Stärke für das einheimische Publikum zeigen muss, und zum Teil daran, dass diese Massnahmen einen hohen symbolischen Wert haben, während sie auf beiden Seiten nur geringe materielle wirtschaftliche Schäden anrichten.
In den nächsten Monaten wird es mehr derartiger diplomatischer Wortgefechte geben; die chinesische Seite hat den US-Aussenminister Mike Pompeo eindeutig als Ziel Nummer Eins ausgewählt. Diese Wortgefechte verursachen zwar kurzzeitigen Lärm an den Finanzmärkten, sind aber von geringer Relevanz für Investoren und Unternehmen.
Viel wichtiger und folgenreicher für die Wirtschaft, vor allem in der langfristigen Perspektive, ist der Konflikt im Technologiesektor. In starkem Kontrast zum Handelsdisput ist in der Zentralregierung in Peking keine Behörde für diesen Konflikt zuständig. Die Regierung ermutigt relevante Firmen, selbst zu reagieren, und unterstützt sie hinter den Kulissen – aber Peking will sich nicht auf einen offiziellen, offenen Technologiekrieg mit den USA einlassen.
Im Fall von TikTok hat das Unternehmen beschlossen, eine harte Linie zu verfolgen und die Trump-Regierung zu verklagen. Peking drückte seine verbale Unterstützung für TikToks Aktionen aus, hat aber keine weiteren Schritte unternommen.
Ungleich wichtiger als TikTok sind für Peking Huawei und die gesamte IT- und Kommunikationsindustrie (ICT). Hier sitzt Peking am kürzeren Hebel, denn es gibt wenig, was die Regierung tun kann, um die amerikanischen Exportkontrollen gegen Huawei abzuwenden. Washington verlangt kein Abkommen; das Ziel der Amerikaner ist es, Huawei zu schädigen oder gar zu zerstören.
Peking kann bloss die Bemühungen in der Industriepolitik verdoppeln, um die einheimische ICT-Industrie zu unterstützen. Das findet auch im grossen Stil statt, aber es wird noch mehrere Jahre dauern, bis wir Ergebnisse sehen. Präsident Xi hat das Thema der inländischen ICT-Unterstützung mehrmals persönlich angesprochen, zuletzt am Montag der vergangenen Woche an einem Symposium mit führenden einheimischen Wissenschaftern.
Zentral- und Lokalregierungen haben mehrere Investitionsfonds mit Hunderten von Milliarden Renminbi zur Finanzierung der Branche eingerichtet. Es dauerte nur 29 Tage, bis der Chiphersteller Semiconductor Manufacturing International Corporation (SMIC) von der Wertpapier-Aufsichtsbehörde die Genehmigung zur Notierung an der STAR-Technologiebörse in Schanghai erhielt.
Peking hat eindeutig Abstand davon genommen, direkte Vergeltung gegen den US-Druck auf Huawei zu üben. Die sogenannte «Liste unzuverlässiger Unternehmen» wurde vor über einem Jahr angedroht, liegt aber immer noch in der Schublade. Stattdessen hat Peking die Stabilisierung ausländischer Investitionen zu einer Schlüsselpriorität erklärt. Die Staatsführung hat die Vorteile erkannt, die China aus dem Engagement mit ausländischen Unternehmen zieht – sie will mehr davon, nicht weniger.
Das spricht allerdings nicht gegen einzelne, gezielte Nadelstiche. Eine mögliche Vergeltungsmassnahme für Peking in nächster Zeit besteht darin, die Bewilligungsfrist für die Übernahme von Acacia Communications durch Cisco im Januar 2021 verstreichen zu lassen. Genau so hat Peking schon vor zwei Jahren agiert, indem die Bewilligungsfrist für den Deal zwischen Qualcomm und NXP «versäumt» wurde.
Diese Art von Vergeltungsmassnahme wäre vor allem dann wahrscheinlich, wenn Huawei nach dem 14. September, wenn die verschärften Massnahmen der USA in Kraft treten, vollständig von Chiplieferungen von Herstellern wie TSMC abgeschnitten wird – ein Szenario, das nach aktuellen Wissensstand sehr wahrscheinlich ist.
Wenn Peking die Bewilligungsfrist für den Deal zwischen Cisco und Acacia einfach versäumt (und ihn nicht ablehnt), können die Chinesen Cisco Verluste in Höhe von Hunderten Millionen Dollar verursachen, ohne der heimischen Wirtschaft einen direkten Schaden zuzufügen.
Die letzte noch offene Frage sind die Sanktionen der USA gegen Hongkong. Es lohnt sich, den Zeitplan im Auge zu behalten: Der früheste Termin für die Trump-Regierung zur Sanktionierung von Finanzunternehmen mit einem Bezug zu Hongkong ist der 7. September, und der späteste Termin der August 2021. Gemäss dem Hong Kong Autonomous Act muss die Trump-Regierung Finanzinstitute, die «wissentlich bedeutende Transaktionen» mit chinesischen Beamten durchführen, frühestens 30 Tage und spätestens 60 Tage nach der Sanktionierung identifizieren. Der Präsident verhängt sodann Sanktionen gegen die identifizierten Finanzinstitutionen spätestens ein Jahr nach ihrer Identifizierung.
Wenn nun einige grosse chinesische Banken nicht mehr mit ihren amerikanischen Pendants zusammenarbeiten könnten, würde das die Finanzmärkte, besonders in Hongkong, erschüttern. In diesem Fall müsste auch mit Vergeltungsmassnahmen Chinas gegen amerikanische Banken gerechnet werden.
Das wahrscheinlichste Szenario ist jedoch, dass Washington – wenn überhaupt – nur kleine Banken oder Broker ohne systemische Bedeutung ins Visier nehmen wird, wenn die Hongkong-Sanktionen im September greifen.
Dahinter liegt die gleiche Überlegung, die auch das Handelsabkommen am Leben hält: Trump will keinen Ausverkauf am Aktienmarkt provozieren, da dies seine Chancen auf einen Wahlsieg beeinträchtigen würde. In dieser Hinsicht ist das Risiko bedeutenderer US-Sanktionen gegen China gering.