Obwohl die digitale Revolution mit dem Personal Computer richtig Fahrt aufnahm, deuten die aktuellen Trends alle in eine Richtung: Zentralisierung. Weshalb die Zukunft trotzdem dezentral sein wird.
Pendelbewegungen sind in der Wirtschaft nichts Neues: alles selbst erbringen oder lieber alles auslagern? Alle Funktionen in einem Produkt ein bisschen abbilden oder doch lieber mehrere spezialisierte Geräte? Eine solche Pendelbewegung zeigt sich auch in der digitalen Welt.
Als in den Anfangszeiten der digitalen Revolution noch Rechenzeit auf Mainframes gemietet werden musste, war die Nutzung entsprechend überschaubar und auf Universitäten, grosse Firmen, Forschungseinrichtungen und staatliche Organe beschränkt. Individuen konnten sich den Zugang zu Rechenkapazität kaum leisten, IT-Firmen verdienten über den Verkauf teurer Hard- und Software, die «elektronische Datenverarbeitung» wurde als Investition gesehen, die man über Jahrzehnte abschreiben kann, die Innovation und Produktivitätssteigerungen bleiben überschaubar.
Der Durchbruch kam mit der Dezentralisierung durch den Personal Computer. Weg vom Mainframe hin zum Gerät, das bei jedem Endnutzer steht und durch diesen direkt bedient und idealerweise sogar modifiziert werden kann. Das setzte eine Welle von neuen Ideen und Produkten frei, prägte die Gründerinnen und Gründer der heutigen digitalen Tech-Giganten nachhaltig und ermöglichte neue Geschäftsmodelle. Die Verbreitung des Internets als weiteres elementar dezentrales Netzwerk tat ihr übriges um die digitale Revolution mit ihren wirtschaftlichen Konsequenzen um den Globus zu ermöglichen.
Kernelemente dieser Phase der digitalen Welt waren neben der Dezentralisierung aber auch Interoperabilität: Technische Standards, definiert von Computernerds der ersten Stunde, ermöglichten den Austausch von Informationen über Betriebssystemgrenzen, harmonisierte Protokolle machten die reibungslose Kommunikation unabhängig von der verwendeten Hard- und Software, e-Mails erreichen ihr Ziel egal bei welchem Provider das Postfach liegt.
Doch seit Jahren schwingt das Pendel in die andere Richtung, weg von interoperablen und dezentralen Systemen hin zu zentralisierten und abgeschlossenen Gärten. Egal ob bei Social Media oder Betriebssystemen insbesondere bei Mobilgeräten: Es geht nicht mehr um die Ermächtigung des Nutzers, sondern um möglichst viel Kontrolle durch die Anbieter von digitalen Dienstleistungen.
Wir sind zurück in der Mainframe-Ära in der wir als Nutzer uns Zugang zu digitalen Diensten mieten, ohne wirklich viel Kontrolle zu haben, und wo wir Inhalte nicht in einem repository nachschlagen können, sondern z.B. das richtige Streaming-Abo oder den richtigen Account bei einem sozialen Netzwerk benötigen.
Wir taten dies bisher sehr gerne, da es einerseits sehr bequem ist und andererseits auch dank Skaleneffekten günstigen Zugang zu enormen Rechenkapazitäten bringt, angefangen bei Clouddiensten hin zur Nutzung künstlicher Intelligenz. Auch wenn z.B. die aktuell diskutierten Sprachmodelle (Large Language Models) und andere Modelle generativer KI teilweise lokal installiert werden können, so dürfte trotzdem für die meisten Nutzer der Zugang über einen Gatekeeper wie OpenAI am einfachsten sein.
Für die Anbieter digitaler Dienste hat sich der Pendelschwung bezahlt gemacht: Die faktischen Monopole gehören mit ihren lock-in Effekten über zehn Jahre zu den Top-Performern und erweisen sich auch weiterhin trotz Einbussen als wichtige Werte. Der Zuwachs von Cloud-Angeboten, Streaming und der künstlichen Intelligenz – eine inhärent zentralisierte Technologie – deuten darauf hin, dass das Pendel den maximalen Ausschwung Richtung Zentralisierung noch nicht erreicht hat.
Aber die mittelfristige Zukunft der digitalen Welt und der nächste grosse Innovationsschub wird im Dezentralen sein. Denn genau wie in der Mainframe-Ära behindern die faktischen Gatekeeper Disruption und wirkliche Innovation – Start-ups die potenziell gefährlich werden könnten werden aufgekauft oder deren Innovationen kopiert, Geschäftsmodelle werden mittels steigendem Lobbying zementiert, ein Problem das Experten auch für das Modephänomen «Metaverse» sehen.
Doch die Rechnung geht für Nutzerinnen und Nutzer in der zentralisierten Welt immer weniger auf: Erstens ist da der Aspekt der Sicherheit. Zentralisierung führt zu Klumpenrisiken und das allzu sorglose IT-Auslagern wirkt in der heutigen Welt teilweise fast schon naiv. Das Bedürfnis nach mehr Kontrolle auf Seite der Nutzerinnen und Nutzer wird angesichts der weltpolitischen Lage und diverser Cybersicherheitsskandalen nur noch steigen in den kommenden Jahren.
Zweitens gibt es immer mehr Fragen bei der Rentabilität aus Nutzerperspektive. Ist es unter dem Strich wirklich günstiger, sich für IT bei Externen einzumieten, statt selber die entsprechende Infrastruktur zu betreiben? Ein Leben ausserhalb der Cloud ist nicht nur möglich, sondern teilweise gar massiv günstiger.
Schliesslich ist da aber auch noch eine psychologische Komponente: die Magie, die dem Personal Computer innewohnte, fehlt in der heutigen Welt. Man hat zwar Zugriff auf neue Möglichkeiten, von hochperformanten Cloudspeichern hin zu persönlichen Assistenten mit künstlicher Intelligenz. Doch es ist nicht das gleiche Gefühl von Ownership.
Zu jedem Zeitpunkt können die Bedingungen für den Zugriff geändert werden, von Preiserhöhungen eines Abos bis hin zu Funktionen, die über Nacht abgeschaltet werden. Vom Programmierer bis zum content creator muss sich somit jede und jeder gut überlegen, auf welcher Plattform man wirklich Zeit investieren möchte, wenn man nicht die entsprechende Kontrolle hat.
Nur in einer dezentralen digitalen Welt werden die Nutzerinnen und Nutzer wieder ermächtigt, ihren Ideen freien Lauf zu lassen, und deshalb schlummert dort das grösste Innovationspotenzial.