Nichtbanken und Mobile Apps übernehmen zunehmend Bankgeschäfte. Neue Governance-Modelle entstehen, inspiriert von Peer-to-Peer- und Community-Logik. Banken könnten in einem stärker dezentralisierten Ökosystem künftig die Rolle von vertrauenswürdigen Beratern und Verwahrern übernehmen.
Die Zukunft der Finanzbranche wird intensiv diskutiert. Dutzende von Konferenzen über Fintech und Kryptofinanz setzten sich mit der Disruption im Bankensektor, dem Aufstieg mobiler Banken, dem Druck auf klassische Geschäftsmodelle und der neuen dezentralen Denkweise auseinander.
Alte Governance-Modelle werden in Frage gestellt. Klassische Pyramidenmodelle mit Aktionären an der Spitze werden durch den Aufstieg dezentraler Modelle und die Logik von Peer-to-Peer weniger relevant, da Innovationen, auch im Finanzbereich, nicht mehr von Banken und der Industrie, sondern von der Web-Technologie kommen.
Führende Denker im Bereich der Kryptofinanzierung wie Cyrus Fazel, CEO von Swissborg, betonen, wie die Blockchaintechnologie einen bedeutenden Wandel von aktionärs- zu gemeindezentrierten Modellen bewirken kann: «Ich neige dazu, Napster - das lange vor Youtube und Spotify kam - als die erste Innovation zu betrachten, die der Blockchain den Weg bereitete. Denn sie ermöglichte es, Dateien auf Peer-to-Peer-Basis auszutauschen und schaffte so die erste Dezentralisierungsbewegung».
«Dann kamen wir im Jahr 2002 der Blockchain noch näher und zwar mit eMule, wo Sie alles hoch- und herunterladen können, was Sie wollen, und Teil einer Community sein können. Ich würde argumentieren, dass dieser Trend die Blockchain mächtig inspiriert hat», sagt der Mitbegründer der Lausanner Swissborg, einem der größten ICOs unter den Schweizer Krypto-Start-ups, das vor zwei Jahren über 50 Mio. $ aufgenommen hat.
Cyrus Fazel bekennt sich zum Modell der dezentralen autonomen Organisationen (DAO), das er als die Zukunft der Governance betrachtet. Die heutigen hoch zentralisierten Riesen wie Uber oder Airbnb könnten bald überholt sein: «Es gibt eine Asymmetrie. Niemand erinnert sich an die Namen der ersten Nutzer dieser Plattformen, während jeder die Investoren kennt», stellt er fest.
Die Nutzer werden nicht dafür belohnt, dass sie als erste Risiken eingehen oder ihre Daten preisgeben, während die Anleger reich belohnt werden. Wenn also die Dienstleistungsqualität abnimmt oder anderswo billiger erhältlich ist, zeigen die Nutzer keine Loyalität. Im Gegensatz dazu bietet das Community-Modell die richtigen Anreize: Jeder wird gleichermassen für seinen Beitrag zum Netzwerk belohnt.
Basierend auf diesen Selbstverwaltungsprinzipien führte Swissborg ein «Referendum» mit der eigenen Gemeinschaft von Token-Inhabern durch und lanciert nun auf Wunsch eine Wealth-App, die die wichtigsten Krypto-Börsen zusammenfasst und es jedem Anleger wesentlich einfacher macht, Krypto-Währungen zum besten Preis zu kaufen und zu verkaufen.
Schon vor der Blockchain- und Peer-to-Peer-Revolution sah sich das Bankwesen mit einem dramatischen Rückgang konfrontiert. In der Schweiz hat die Zahl der Banken von 408 im Jahr 2006 auf heute 248 abgenommen. Die Konsolidierung war primär auf das Ende des Bankgeheimnisses für Ausländer zurückzuführen.
Auch an den Kapitalmärkten gingen Schlachten verloren. Verschärfte Bilanzvorschriften nach 2008 führten dazu, dass ein Teil der Kreditvergabe auf Peer-to-Peer-Plattformen abwanderte, während der Eigenhandel Zuflucht im Schattenbankensystem und in Dark Pools fand. Seit einem Jahrzehnt verlängern Nichtbanken (Online-Broker, Vermögensverwalter, Broker, Pensionskassen, Versicherer, Private-Equity-Fonds, Crowdfunders) Kredite und Hypotheken und verwischen zusehends die Barrieren zwischen traditionellen und neuen Finanzakteuren.
Und die Fintechunternehmen stehen erst am Anfang. Mit der Entwicklung der Kryptofinanz und einer allmählich klareren Regulierung stehen die Banken künftig nicht mehr im Mittelpunkt der Produktentwicklung. Fintechs sind schneller bei der Innovation. Sie brauchen zwar Banken wegen derer Vertriebskraft, aber sie kooperieren auch mit selbstregulierten Vermittlern und unabhängigen Depotbanken, um konkurrierende Produkte und Innovationen anzubieten, wie im Falle von Amun und Bitcoin Suisse, die im Oktober ein Krypto-Zertifikat ohne Bankbeteiligung lanciert haben.
Die andere grosse Umwälzung betrifft die Retailkunden und sie ist auf die massive Verbreitung von mobilem Geld in Asien und Afrika zurückzuführen. Alles, was es brauchte, waren Apps und billige Handys. Banken waren dafür nicht notwendig. Mit Hilfe von kostengünstigen chinesischen Smartphones von Xiaomi oder Itel überschwemmen beliebte Bezahlapplikationen wie WeChat Pay, Alipay und M-Pesa Länder wie China und Indien sowie Afrika.
Die südliche Hemisphäre ist auf den «Smartwagon» aufgesprungen, macht Überweisungen von Mobiltelefon zu Mobiltelefon und bezahlt kontaktlos. Das Handy ersetzt die Kreditkarten und verbindet Bevölkerungsgruppen, die vorher keinen Zugang zu Finanzdienstleistungen hatten.
In unseren Breitengraden gehören Smartphone-Banken wie Revolut und N26, geboren aus der IT-Welt, heute zu den Top-Anbietern von Bankdienstleistungen in der Schweiz. «Das Geschäftsmodell des traditionellen Retailbankings, wie wir es kennen, stirbt», glaubt Frederik Gregaard, Head of Digital Financial Services Switzerland bei PwC. Girokonten und Kreditkartentransaktionen werden nicht mehr gefragt sein.
Laut dem PwC-Experten werden wir, wenn wir in das Blockchainzeitalter eintreten, «weniger mit Vermittlern und mehr mit Robotern oder digitalen autonomen Einheiten handeln. Die gesamte institutionelle Welt ist dafür nicht geschaffen».
Welche Funktionen werden die Banken also behalten können? Das ist im Grunde genommen die eines Beraters. «Das Private Banking, wie wir es heute kennen, wird die neue Normalität sein, da die Bankiers durch die Technologie gestärkt werden. Finanzplanung, Marktzugang, Brokerage, Investmentfonds und eine ganzheitlichere Beratung bei Geschäfts- und Lebensentscheidungen werden wir auch in Zukunft als Bankdienstleistungen definieren», sagt Frederik Gregaard.
Er sieht Banken auch als Depotbank für digitale Assets, als Verwahrer zwischen Mensch und Technik und nicht zwischen Kunden. «Wenn man ihnen die Verwahrung privater Schlüssel anvertraut, erhöht das die Sicherheit des Systems». Aber es gibt noch andere Anwärter auf diese Rolle: Auch Coinbase beansprucht diese Rolle.
Das alles erklärt, warum die zukünftigen Riesen keine Banken sein werden. Die grössten Unternehmen sind heute die GAFA (Google, Apple, Facebook, Amazon). Im Jahr 2023 wird entweder die chinesische Version der GAFA dominieren (Alibaba, Tencent, ByteDance, Baidu). Oder in einer Welt, welche die Privatsphäre hochhält, werden Blockchain-Plattformen triumphieren, sagt Frederik Gregaard. «Wenn sich die Blockchain weiterentwickelt, um den Menschen den Besitz ihrer Daten zu ermöglichen, könnten künftig die grössten Unternehmen Ethereum, Neo oder Infrastrukturplayer um Blockchains wie die Bitcoin-Miners von Bitmain sein».
Eines ist sicher: Grössere Disruptionen werden nicht von den Banken angestossen. Der monolithische Bankensektor steht vor einer Phase der Atomisierung und einer potenziell massiven Blockchain-Konvertierung, die zu einer digital runderneuerten Finanzwelt führt.