Ein Gipfeltreffen zwischen Vertretern der EU und China könnte diese Woche einen Durchbruch im Abschluss eines Investitionsabkommens liefern. Der Ball für den Erfolg liegt in China. Die Geduld der Europäer geht bald zu Ende.
Der Konflikt zwischen den USA und China eskaliert immer weiter und stürzt die Weltwirtschaft in immer grössere Ungewissheit. Beide Seiten scheinen die Tatsache aus den Augen verloren zu haben, dass selbst die schärfsten Rivalen keine Feinde sein müssen.
Amerika ist bestrebt, Chinas Wirtschaft weiter zu destabilisieren, indem es seine Unternehmen zur Abkoppelung ermutigt, während China selbst in vielen entscheidenden Sektoren weiterhin entschlossen von der Welt abgekoppelt bleibt.
China sichert sich auch durch die «Dual Circulation Strategy», Pekings liebstes neues Schlagwort, gegen den potenziellen Schaden ab, den eine weitere Abkoppelung verursachen würde. Dieses Konzept sieht im Wesentlichen vor, dass Aussenhandel und Investitionen in den Bereichen begrüsst werden, in denen China sie am dringendsten benötigt, während Peking gleichzeitig massiv in die eigenen Fähigkeiten investiert, besonders zum Beispiel in Bezug auf Technologie.
Viele fragen sich, wo Europa bei all dem steht.
Während die EU China als systemischen Rivalen anerkennt, sieht der europäische Block seine eigenen asymmetrischen Vereinbarungen mit China gleichzeitig als eine Gelegenheit, sein Engagement zu vertiefen und ein neues Regelwerk zu schreiben.
Am 14. September findet ein zentrales virtuelles Treffen zwischen dem Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen und Bundeskanzlerin Angela Merkel als Vertreterin der deutschen EU-Ratspräsidentschaft auf der einen Seite und Präsident Xi Jinping auf der anderen Seite statt.
Im Mittelpunkt der Diskussion steht das umfassende Investitionsabkommen zwischen der EU und China (Comprehensive Agreement on Investment, CAI). Der Investitionsvertrag wäre im Falle seines Abschlusses erst das zweite bedeutende bilaterale Wirtschaftsabkommen zwischen der EU und China nach dem im Juli 2020 genehmigten Abkommen über geografische Angaben.
Das ideale CAI sollte für europäische Unternehmen den Zugang zum am schnellsten wachsenden Markt der Welt verbessern und einen Rahmen schaffen, der es ihnen ermöglicht, unter gleichen Wettbewerbsbedingungen zu konkurrieren. Gleichzeitig soll das CAI chinesischen Unternehmen auf ihrem grössten Absatzmarkt, der EU, dasselbe sichern – alles in allem also ein sinnvolles, kaum revolutionäres Abkommen zwischen zwei grossen Wirtschaftsmächten.
Aber es gilt: Jetzt oder nie. Der Wille vieler europäischer Wirtschaftsführer und Politikerinnen mag weitgehend für ein starkes CAI sprechen, aber die Wähler und politischen Parteien äussern sich immer lauter und kritischer über die politische und soziale Richtung, die China einschlägt.
Viele Europäerinnen und Europäer, die zuvor vielleicht kein tiefes Verständnis von China hatten, haben das letzte Jahr damit verbracht, über Dinge wie «17+1», «Wolfskrieger», die Vorwürfe von Zwangsarbeit in Xinjiang und die Auswirkungen des Nationalen Sicherheitsgesetzes von Hongkong zu lesen. Sogar die jüngste Europa-Tournee von Chinas Topdiplomat Wang Yi hinterliess einen bitteren Nachgeschmack nach seinem Angriff auf die Tschechische Republik; ein Land, das Präsident Xi Jinping erst vor vier Jahren in Prag begrüsste und mit ihm über seine Liebe zu Fussball und Bier verbunden war.
Auf einem Kontinent, auf dem die öffentliche Meinung eine grosse Rolle spielt, haben diese Themen das Potenzial, jede Chance auf einen erfolgreichen Abschluss eines Abkommens zunichte zu machen.
Auch wenn die Geduld der europäischen Staats- und Regierungschefs bereits bis zum Äussersten strapaziert wurde, da sich die im Februar 2012 begonnenen Verhandlungen über das Investitionsabkommen über mehr als 30 Runden hingezogen haben, bedeutet dies nicht, dass Europa seine Grundsätze um eines Abkommens willen ausser Acht lassen sollte. Substanz muss Vorrang vor Schnelligkeit haben, und ein unausgegorenes Abkommen, das die dringendsten Probleme in unseren unausgewogenen Wirtschaftsbeziehungen ignoriert – wie es im Phase-Eins-Abkommen zwischen den USA und China der Fall ist –, sollte nicht in Betracht gezogen werden.
Ein wirklich umfassendes Abkommen ist notwendig, besonders da die USA gegenwärtig die Welthandelsorganisation WTO untergraben, indem sie keine neuen Berufungsrichter zulassen, was die Bedeutung dieser wichtigen, seit Jahren etablierten multilateralen Plattform geschmälert hat.
Die Erfahrung der Europäer und ihr Wille zur Leistung sind offensichtlich, da sie seit 2012 weitreichende Freihandelsabkommen und Investitionsabkommen mit vielen Volkswirtschaften abgeschlossen hat, darunter Kanada, Japan, Korea, Mexiko, die MERCOSUR-Staaten und Vietnam.
Abgesehen davon, dass der Zugang zu den Märkten der jeweils anderen Seite so nah wie möglich an der Gegenseitigkeit liegen muss, gibt es aus europäischer Sicht potenzielle Knackpunkte für den Abschluss eines ähnlichen Abkommens mit China, spezifisch die Behandlung staatlich kontrollierter Unternehmen, Subventionen und die Frage der Arbeitnehmerrechte.
Da der europäische Markt für chinesische Investoren bereits weitgehend offen ist, ist es für die EU nicht opportun, China auf halbem Wege entgegenzukommen, wie es von chinesischen Diplomaten gefordert wurde.
Damit ist China am Ball. Das politische Window of Opportunity wird wahrscheinlich nicht mehr lange offen bleiben. Die Wirtschaftsbeziehungen sind die Grundlage der Beziehungen zwischen der EU und China, und Europa ist bereit, sie in diesem Jahr zu stärken, solange es dazu in der Lage ist.
Ob China dasselbe empfindet, wird sich auf dem virtuellen Gipfel dieser Woche zeigen.