Meinung

Halbleiter im medialen Fokus

Trotz Lieferengpässen nimmt das Momentum des Halbleitersektors ab. Dennoch befindet er sich weiterhin in einem Aufwärtstrend. Gewählt werden müssen Aktien von Branchenvertretern, die relative Stärke zum US-Technologiesektor aufweisen.

Alfons Cortés
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Viel ist über die Lieferengpässe in der Halbleiter-Industrie geschrieben worden. Doch was läuft in den Aktien der dahinterstehenden Unternehmen ab?

Dazu habe ich eine Grafik vorbereitet, die den vielbeachteten Philadelphia Semiconductor Index SOX während der letzten zehn Jahre zeigt:

Quelle: Unifinanz

Eingetragen sind 20- und 10-Monate-Bollinger-Bänder, letztere gestrichelt in rot. Die unteren Fenster stellen die relativen Trends zu MSCI Welt, S&P Global Information Technology, DJ US Technology und DJ US Technology Software mit geglätteten Durchschnitten dar, die ich noch kommentieren werde.

Gavin Baker sagt im sehr interessanten Interview von Christoph Gisiger unter Bezugnahme auf den Hedgefonds-Manager Bruce Kovner folgendes: «Wenn X passiert, schlägt er diesen Pfad ein, wenn Y passiert, wählt er eine andere Route. Dadurch bleibt er unvoreingenommen und versucht, sich alle möglichen Szenarien auszudenken…»

Das ist aus meiner Sicht das Entscheidende für einen nachhaltigen Erfolg an der Börse.

Es ist genau das, was der Nobelpreisträger Herbert Simon mit prozeduraler Rationalität bezeichnete.

Es stehen unterschiedliche Methoden zur Verfügung, um prozedural rational vorzugehen. Keine stellt Antworten auf alles dar, was für einen Entscheid eine Rolle spielt. Jede ist lückenhaft. Jede muss jedoch empirisch validiert sein und seriell eingesetzt werden können.

Signale einsetzen

Da Aktienkurse meistens in Trends verlaufen, setze ich Kurscharts ein, die Eröffnungs-, Höchst-, Tiefst- und Schlusskurs für je einen Monat in einem Symbol – einer sogenannten japanischen Kerze – zeigen. Dazu unterlege ich sie mit Bollinger-Bändern. Standard sind 20-Monate-Einstellungen mit zwei Standardabweichungen. Unter bestimmten Umständen werden 40- oder 10-Monate-Bänder hinzugefügt, letztere mit 1,9 Standardabweichungen.

Seit März 2021 ist das 10-Monate-Band im Falle des SOX zusätzlich im Einsatz. Der Grund liegt in der Blase im 20-Monate-Band, die sich zwischen Dezember und März entwickelt hatte. Durch die verkürzte 10-Monate-Variante wird ein allfälliger Trendbruch früher erkannt. Das wäre Teil der «wenn X passiert, dann Y»-Regel von Bruce Kovner. Ich spreche davon, dass man von Signal zu Signal durch den Markt navigiert.

Das Signal durch die Verkürzung der Periode früher auszulösen, ist in diesem Fall wichtig, weil das Momentum nach der Zunahme im November 2020 in den folgenden Monaten abgenommen hat. Das ist im Prinzip kein gutes Zeichen. Es ist aber nicht so negativ, dass bislang ein Signal daraus entstanden wäre.

Seither hat der SOX trotz der Momentum-Abnahme 28,2% zugelegt. In der gleichen Zeit ist der MSCI Welt nur um 20,8% avanciert. Die Kurse steigen also, und aufgrund der Regel, dass das 10-Monate-Band den Trend definiert, ist der Kurstrend positiv.

Vermögensaufbau gelingt nicht mit Trading, sondern mit Investieren. Folglich will ich möglichst lange in einer guten Anlage dabeibleiben. Dazu vermeide ich den unnützen Versuch, kurzfristige Schwankungen durch Trading zu nutzen und definiere die Schwankungstoleranz mit Bollinger-Bändern. Gleichzeitig will ich ausschliessen, nach vielen Jahren feststellen zu müssen, dass ich in anderen als den gewählten Anlagen viel mehr verdient hätte. Das ist einer der Gründe, warum relative Stärke ein absolut zentrales Element ist.

Relative Stärke optimieren

Das erste untere Fenster in der obigen Grafik zeigt die relative Stärke des SOX zum MSCI Welt. Die grüne Linie stellt den relativen Trend zum MSCI Welt dar. Die rote bildet dessen 50-Monate-Durchschnitt ab. Weil sich der Trend so weit vom 50-Monate-Durchschnitt entfernt hat, musste ein anderer Durchschnitt als «Trendpolizist» eingesetzt werden, damit das Signal eines Trendbruchs nicht erst nach grossen relativen Verlusten eintritt. Gewählt habe ich einen 20-Monate-Durchschnitt, der blau gestrichelt dargestellt ist.

Das nächste Fenster ist ein Test, ob der MSCI Welt die richtige Messlatte für eine Anlage in eine Industrie aus dem Sektor Information Technology ist. Hier sehen wir, dass der SOX über längere Zeit relative Stärke zum MSCI Welt aufwies, nicht aber zum S&P Global Information Technology. Während solcher Phasen durfte nicht der MSCI Welt Messlatte sein für Technologieaktien allgemein und speziell nicht für Semiconductor-Titel. Vielmehr musste in dieser Phase der S&P Global Information Technology diese Rolle ausfüllen.

Stärker als beide ist jedoch seit März 2018 der DJ US Technology Sector Index, der dadurch – ganz im Sinne von Evolutionary Finance – sowohl den MSCI Welt als auch den globalen Information Technology Sector als Messlatte für alle Technologieaktien, einschliesslich dem SOX, verdrängt hat.

Es gab nie ein Signal, die Industrie zu verlassen, sondern lediglich, sich auf Aktien aus allen IT-Industrien zu konzentrieren, die relativ stark zum jeweils stärksten Index aus dem gewählten Spektrum waren. Wenn ein Industrieindex keine relative Stärke zur gewählten Messlatte aufweist, soll auf keinen Fall ein ETF auf diesen gekauft werden. Dann müssen einzelne Aktien gewählt werden.

Signale aus Industrien suchen

Zu guter Letzt sucht man in einem grossen Sektor nach Industrien, die stärker sind als andere. Die zwei grössten Industrien in Information Technology sind Semiconductors und Software. Im vierten unteren Fenster sieht man den relativen Trend des DJ US Semiconductors zum DJ US Software. Idealerweise kauft man also jene Aktien aus der Halbleiterindustrie, die relative Stärke zu Software aufweisen.

Solche gab es und gibt es immer noch, wie folgendes Beispiel zeigt:

Quelle: Unifinanz

Aktien aus einer schwächeren Industrie, die relative Stärke zur stärksten Industrie aufweisen, sind besonders begehrenswert, weil man dadurch zwischen den Industrien diversifizieren kann und so Klumpenrisiken in einzelnen Industrien vermeiden kann.

So sieht es derzeit aus

Die aktuelle Lage zeigt also folgendes:

  • Der SOX befindet sich immer noch im positiven Kurstrend;
  • Der relative Trend des SOX zum MSCI Welt konsolidiert oberhalb des steigenden 20-Monate-Trends;
  • Der relative Trend des SOX zum S&P Global IT (und MSCI Welt IT) konsolidiert oberhalb des 20-Monate-Aufwärtstrends;
  • Der relative Trend des SOX ist nur noch moderat steigend zum DJ US Technology Sector;
  • Der relative Trend des SOX ist nach sechs Monaten relativer Schwäche zum DJ US Technology Software neutral geworden.

Strategisch muss man in der Industrie dabei sein, taktisch will man aber nicht in den SOX, sondern in diejenigen Aktien aus der Halbleiter-Industrie investieren, deren relative Stärke zum DJ US Technology positiv ist. Dies, weil dieser Index stärker ist als Information Technology global. Den DJ US Technology Software setzte ich nur sporadisch ein, weil die relative Stärke des SOX zu Software häufig schwankt.

Ungewissheit wird bezahlt, nicht Risiko

Was ich hier versucht habe zu zeigen, ist eine Möglichkeit, wie mit Ungewissheit umgegangen werden kann.

In «Risk, Uncertainty and Profit» hat Frank Knight, der als Professor an der Universität von Chicago grosse Verdienste erworben hatte und 1972 verstorben ist, dargelegt, dass man nicht für Risiko bezahlt wird, weil Risiko eine messbare Grösse ist, die versichert werden kann. Gewinn fällt an, wenn angesichts von Ungewissheit Positionen bezogen werden, die sich auszahlen. Doch im Gegensatz zu Risiko ist Ungewissheit nicht quantifizierbar. Das entspricht auch den Ansätzen sowohl von John Maynard Keynes als auch von Friedrich von Hayek.

An der Börse wird dauernd von Risiko gesprochen, wobei es meiner Meinung nach wirklich darum geht, mit Ungewissheit umzugehen. Vielleicht kann man es noch deutlicher formulieren: Wir müssen damit leben, dass unsere Möglichkeit, Antworten auf Fragen zu suchen, am Horizont unseres Wissens endet. Und dieses ist beschränkt. Deshalb brauchen wir Strukturen, innerhalb derer wir Entscheide fällen. Ich habe versucht, eine solche Struktur am Beispiel des SOX darzustellen.

Alfons Cortés

Alfons Cortés ist seit März 1971 professionell an der Börse unterwegs. Bis Juni 2017 war er Geschäftsführender Partner von UnifinanzTrust reg., Vaduz. Seit Juli 2017 ist er Senior Partner im Unternehmen und für den Bereich Research zuständig. Diesem hat er von Anbeginn seiner Tätigkeit an besonderes Augenmerk zukommen lassen. Daraus erwuchs die prominente Position des Unternehmens in der Anwendung von Behavioral-, Neuro- und Evolutionary Finance. Cortés hat nicht nur als Vermögensverwalter und Analyst, sondern auch als Mitglied von Anlageausschüssen institutioneller Anleger über Jahrzehnte Erfahrungen mit den Finanzmärkten gesammelt. Er schreibt jeden zweiten Donnerstag eine Kolumne für The Market.
Alfons Cortés ist seit März 1971 professionell an der Börse unterwegs. Bis Juni 2017 war er Geschäftsführender Partner von UnifinanzTrust reg., Vaduz. Seit Juli 2017 ist er Senior Partner im Unternehmen und für den Bereich Research zuständig. Diesem hat er von Anbeginn seiner Tätigkeit an besonderes Augenmerk zukommen lassen. Daraus erwuchs die prominente Position des Unternehmens in der Anwendung von Behavioral-, Neuro- und Evolutionary Finance. Cortés hat nicht nur als Vermögensverwalter und Analyst, sondern auch als Mitglied von Anlageausschüssen institutioneller Anleger über Jahrzehnte Erfahrungen mit den Finanzmärkten gesammelt. Er schreibt jeden zweiten Donnerstag eine Kolumne für The Market.