Stecken wir im Bankwesen der Boomer-Ära fest? Die Schweiz ist keine Vorreiterin für Innovationen im mobilen Banking, im Banking für den Mittelstand oder in der Blockchain. Einst waren wir führend, jetzt sind wir zu Mitläufern geworden. Dieses Problem muss 2023 angepackt werden.
Ist die Schweiz bereit für das Finanzwesen des nächsten Jahrhunderts? Weniger als Asien, dessen Finanzdienstleister bei der Digitalisierung führend sind. Und weniger als die Vereinigten Staaten, deren Technologieunternehmen der Ursprung für die nächste Generation im Finanzwesen sind. Dennoch gehört unser jahrhundertealtes Ökosystem aus Banken, Vermögensverwaltern, Versicherungen und Finanzierungsgesellschaften zu den ausgeklügeltsten weltweit. Doch sind wir innovativ? Oberflächlich betrachtet schon, aber nicht im gleichen Ausmass wie im Osten oder im Westen.
Wir haben ein typisch westliches Problem: Unser Bankensystem ist nicht mehr das jüngste. Er wurde auf uralten Fundamenten aufgebaut und muss grundlegend erneuert werden. Inkrementelle Schritte reichen da nicht aus. Den Kunden moderne Produkte wie Apps, einige Krypto-Dienstleistungen oder Robo-Advising anzubieten, ist nicht effizient, wenn bloss eine neue Schicht auf einen alten Sockel gepfropft wird.
«Oft sind die Dienste bei den Banken nicht integriert oder automatisiert und erfordern noch immer viel manuelle Arbeit», sagt André Duka, ein IT-Ingenieur, der die Dukaskopy Bank vor weniger als 20 Jahren gegründet hat. Als Leiter einer vollständig digitalen Bank hat er einen scharfen Blick auf den Schweizer Bankensektor. Seiner Meinung nach «hat heute praktisch jede Bank eine mehr oder weniger schöne oder fortschrittliche App. Es ist jedoch kein Geheimnis, dass bei vielen Banken die Knöpfe, die der Benutzer in der App drückt, in E-Mail-Anweisungen an die Bankangestellten umgewandelt werden, die diese dann manuell bearbeiten und sich buchstäblich von einer Abteilung zur anderen bewegen, ohne jegliche Automatisierung».
Um dies zu testen, fragen Sie sich: Verlangt meine Bank von mir, dass ich Eingaben per E-Mail mache oder ein elektronisches Formular ausfülle? Wenn ich direkt per E-Mail antworte, bedeutet dies, dass die E-Mail von einem Mitarbeiter gelesen, verstanden, sortiert, bearbeitet und manuell in das System eingegeben wird (fehlende interne Automatisierung). Wenn ich eine Aufforderung zum Ausfüllen eines E-Formulars erhalte, ist der Prozess mit grosser Wahrscheinlichkeit vollständig automatisiert. «Die zunehmende Automatisierung steht in direktem Zusammenhang mit der Senkung der Kosten und der Verbesserung der Dienstleistungen», sagt André Duka. Dies wird in den kommenden Jahren das Hauptthema sein. «Mit anderen Worten: Die Banken sollten nicht nur extern, sondern auch intern digitalisieren.»
Für die Privatbanken werden Kostensenkungen eine Priorität sein, da sie mit zahlreichen Gegenwinden konfrontiert sind: herausfordernde Trends in der Weltwirtschaft und der Politik, möglicherweise für eine längere Zeit rückläufige Aktienmärkte, die Abkehr der Schweiz von der Neutralität alten Stils und ein starker Franken, der höhere Kosten bedeutet. Noch schwieriger ist jedoch die eingefahrene Denkweise und die Infrastruktur im Private Banking, die den Sektor daran hindern, effizienter und wettbewerbsfähiger zu werden.
Auch bei den kleineren, jüngeren Akteuren sieht es nicht optimal aus. Fintechs erhalten in der Schweiz nicht genügend Unterstützung. Finma-lizenzierte Fintechs haben Mühe, Bankkonten zu eröffnen, und zwar nicht nur solche, die mit dem krisengeschüttelten Kryptosektor zu tun haben. Generell brauchen Fintechs und Start-ups einen besseren Zugang zu Bankdienstleistungen, auch in technologischer Hinsicht, durch offene Bank- und Programmierschnittstellen.
Ein weiteres wichtiges Thema sind die Kundensegmente. Das Private Banking in der Schweiz ist bekannt dafür, dass es die Allerreichsten bedient, während das Universalbanking auf die Bedürfnisse der breiten Masse ausgerichtet ist. Was ist mit dem Segment, das dazwischen liegt? «Es gibt eine Mittelschicht von Schweizern, aber auch von europäischen und globalen Freiberuflern und selbständigen Spezialisten», sagt André Duka, «die aufgrund der globalen Instabilität zunehmend nach Bankdienstleistungen in Ländern wie der Schweiz suchen werden». Viele von ihnen gehören zur globalen Klasse der Tech-Spezialisten; sie reisen viel und haben eine regelmässige Einkommensquelle. Um diese Kategorie moderner, in der Regel selbst investierender Kunden optimal bedienen zu können, sind ein hohes Mass an Automatisierung und die Fähigkeit zur Kostenkontrolle erforderlich. Und wir wissen, dass wir noch nicht so weit sind.
Und schliesslich müssen die etablierten Unternehmen jenseits aller Spekulationen in das investieren, was die «künftige Wirtschaft» werden könnte: nämlich in die Blockchain-Technologie. Traditionelle Schweizer Akteure sollten sich mit der Integration der Blockchain in Finanzdienstleistungen beschäftigen, da sie sehr wahrscheinlich das Rückgrat des zukünftigen Finanzwesens darstellt. Wenn es um Token-Finanzierung geht, ist die Schweizer Regulierung rigide, aber der FTX-Skandal sollte die Toleranz - und sogar den Appetit - für regulierte Gerichtsbarkeiten erhöhen.
In der Tat zögert die Finma, Banken die Ausgabe eigener Token zu gestatten. Dukascopy ist mit seinem «Dukascoin» neben Swissquote (SwissQoin) eine der wenigen Banken, die einen stark regulierten Token ausgegeben haben. Für alle anderen sollte die Betreuung von Kryptofirmen und Kunden, die an der Haltung von Krypto-Assets interessiert sind, weiterhin ganz oben auf der Agenda stehen und am besten auf regelkonforme Weise erfolgen.
Wie steht es um die Zukunft der Kryptowährungen? Nach dem Absturz des Marktes und dem Zusammenbruch von FTX stellen sich viele Menschen diese Frage. André Duka glaubt, dass die Zukunft der Kryptowährungen im Zahlungsverkehr liegt: «Sie werden für die Bezahlung von Dienstleistungen und für grenzüberschreitende Zahlungen verwendet werden». Der Handel mit Kryptowährungen als Spekulationsobjekt hat sich als äusserst riskant und abhängig von der Liquidität der Zentralbanken erwiesen. Die Verwendung von Kryptowährungen für Zahlungszwecke ist pragmatischer, aber die Erwartungen müssen realistisch bleiben: Kryptowährungen werden bestenfalls einen kleinen Marktanteil unter anderen (zunehmend digitalen) Zahlungsarten einnehmen. Sie sind kein Wundermittel, das alles andere ersetzt, sondern eine Zusatzleistung.
Die Schweiz steht an einem Scheideweg. Sie ist nach wie vor ein sehr vertrauenswürdiges Land mit einem ausgezeichneten Ruf. Die Akteure müssen jedoch sicherstellen, dass dies auch in den kommenden dreissig Jahren so bleibt. Das Risiko, nicht mehr wettbewerbsfähig zu sein, ist sehr real. Mangelnde Digitalisierung, zu viel Selbstgefälligkeit und eine zu starke Regulierung sind einige der Hauptmängel, deren Korrektur 2023 adressiert werden muss.