Die Pläne der US-Regierung für grossangelegte Investitionen in Transport, Kommunikation und Bildung nähren Spekulationen um einen Inflationsschub. Die Erfahrung in Japan zeigt aber, dass Infrastrukturprogramme weder das Wirtschaftswachstum noch die Teuerung nachhaltig anheizen.
Befürchtungen, dass das nächste Konjunkturpaket von US-Präsident Joe Biden zu dauerhafter Inflation oder zur Überhitzung der amerikanischen Wirtschaft führt, sind masslos übertrieben. Ich will damit nicht sagen, dass Investitionen in Infrastruktur grundsätzlich schlecht sind. Das Problem ist schlicht, dass diese Strategie noch nie funktioniert hat, um den Verlauf des Wirtschaftszyklus dauerhaft zu ändern. Das, weil sich der Effekt von Infrastrukturprogrammen nur verzögert und langsam auf die Konjunktur auswirkt.
Hierzu ein konkretes Beispiel: Versuchen Sie doch einmal, anhand der Daten zum Bruttoinlandprodukt der US-Wirtschaft zu erkennen, in welchen Quartalen von 2009 bis 2019 die vielgepriesenen Infrastrukturausgaben der Obama-Administration die Konjunktur positiv beeinflusst haben. Gegenwärtig reden zwar alle begeistert über das massive Infrastrukturprogramm von Präsident Dwight Eisenhower in den Fünfzigerjahren. Meist vergessen geht dabei aber, dass es in dieser Zeit trotzdem zu drei Rezessionen kam.
Japan, wo der Staat in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Infrastrukturprojekte lanciert hatte, ist ein weiteres klassisches Beispiel. Die Fakten sprechen für sich: Obschon die Liberaldemokratische Regierungspartei das Budgetdefizit bis an die Grenzen ausgedehnt und die Staatsausgaben in den letzten drei Jahrzehnten auf mehr als das Doppelte erhöht hat, erweisen sich strukturelle deflationäre Kräfte wie die alternde Bevölkerung, die exzessive Verschuldung, die hohe und steigende Sparquote der Haushalte sowie der technologische Fortschritt als «Inflationskiller».
An dieser Tatsache gibt es keinen Zweifel, trotz Jahren geprägt von immensen Stimulusmassnahmen, die durch die unablässige Hilfe der Bank of Japan unterstützt wurden. Auch wenn Japan eine nachhaltig tiefe Arbeitslosigkeit und soziale Stabilität verzeichnete, wurden diese positiven Faktoren von verkrustetem Wachstum und Disinflation begleitet: den mürrischen Folgen einer hohen Schuldenlast. Vielleicht ist es deshalb an der Zeit, wieder einmal den Klassiker von Rogoff und Reinhart zur deflationären Dynamik von Schulden zu konsultieren. 1
Japan gehört zu den Veteranen unter den Industrienationen, wenn es um grosse Konjunkturprogramme geht. Vor der Covid-19-Pandemie gab die Regierung Nippons haufenweise Geld für diverse Versuche aus, die lädierte Konjunktur anzukurbeln. Um die Wirtschaft nach dem Platzen der grossen Spekulationsblase Ende 1989 neu aufzubauen, wurden in den Neunzigerjahren durchschnittlich 300 Mrd. $ jährlich für Bauprojekte im öffentlichen Sektor ausgegeben.
Die japanische Regierung drosselte das Tempo dann zwar in den frühen Neunzigerjahren. Im Nachgang der globalen Finanzkrise und des schweren Erdbebens von 2011 sowie des dadurch ausgelösten nuklearen Desasters begannen die Investitionen in die Infrastruktur aber erneut zu wachsen. Aktuell machen öffentliche Infrastrukturprojekte im provisorischen Budget für 2021 annähernd 10% der Gesamtausgaben aus.
Konkret hat die Regierung in Tokio versprochen, 15,6% des BIP für fiskalpolitische Massnahmen zur Stützung der japanischen Wirtschaft auszugeben, welche die Pandemie nun überwindet. Das ist der viertgrösste Anteil nach Australien (16,2%), Grossbritannien (16,3%) und den USA (16,7%). Dazu gehören unter anderem die im Dezember angekündigten 385 Mrd. $ zur Beschleunigung von Infrastrukturprogrammen, welche den CO2-Ausstoss des Landes reduzieren und die Adaption digitaler Technologien fördern sollen.
Selbst mit diesen Massnahmen war die japanische Wirtschaft in jedem der letzten fünf Monate jedoch von Deflation gekennzeichnet. Seit Februar 2020 beträgt die Inflationsrate im Durchschnitt -0,15%. Somit lässt sich dasselbe Muster erkennen, wie bei früheren Konjunkturpaketen:
Diese Auflistung ist keineswegs vollständig. Auch gab es in der Vergangenheit in Japan kurze Perioden mit höherer Inflation. Zum Beispiel 2008, als der Konsumentenpreisindex für volle vier Monate über 2% kletterte, sowie 2014, als er wegen steigender Rohwarenpreise temporär auf 3,7% zunahm.
Mit meiner Analyse will ich jedoch verdeutlichen, dass es sich hier nur um vorübergehende Effekte handelte. Letztlich halfen die Stimulusmassnahmen wenig, um das Inselreich aus seiner disinflationären Bahn zu heben.
Japan zeichnet sich durch hochmoderne Städte und durch ein erstrangiges Transportsystem aus: Die Akashi-Kaikyō-Brücke ist nach wie vor die längste Hängebrücke der Welt, der Seikan-Tunnel war von 1988 bis 2016 der weltlängste Tunnel, und die Metro in Tokio rangiert konsistent unter den global besten U-Bahnnetzen in Sachen Effizienz und Abdeckung.
Das sind bedeutende Errungenschaften für Japan als Nation und für den Lebensstandard der japanischen Bevölkerung. Sie fallen aber auch mit der höchsten Verschuldung unter den Industrieländern zusammen. Das Verhältnis von Staatsschulden zum BIP beläuft sich gegenwärtig auf 220%, verglichen mit knapp 130% in den USA. Auch beträgt das Wirtschaftswachstum über die letzten zwanzig Jahre im Durchschnitt nur gerade 0,5% pro Jahr.
Das alles sind wichtige Aspekte, wenn wir uns mit dem Infrastrukturprogramm befassen, das gegenwärtig in den USA vorangetrieben wird. (Mit Blick auf die Opposition innerhalb der Demokratischen Partei besteht ausserdem keinesfalls eine Garantie, dass es durch den Kongress kommt.)
Japan mag zu den extremeren Beispielen für eine Wirtschaft gehören, die in einer Falle aus Schulden und Deflation festsitzt. Befürchtungen, dass die Vereinigten Staaten vor einem ähnlich explosiven Inflationszyklus stehen wie in den Siebzigerjahren, bleiben aber weit von der Realität entfernt. Das hat damit zu tun, dass diese Art von Programmen zur Erhöhung der Staatsausgaben wenig helfen, um den dominierenden deflationären Kräften entgegen zu wirken.
Japans «Stop-and-go»-Ansatz bei Stimulusmassnahmen ist das Paradebeispiel für dieses Grundproblem - und angesichts der demografischen Herausforderungen des Landes basierten volle 100% des realen Wirtschaftswachstums in den letzten drei Jahrzehnten auf der Steigerung der Produktivität.
Mit diesen Überlegungen will ich also nicht behaupten, Projekte zur Modernisierung der Infrastruktur seien eine schlechte Idee. Im Gegenteil: Solche Investitionen sind volkswirtschaftlich sinnvoll und wünschenswert.
Fragen stellen sich allerdings zur Finanzierung. Präsident Eisenhower etwa wusste seinerzeit genau, dass er die Einkommensteuern für seine Initiativen besser nicht erhöhen sollte. Allerdings war er auch ein Republikaner, und als er seine Präsidentschaft im Januar 1953 antrat, belief sich das Verhältnis von Staatsschulden zum BIP auf bloss 70%. Das ist rund die Hälfte des Niveaus, das heute zu Beginn von Bidens Amtszeit besteht.
Abschliessend hier deshalb die zwei wichtigsten Aspekte: Erstens verursacht ein klaffendes Loch in der Staatskasse allein keine Inflation. Wenn Infrastrukturprogramme den gleichen Effekt haben wie in Japan, bedeutet das zweitens ein Wirtschaftswachstum, das primär auf einer Steigerung der Produktivität beruht.
Und das heisst mit grosser Sicherheit, dass Infrastrukturinvestitionen nicht zu einer nachhaltigen Erhöhung der Preise führen - nicht einmal dann, wenn sich die Arbeitslosenquote unter 3% bewegt!
Die englische Fassung dieses Artikels stammt von Rosenberg Research. Interessierte Leserinnen und Leser können sich hier über ein kostenloses, dreissigtägiges Probeabonnement der strategischen Anlageberatungsfirma von David Rosenberg informieren.
1 Carmen M. Reinhart and Kenneth S. Rogoff, This Time Is Different: Eight Centuries of Financial Folly, Princeton University Press, 2009.