Meinung

John Kenneth Galbraith und der grosse Crash von 1929

In seinem Klassiker «The Great Crash of 1929» beschrieb der grosse Ökonom, wie es immer wieder zu neuen Spekulationsblasen kommt. Mit Blick auf das gegenwärtige Geschehen an den Finanzmärkten sind seine Schlussfolgerungen heute genauso aktuell wie damals.

Charles Biderman
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In seinem 1954 veröffentlichten Klassiker «The Great Crash of 1929» geht der grosse kanadisch-amerikanische Ökonom John Kenneth Galbraith auf die Frage ein, ob ein weiterer Einbruch an den Börsen von solchen Dimensionen wie damals möglich sei.

Im Detail schrieb er dazu:

«Niemand sollte daran zweifeln, dass die amerikanische Bevölkerung nach wie vor für die spekulativen Launen der Märkte empfänglich ist; für die Idee, dass Unternehmertum mit unbegrenztem Gewinn einhergehen kann, der dazu da ist, damit die Leute - individuell - an ihm partizipieren können. Wenn die Kurse an den Börsen steigen, kann das weiterhin eine Realität von Reichtum schaffen. Diese Entwicklung wiederum, kann mehr und mehr Leute dazu bewegen, sich an der Börse zu beteiligen.»

Bei der Lektüre von Galbraiths Werk kommen diverse Parallelen zwischen den wilden Zwanzigerjahren und dem heutigen Geschehen an den Märkten zum Vorschein.

1927 senkte die US-Notenbank als Reaktion auf eine Konjunkturabkühlung in Europa den Leitzins und kaufte in grossem Stil US-Staatsanleihen auf. Damit wollte sie bezwecken, dass Verkäufer von Schatzpapieren ihren Erlös wieder in Aktien und Anleihen investieren konnten.

Für mich klingt das ziemlich ähnlich wie die Entwicklung, die sich seit dem Ausbruch der Pandemie im Frühjahr 2020 an den Märkten abgespielt hat.

Die grösste Quelle von Liquidität für die Börsen im Boom der späten Zwanzigerjahre waren minime Anforderungen für Lombardkredite; der Kauf von Aktien musste mit lediglich 10% Eigenkapital hinterlegt werden. Da die Banken rund um den Globus grosszügig Kredite vergaben, nahm das Volumen an Darlehen zur Finanzierung von Aktienkäufen an den US-Börsen in den Jahren 1928 und 1929 drastisch zu.

Als die Kurse ab Oktober 1929 kollabierten und diese Investments eine Nachschusspflicht (Margin Call) erforderten, waren nicht nur die meisten Anleger, sondern auch viele Banken ruiniert.

Während des Booms der Zwanzigerjahre erreichte der Dow Jones am 3. September 1929 einen Spitzenwert von 318,17. Danach sank der Index bis zum 8. Juli 1932 auf 41,22. Die Bestmarke von 1929 egalisierte er erst am 23. November 1954.

Während des Booms der Zwanzigerjahre erreichte der Dow Jones am 3. September 1929 einen Spitzenwert von 318,17. Danach sank der Index bis zum 8. Juli 1932 auf 41,22. Die Bestmarke von 1929 egalisierte er erst am 23. November 1954.

Quelle: Quelle: Federal Reserve Bank of St. Louis

Parallelen zu den Zwanzigerjahren

Heute können gewiefte Zocker den Kauf von verschiedensten Aktien oder Kryptowährungen mit geringem Kapitaleinsatz hinterlegen, indem sie Lombardkredite, Optionen und andere Finanzinstrumente einsetzen, die den Charakter von Wetten beim Glücksspiel haben.

Eine weitere Parallele: In den vergangenen zwei Jahren haben die Zentralbanken weltweit nicht nur Billionen von Dollars an neuem Geld gedruckt. Auch Regierungen haben Summen in Billionenhöhe verschenkt, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu lindern. Kein Wunder also, haben die Finanzmärkte einen Rekordzufluss an Investorengeldern verzeichnet.

Im Vorwort einer 1997 publizierten Neuauflage seines Klassikers schreibt Galbraith:

«Dass wir eine grosse Spekulationswelle erleben, während diese Zeilen geschrieben werden, ist für jeden offensichtlich, der nicht von grenzenlosem Optimismus besessen ist. Es fliesst momentan mehr Geld in den Aktienmarkt als Intelligenz vorhanden ist, um diese Ströme zu lenken […] Es handelt sich dabei um ein grundsätzliches und wiederkehrendes Phänomen. Dieses geht mit steigenden Preisen einher, sei es bei Aktien, Immobilien, Kunstwerken oder irgendetwas anderem.» (Aktuell wären das meiner Meinung nach zum Beispiel Kryptowährungen).

Weiter hält er im Vorwort fest:

«Dieser Kursanstieg zieht allgemeines Interesse und Käufer an, mit dem Effekt, dass die Preise noch weiter steigen. Die Erwartungshaltung wird also durch genau die Handlungen gerechtfertigt, welche die Preise in die Höhe treiben.»

Das Endergebnis jedes solchen Booms ist eine Pleitewelle, welche die vorangegangenen Exzesse zunichtemacht.

Der Zufluss an Liquidität stoppt

Galbraith beschreibt in seinem Klassiker historische Spekulationsblasen, die bis zur niederländischen Tulpenmanie von 1637 zurückreichen. In den Vereinigten Staaten gab es bisher alle zwanzig bis dreissig Jahre einen neuen Boom, der mit einem Crash endete. Phasen des wirtschaftlichen Aufschwungs führen zu einem Anstieg der Vermögenspreise. Wachsender Optimismus treibt die Kurse in unrealistische Höhen, und am Ende kommt es in der Regel zum grossen «Bust», bei dem die meisten Investoren, die beim Boom spät eingestiegen sind, alles Geld verlieren.

Und genau darauf deuten die aktuellen Entwicklungen an den Märkten hin. Eine rasante Kurserholung nach dem Covid-Crash vom Februar/März 2020, die durch immense Mengen an neu gedrucktem Geld beschleunigt wurde, hat die Preise von Vermögenswerten auf breiter Front in die Höhe getrieben. Ein Rekordvolumen an Mittelzuflüssen von Privatpersonen in Aktien, Anleihen, Immobilien und Kryptowährungen legt nahe, dass die Kurse erneut kollabieren könnten.

Wie ich in meinen Beiträgen wiederholt dargelegt habe, liessen die Liquidität der Zentralbanken und die Hilfszuschüsse der Regierungen die Vermögenspreise weltweit steigen: Mehr Geld auf der Jagd nach - relativ betrachtet - weniger oder gleich vielen Vermögenswerten führt zu höheren Preisen.

Doch jetzt sieht es so aus, dass die Regierungen und Zentralbanken den Liquiditätszufluss bald stoppen werden. Wenn es also zu keinen neuen Covid-bedingten Stimulusmassnahmen kommt und keine staatlichen Hilfsgelder mehr ausgegeben werden, steuern wir auf ein Umfeld zu, in dem weniger Geld mehr Vermögenswerten hinterherjagen wird.

Und wenn mehr Vermögenswerte auf der Jagd nach weniger Geld sind, dann spricht man von einem Bärenmarkt.

Charles Biderman

Charles Biderman ist der Gründer von TrimTabs Investment Research, einem 1994 lancierten Datenservice, der Angebot und Nachfrage an der Börse nach Liquiditätsflüssen analysiert. Auf Basis dieser Daten legte er 2011 einen Exchange Traded Fund auf. Die aktuelle Version ist als TrimTabs Free Cash Flow ETF unter dem Ticker TTAC in den USA gelistet. Biderman hat seine Firma inzwischen verkauft, wird aber weiterhin regelmässig in US-Finanzmedien wie «CNBC» oder «Bloomberg TV» interviewt. Seine Karriere begann er beim Anlegermagazin «Barron’s». Charles Biderman lebt heute in Hawaii, wo er das idyllische Ferienresort Hawi Plantation House betreibt. Seine Einschätzungen zu aktuellen Entwicklungen in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten teilt er auf seinem Blog charlesbidermannews.com, wo er ebenfalls Kurse und Beratungen für den Umgang mit Geld anbietet.
Charles Biderman ist der Gründer von TrimTabs Investment Research, einem 1994 lancierten Datenservice, der Angebot und Nachfrage an der Börse nach Liquiditätsflüssen analysiert. Auf Basis dieser Daten legte er 2011 einen Exchange Traded Fund auf. Die aktuelle Version ist als TrimTabs Free Cash Flow ETF unter dem Ticker TTAC in den USA gelistet. Biderman hat seine Firma inzwischen verkauft, wird aber weiterhin regelmässig in US-Finanzmedien wie «CNBC» oder «Bloomberg TV» interviewt. Seine Karriere begann er beim Anlegermagazin «Barron’s». Charles Biderman lebt heute in Hawaii, wo er das idyllische Ferienresort Hawi Plantation House betreibt. Seine Einschätzungen zu aktuellen Entwicklungen in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten teilt er auf seinem Blog charlesbidermannews.com, wo er ebenfalls Kurse und Beratungen für den Umgang mit Geld anbietet.