Die US-Notenbank ist im Begriff, eine wesentlich härtere Landung einzuleiten, als sie beabsichtigt. Wenn sie die Inflation wirklich auf 2% senken will, wäre ein schwerer Abschwung unvermeidlich. Eine weitere Abwärtsbewegung an den Finanzmärkten ist zu erwarten.
Ende Mai blickten wir etwas weniger pessimistisch auf die Märkte als zu Beginn des Jahres, als wir davor gewarnt hatten, dass das Crash-Risiko so hoch sei wie seit der Subprime-Krise von 2007 nicht mehr. An unserer grundsätzlich vorsichtigen Einschätzung hatte sich damals zwar nicht viel geändert, aber angesichts eines Einbruchs von rund 25% an den Aktienmärkten, 70% in Kryptowährungen sowie leicht überdurchschnittlich hoher Risikoaufschläge an den Kreditmärkten hatten wir das Gefühl, dass die Risiken wieder etwas symmetrischer waren.
«Wenn es zu einem echten Crash hätte kommen sollen», so dachten wir, «dann hätte es ihn jetzt schon gegeben.»
Das mag verfrüht gewesen sein.
Wir sind schon seit einiger Zeit der Meinung, dass die Inflation ein grösseres Problem ist, als es den Anschein hat, aber wir waren auch der Meinung, dass das Fed nicht bereit ist, das Nötige zu tun, um die Teuerung zu senken.
Wie wir jedoch in diesem Beitrag erläutern werden, sind wir nach den Aussagen von Fed-Chef Jerome Powell vor dem US-Kongress Ende Juni nicht mehr so sicher. Powell untermauerte in der Anhörung vehement die Glaubwürdigkeit des Fed in Bezug auf die Fähigkeit, die Inflation wieder auf 2% zu bringen.
Ungeachtet der in diesem Jahr bereits erlittenen Rückschläge deutet die Steilheit der Kreditkurven darauf hin, dass sich die Märkte noch nicht mit der wahrscheinlich bevorstehenden harten Landung abgefunden haben.
Wir bleiben deshalb vorsichtig und raten von grossen Engagements an den Märkten ab. Der Zeitpunkt, um zu kaufen, wird kommen, wenn das Fed einknickt. Aber nicht davor.
Ein immerwährendes Problem bei der Messung der Inflation besteht darin, dass sie in der Regel von den «lautesten» Komponenten bestimmt wird. Aus diesem Grund gibt es verschiedene «Kern»-Messungen, die alle darauf abzielen, die zugrunde liegende Inflationsrate zu erfassen, indem sie die volatileren oder umstritteneren Komponenten im Warenkorb (z.B. Lebensmittel, Energie, Gebrauchtwagen, Wohnkosten) ausklammern.
Diese Ausschlüsse sind jedoch willkürlich, daher betrachten wir lieber eine rekonstruierte Form des Konsumentenpreisindex (Consumer Price Index, CPI), der die Komponenten entsprechend dem Kehrwert ihrer Volatilität neu gewichtet. Lautere Komponenten werden proportional weniger gewichtet als weniger laute, aber niemals willkürlich mit Null.
Grafik 1 zeigt, dass sich unser inverses Volatilitätsmass (blaue Kurve) im Gegensatz zur traditionellen Methode des U.S. Bureau of Labor Statistics für den Kern-CPI (gelb, ohne Nahrungsmittel und Energie) in diesem Jahr weiter beschleunigt hat:
Grafik 2 zeigt, dass der Prozentsatz der Komponenten, die höher sind als im letzten Jahr, weiterhin stark erhöht ist:
Zugegeben: Diese Masse sind rückwärtsgerichtet. Bei einem Blick in die Zukunft fällt auf, dass eine Änderung des Inflationsregimes nicht eingepreist wird. Grafik 3 zeigt, dass die vom CPI-Swapmarkt abgeleiteten Terminpreise für die Inflation mit den durchschnittlichen Inflationserwartungen in der Vergangenheit übereinstimmen...
...während Grafik 4 zeigt, dass sich die Terminkurve im Verlauf des letzten Monats sogar nach unten verschoben hat:
Das bedeutet, der Markt preist weiterhin das alte, gutmütige Inflationsregime ein. Wir argumentieren seit langem, dass eine solche Rückkehr nur dann plausibel ist, wenn das Fed bereit ist, eine tiefe Rezession zu tolerieren oder sogar absichtlich herbeizuführen.
Da wir jedoch bis vor wenigen Wochen keine Bereitschaft von Seiten der Fed-Verantwortlichen verspürten, dass sie bereit sind, diesen Weg tatsächlich einzuschlagen – das suggerierte zum Beispiel ihre Wunschvorstellung, dass ein Leitzins von 3 bis 3,5% irgendwie «neutral» sei –, waren wir letztlich der Meinung, dass das Fed, wenn es hart auf hart kommt, lieber eine höhere Inflationsrate als eine harte Rezession akzeptieren würde.
Jetzt sind wir uns da nicht mehr so sicher.
Während seiner Anhörung vor dem Kongress Ende Juni wurde Jerome Powell konkret gefragt, ob das Fed offen für eine Anhebung des Inflationsziels von bisher 2% sei. Seine Antwort war eindeutig: «Das ist nicht etwas, was wir tun würden.»
Auf die Frage, ob er die Leitzinsen in einem Szenario senken würde, in dem die Arbeitslosigkeit steigt, die Inflation aber hoch bleibt, antwortete Powell ebenso entschieden: «Wir dürfen hier nicht scheitern, wir müssen die Inflation wirklich auf 2% zurückführen.»
Powell sagte klar, dass die Priorität des Fed der Inflationsbekämpfung gelte – koste es, was es wolle. Aber wie würde der Übergang zurück zu einer Inflationsrate von 2% aussehen?
Die Kerninflation (nach unserem Massstab) liegt heute bei etwa 5,5%. Damit das Fed Powells Versprechen einhalten kann, müsste die Inflationsrate also um etwa 3,5 Prozentpunkte sinken. Bei einer gegebenen nachhaltigen Inflationsrate (d. h. einer durchschnittlichen Inflationsrate über den Zyklus hinweg) ist es jedoch wahrscheinlich, dass sie während einer Konjunkturabschwächung bzw. einer Rezession unterschritten wird. Wenn die Zielrate also 2% beträgt, könnte man davon ausgehen, dass die Inflation während einer Rezession nach unten überschiesst und einen Tiefpunkt von etwa 1% erreicht.
Das bedeutet, das Fed würde es schaffen, die Kerninflation bis zum Tiefpunkt des kommenden Konjunkturabschwungs um ganze 4,5 Prozentpunkte zu senken. Aber das ist nicht einmal während der globalen Finanzkrise von 2008 passiert!
Tatsächlich zeigt Grafik 5, dass ein derart grosser Rückgang in der Inflationsrate in der Vergangenheit nur bei extrem tiefen Rezessionen (zwei in den Siebzigerjahren, eine in den frühen Achtzigern und eine in den frühen Neunzigern) zu verzeichnen war:
Während seiner Anhörung versicherte Powell vor dem Kongress, dass das Fed weiterhin mit einer robusten Wirtschaft rechne, was unserer Meinung nach schlichtweg nicht mit einer Rückkehr zu einer Inflation von 2% vereinbar ist.
Was bedeutet das? Aus unserer Sicht ist klar: Das Fed ist im Begriff, eine wesentlich härtere Landung einzuleiten, als sie beabsichtigt.
Inwieweit preisen die Märkte dieses Szenario bereits ein? Die Preise von Vermögenswerten sind in diesem Jahr stark gefallen, und wie wir bereits erwähnt haben, liegen die Risikoaufschläge (Spreads) am Bondmarkt am oberen Rand ihrer historischen Bandbreiten. Gemäss Daten von BAML-ICE liegt der options-adjustierte Spread für sieben- bis zehnjährige Unternehmensanleihen mit BBB-Rating per Anfang Juli auf 219 Basispunkten, verglichen mit einem historischen Median von 189. Unternehmensanleihen sind günstig, wenn auch bei weitem noch nicht billig bewertet:
Interessanterweise ist die Steilheit der Terminkurven am Markt für Unternehmensanleihen jedoch weiterhin historisch hoch, was darauf hindeutet, dass die Märkte ihre Erwartungen für Kreditausfälle weiter in die Zukunft verlagern. Das steht im Einklang mit der Interpretation, dass das kurzfristige Ausfallrisiko für Unternehmen gering ist, da sie die rekordniedrigen Zinsen während der Pandemie genutzt haben, um ihre Bond-Laufzeiten bis 2025 und darüber hinaus zu verlängern.
Die meisten Zahlungsausfälle sind historisch betrachtet jedoch nicht auf Refinanzierungsschwierigkeiten zurückzuführen. Sie entstehen viel eher, wenn Unternehmen in ihrer operativen Tätigkeit ihr Umlaufvermögen erschöpft – was wahrscheinlich der Fall wäre, wenn die Zentralbank versuchte, die Inflationsrate mittels eines harten Konjunkturabschwungs um 4,5 Prozentpunkte zu senken.
Wie Grafik 7 zeigt, kehren sich die Kredit-Terminkurven in Stresszeiten um, da Probleme, von denen man annahm, sie seien nicht drückend, plötzlich akut werden.
Obwohl die Spreads also grösser sind als in der Vergangenheit, liegt der «Wert» für Investoren vor allem am längeren Ende der Terminkurven. Zumindest deutet eine solche Steilheit darauf hin, dass die Kreditmärkte am längeren Ende der Kurve einen billigen Schutz gegen eine zufällige Rezession bieten.
Aus unserer Sicht deutet dies aber weiter auf eine allgemeine Selbstgefälligkeit bei der Bewertung von Risikoaktiva hin. Oder simpel gesagt: Die Märkte haben den harten Abschwung bzw. die Rezession, die das Fed provozieren wird, noch nicht eingepreist.
Wir erwarten eine weitere Abwärtsbewegung an den Märkten. Die Dynamik wird erst nach oben drehen, wenn das Fed einknickt und die geldpolitische Straffung abbricht. Powells jüngste Aussagen deuten nicht darauf hin, dass das schon bald der Fall sein könnte.
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