Was sich im Sommer abzeichnete, ist nun Gewissheit: Die Facebook-Währung Libra hat ohne grosse konzeptionelle Änderungen kaum Überlebenschancen. Aber Libra schärft das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Kryptowährungen.
Facebook hat Libra im Frühsommer mit grossem Tamtam lanciert. Was in den ersten medialen Begeisterungsstürmen vergessen ging: Libra ist nicht eine neue Kryptowährung, sondern ein an die Leitwährungen Dollar, Euro, Yen und Pfund gebundener «Stablecoin». Dieser allerdings hat dank Facebooks Marktmacht das Potenzial, die Zentralbanken zu reinen Versorgern zu degradieren.
Wenig überraschend kamen rasch Vorbehalte aus dem Kreis von Regierungen und Notenbanken. Am lautesten ist die Kritik aus Frankreich und aus den USA: Nicht bloss Präsident Trump, auch wichtige Exponenten beider Parteien äusserten sich kritisch, und Facebook-Chef Mark Zuckerberg wurde vorgeladen, sich vor dem US-Kongress zu erklären.
Das tat er Ende Oktober dann auch – und wirkte zeitweise eher unbeholfen. Insgesamt aber hat Zuckerberg – das gestehen ihm auch Leute zu, die mit ihm und Facebook Mühe haben – gute Arbeit geleistet. Und das vor einem brutalen Publikum. «Zuck», seinerseits sicher kein Heiliger, sah sich konfrontiert mit uninformierten Fragen und einem sachlichen Unverständnis zur Thematik.
Dabei ging es den Politikern im Kongress weniger um Libra, sondern vielmehr um eine persönliche Abrechnung mit Zuckerberg und seiner mächtigen Firma – und um die Verteidigung des Dollars als Welt-Leitwährung.
Die Frage, ob der Dollar seine heutige Vormachtstellung automatisch behalten wird, kann an dieser Stelle bereits mit Nein beantwortet werden. Obwohl die US-Regierung Kryptowährungen in all ihren Formen ablehnen und auch den Libra verhindern kann, ist die Blockchain-Revolution nicht aufzuhalten. Dazu ist die Kryptowelle zu weit fortgeschritten.
Das ist eine Erkenntnis, die zumindest bei der amerikanischen Wertpapierhandelsaufsicht SEC angekommen zu sein scheint: Vor kurzem hat sie sowohl der Credit Suisse als auch der Société Générale die Genehmigung für das Clearing von Börsentransaktionen basierend auf der Blockchain-Technologie erteilt.
Die grössten Impulse für Blockchain-Anwendungen kommen derzeit jedoch aus China. Das unterstrich das Blockchain World Forum in Shenzhen Ende Oktober. Das Interesse der Staatsführung an der Blockchain-Technologie ist offensichtlich. Kein Wunder, denn die Technologie muss für jedes autoritäre System ein Traum sein, da sich alle Transaktionen auf der Blockchain nachverfolgen lassen.
China wettet jedoch nicht bloss auf die Blockchain-Technologie per se, sondern grundsätzlich auf alle Arten von Automatisierung. Die Blockchain dient dabei lediglich als Erfassungssystem. Das ist bemerkenswert vor dem Hintergrund, dass China heute schon führend ist in den Bereichen künstliche Intelligenz, Gentechnologie und 5G.
In diesem Kontext ergeben die jüngsten Aussagen von Staatspräsident Xi Jinping viel Sinn. Und sie übertreffen sogar noch den bisherigen Enthusiasmus Chinas. Wer die Entwicklung vorhersagen oder zumindest verstehen will, ist gut beraten, die Ausführungen des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei Chinas zu analysieren.
Xi wies darauf hin, dass die Blockchain-Technologie eine wichtige Rolle für neue technologische Innovationen und grundsätzlich für den industriellen Wandel in China spielt. Er forderte die Unternehmen und die Finanzindustrie auf, gezielt in Blockchain-Technologien zu investieren.
Der Staatspräsident versprach, die Regierung werde grosse und kleine Unternehmen, wenn nötig auch mit finanziellen Darlehen, in der Umstellung auf die Blockchain-Technologie unterstützen. Die Technologie soll von allen gewichtigen Unternehmen so in ihre Produkte und Prozesse integriert werden, dass die Menschen imstande sind, in ihrem täglichen Leben mit der Blockchain zu agieren.
Zu all dem passt die Mitteilung von offizieller Stelle Pekings, dass Bitcoin-Mining ab dem 1. Januar 2020 in China nun doch nicht mehr verboten werden soll.
Angesichts dieses chinesischen Feuerwerks von Ideen, Vorschlägen, Aufträgen und Ankündigungen sprang der Preis von Bitcoin, der heute gebräuchlichsten Anwendung der Blockchain-Technologie, Ende Oktober um gut 40% in die Höhe.
Diese Reaktion, so zeigen die vergangenen Tage, war allerdings etwas übertrieben. Die People's Bank of China machte deutlich, dass der Enthusiasmus der chinesischen Regierung der Blockchain, nicht Kryptowährungen gilt. Die Technologie und die Anwendung sind zwei Paar Schuhe. Was den Bitcoin und andere Kryptowährungen betrifft, ist nach Ansicht der chinesischen Regierung nach wie Vorsicht angesagt.
Ungeachtet des Wechselbades der Gefühle bezüglich China: Spannend wird es im Mai 2020 mit der Halbierung der Blockbelohnung («mining reward») von 12.5 auf 6.25 Bitcoin pro Block. Das wird die Preisentwicklung von Bitcoin unterstützen.
Positiv auf den Bitcoin-Kurs sollte sich auch die Nachfrage institutioneller Investoren auswirken, die realisieren, dass sie es sich nicht leisten können, auf Bitcoin als Portefeuille-Bestandteil zu verzichten. So haben zwei öffentliche Pensionskassen im US-Bundesstaat Virginia über einen Fonds des Vermögensverwalters Morgan Creek rund 1% ihrer Mittel in Bitcoins investiert.
Künftig werden wohl viele Pensionskassen dem Beispiel folgen – es sei denn, sie wollen sich dem Vorwurf aussetzen, elementare Regeln der Portfolio-Theorie zu ignorieren.
Die künftige Preisentwicklung von Bitcoin hängt nicht zuletzt davon ab, wie sich das Libra-Projekt entwickelt. Dass Facebook – trotz des rauen Gegenwinds – die Segel streichen und Libra versenken wird, ist unwahrscheinlich. Zu verlockend und lukrativ sind die Informationen über die finanziellen Angelegenheiten der Kundinnen und Benutzer für den Social-Media-Giganten.
Doch wie müsste Facebook Libra im Sinne grösserer Erfolgschancen anpassen? Die Ausführungen Zuckerbergs vor dem Kongress helfen für die Beantwortung dieser Frage wenig. Hinweise darauf, wie sich die Sache weiterentwickeln könnte, finden sich jedoch bei den grössten Opponenten gegen das Projekt: bei den Notenbanken.
Diese stören sich daran, dass die vier wichtigsten Währungen der Welt – Dollar, Euro, Yen und Pfund – in einen Währungskorb gebunden werden und den Libra tragen sollen. Wenn nun dieser Korb anders aufgesetzt würde, so dass beispielsweise nur der Dollar die Basis bildet, wäre dieser Opposition die Spitze gebrochen. Facebook hätte dann nicht mehr vier Zentralbanken gegen sich, sondern nur noch eine, allerdings die Mächtigste.
Eine andere Möglichkeit – in diese Richtung deuten Aussagen des Gouverneurs der Bank of England, Mark Carney – wäre, Bitcoin als Basiseinheit für den Libra zu verwenden. Carney sieht aus sozialpolitischen Gründen eine Notwendigkeit, den grenzüberschreitenden Geldtransfer für weniger wohlhabende Leute zu vereinfachen und günstiger zu machen.
Sollte es also dazu kommen, dass Facebook Bitcoin als Basis für den Libra nutzt, würde die Blockchain-Revolution erst recht beschleunigt.
Eines haben die vergangenen Wochen unmissverständlich bestätigt: Der Bitcoin bleibt. Das konnte 2017 noch nicht behauptet werden. Nun jedoch können selbst Zentralbanken nicht mehr aufhören, über den Bitcoin und Kryptowährungen zu sprechen.
Der Widerstand gegen Bitcoin ist zusammengebrochen, die Regulatoren haben faktisch einen Waffenstillstand unterzeichnet. Auf dieser Basis kann und wird gebaut. Etablierte Namen aus der Finanz- und Konsumwelt wie Fidelity, CME, ICE/Bakkt, TD Ameritrade, Starbucks, JPMorgan und eben Facebook mit Libra sorgen in diesem Kontext – nebst den erwähnten Entwicklungen in China – für Momentum.
Dass die SEC nun auf ihren Entscheid zurückkommen will, einen Bitcoin-ETF nicht zum Vertrieb zuzulassen, passt in dieses Bild – genauso wie die Nachricht, dass die UK Jurisdiction Taskforce (UKJT) deklariert hat, dass Kryptoassets handelbare Güter sind. Oder dass die Zentralbank von Singapur zusammen mit JPMorgan einen Prototypen für ein auf der Blockchain basierendes multi-currency Zahlungssystem lanciert hat.
Schliesslich sollte auch nicht ignoriert werden, dass sich die Europäische Union, aufgeschreckt durch Libra, ebenfalls mit der Lancierung einer eigenen digitalen Währung befassen soll.
Wen wundert es da noch, dass im Silicon Valley eine Kryptowährungs-Start-up-Schule gegründet wird?
Die Perspektiven für Bitcoin stimmen – auch aus Anlegersicht.