Lobby-Anstrengungen von Grosskonzernen rücken mit den US-Wahlen in den Fokus. Wir brauchen nicht nur grössere Transparenz, sondern auch mehr wissenschaftliche Arbeit, um auf die Marktverzerrungen und das wahre Ausmass der politischen Einflussnahme aufmerksam zu machen.
Das Recht, «von der Regierung eine Wiedergutmachung von Missständen verlangen zu können», ist eine Bestimmung, die im ersten Zusatz der amerikanischen Verfassung verankert ist. Dieses Recht steht Einzelpersonen, Organisationen und Unternehmen gleichermassen zu.
Ein CEO hat daher das Recht, die Ressourcen seines Unternehmens zu nutzen, um die US-Regierung dazu zu bewegen, dass sie jegliche Erschwernisse beseitigt, die dem Unternehmen im Weg stehen.
Ist dieses Recht demnach auch eine Verpflichtung? Gehört Lobbyarbeit zu den Aufgaben einer Konzernchefin? Und: Leitet sich diese Verpflichtung aus dem Prinzip der Maximierung des Shareholder Value ab, wie das etwa Larry Fink einmal während einer Debatte am Weltwirtschaftsforum in Davos suggerierte?
Wenn wir uns darauf beschränken, das Verhalten von Unternehmen zu beschreiben – in der Forschung wird das als «positive Ökonomie» bezeichnet –, dann liegt die Antwort auf der Hand: Die meisten CEO setzen sich stark für Lobbyarbeit ein.
Konzernchefs machen das nicht nur von sich aus, sondern werden dazu von ihren grössten Investoren aufgefordert. Nicht zufällig kommt die oben angeführte Aussage zum Lobbying denn auch von Larry Fink, der als CEO von BlackRock einem der weltgrössten institutionellen Investoren vorsteht.
CEO setzen sich aber nicht nur dafür ein, Erschwernisse für ihr Unternehmen zu beseitigen, sondern versuchen ebenso, die Spielregeln zu ihrem Vorteil zu gestalten. Alphabet, der Mutterkonzern von Google beispielsweise, ist kein reguliertes Unternehmen im klassischen Sinn wie ein Strom- oder Gasversorger. Dennoch gehört Alphabet zu den Konzernen, die in den USA am meisten Geld für Lobbying ausgeben.
Was ist der Grund dafür? Alphabet geht es um weit mehr, als bloss das Recht, riesige Datenmengen nutzen zu können, zu verteidigen. Vielmehr will der Konzern die Rahmenbedingungen proaktiv zu seinen Gunsten gestalten.
Gleichgültig, ob man das Konzept der «Netzneutralität» befürwortet oder nicht: Unbestritten ist, dass es Google enorm begünstigt, zumal der Konzern nicht direkt für das massive Datenaufkommen von Internetdiensten zahlt. Demgegenüber werden Telecomkonzerne durch die Netzneutralität benachteiligt, weil sie keine Preisdiskriminierung vornehmen können, um die Kosten zum Ausbau ihrer Netzinfrastruktur auszugleichen.
Es überrascht deshalb kaum, dass Google mit grossem Engagement für Netzneutralität lobbyiert, während Telecomunternehmen sich dagegen einsetzen.
Wenn Giganten der Wirtschaftswissenschaft untereinander über das Thema Lobbyarbeit debattieren, dann ist sie nicht nur ein Recht basierend auf der amerikanischen Verfassung. Sie ist auch effizient.
Gary Becker, ein Nobelpreisträger und vormaliger Ökonomieprofessor an der Universität Chicago, hat diesbezüglich gesagt: Wettbewerb unter Lobbyorganisationen führt zu effizienten Ergebnissen. 1
Damit diese Aussage stimmt, müssen jedoch zwei Voraussetzungen erfüllt sein. Erstens müssen die Vertreter verschiedener Interessen (oder Ansichten) die gleichen Möglichkeiten haben, sich zu organisieren und ihre Lobby-Bemühungen zu finanzieren.
Mancur Olson (ein Ökonom an der University of Maryland, der zu früh gestorben ist, um einen Nobelpreis zu erhalten) hat dazu festgehalten, dass es schwieriger ist, zerstreute Interessen zu organisieren. 2 Entsprechend ist es für Bürgerinnen und Bürger weniger einfach, im Parlament für sauberes Wasser zu lobbyieren, als für einen Chemiekonzern, der es verschmutzt. (Hier ein Beispiel zum Prozess wegen Wasserverschmutzung West Virginia gegen DuPont).
Zweitens ist Lobby-Arbeit nur dann wirklich effizient, wenn sie vollkommen darauf ausgerichtet ist, dem Gesetzgeber Informationen zur Verfügung zu stellen. Manche Lobbyarbeit erfüllt zwar diesen Zweck. Das trifft aber nicht immer zu, wie diese Studie belegt.
Geht es beim Lobbyieren also (meistens?) primär um Einflussnahme und weniger um die Bereitstellung von Informationen, dann ist es gleichbedeutend wie ein Wettrüsten, sodass ineffiziente Ergebnisse resultieren, wenn zu viel lobbyiert wird. 3
Daraus folgt, dass Lobbying unter realistischen Bedingungen aus gesellschaftlicher Sicht zu Exzessen führt: Es ist nicht nur eine Verschwendung von Ressourcen, sondern führt möglicherweise auch zu Fehlentscheidungen – im Vorteil ist nicht der Akteur, dessen Anspruch die grösste Berechtigung hat, sondern der mit am meisten Macht.
Treffen diese Annahmen zu, dann besteht keine ökonomische Pflicht zu Lobbyarbeit, zumindest nicht basierend auf vernünftigen ökonomischen Grundsätzen, da ein solches Mandat zu ineffizienten Resultaten führt.
Auf den ersten Blick scheint diese Schlussfolgerung der traditionellen ökonomischen Lehre zur Funktionsweise von Unternehmen zu widersprechen.
Wenn das Ziel eines CEO darin besteht, langfristig den Shareholder Value zu maximieren, und er diese Vorgabe mit Lobbying erreichen kann (hier ein Beispiel dafür, dass Unternehmen mit hohem Lobby-Aufwand höhere Renditen erwirtschaften), warum sollte er dann nicht auch danach handeln?
Milton Friedman, einer der grössten Verfechter von freien Märkten und Gegner staatlicher Eingriffe, hat vor fünfzig Jahren in seinem berühmten Essay argumentiert, dass Unternehmen ausschliesslich die Maximierung des Shareholder Value anstreben sollen. Vielsagend ist jedoch, dass er dabei mit viel Achtsamkeit die Annahme anführte, dass Unternehmen die «Grundregeln des Spiels» nicht antasten dürfen.
Selbst Milton Friedman erkannte demgemäss implizit, dass – wenn viel und effektiv lobbyiert wird – seine Empfehlungen für die Wirtschaftspolitik nicht zwingend greifen.
Aus ökonomischer Perspektive ist die entscheidende Frage deshalb nicht, ob Unternehmen zu Lobbyarbeit verpflichtet sind, sondern ob die gesellschaftlichen Kosten, die bei der Einschränkung von Lobby-Aktivitäten durch Unternehmen entstehen, grösser sind als der potenzielle Nutzen, den solche Einschränkungen stiften. Das, im Verstehen, dass Unternehmen – auf sich selbst gestellt – aggressiv und wahrscheinlich übermässig lobbyieren werden.
Manche Ökonomen (darunter mein Kollege und Freund Steve Kaplan) sind der Ansicht, dass die Lobby-Aktivität einen geringfügigen und belanglosen Anteil am Geschäft eines Unternehmens ausmacht. Deshalb sei es nicht nötig, wirtschaftspolitische Rezepte in diesem Bereich zu ändern.
Dieser Glaube fusst auf dem absoluten Betrag, den Unternehmen für Lobbying ausgegeben. Alphabet, ein Konzern mit einer Marktkapitalisierung von annährend 1000 Mrd. $, gibt lediglich gut 10 Mio. $ jährlich für Lobby-Arbeiten in den USA aus. Warum sollte das eine grosse Sache sein?
Das Problem ist, dass diese Zahl auf einer sehr engen Definition von Lobbying beruht. In der Realität ist der Aufwand an Ressourcen wesentlich grösser, den die meisten Unternehmen zur Einflussnahme auf wirtschaftspolitische Entscheide einsetzen.
Er umfasst mitunter einen bedeutenden Teil an Ausgaben für Reklame. Warum sonst engagieren sich so viele Unternehmen ohne direkte Konsumgüterprodukte wie Archer-Daniels-Midland in massiven Werbekampagnen? Zu berücksichtigen sind ebenso Tätigkeiten im Bereich Philanthropie. Paradebeispiel dafür sind die Ausgaben für wohltätige Zwecke, mit denen Energiekonzerne nach einer Ölkatastrophe Pluspunkte in der lokalen Bevölkerung sammeln.
Hinzu kommen Wahlkampfspenden sowie all die Zeit und Ressourcen, die Unternehmen der Unterstützung politischer Kandidaten widmen. Während den Präsidentschaftswahlen von 2012 etwa bot der damalige Google-CEO Eric Schmidt der Kampagne von Barack Obama technologischen Support an.
War es also bloss Zufall, dass die Kommission der US-Wettbewerbsbehörde FTC, die von der Obama-Regierung eingesetzt worden war, sich dazu entscheid, von einem Kartellverfahren gegen Google abzulassen. Das, obschon sich die Researchabteilung der FTC für einen Prozess gegen den Internetkonzern aussprach?
Wenn die Definition von Lobby-Tätigkeit ausgeweitet wird und die Konsequenzen potenziell schwerwiegend sind, dann ist ihre Bedeutung weder gering noch belanglos. Zudem lässt sich auch kaum argumentieren, dass Konsumenten mit den Lobby-Anstrengungen von Google mithalten können.
Der Aufruf zur Erarbeitung wissenschaftlicher Studien, den das Stigler Center (in Verbindung mit der Harvard Business School) lanciert hat, versucht, genau solche Fragen zu beantworten und eine Debatte anzuregen, was im Bereich Lobbying unternommen werden sollte.
Unterdessen schlage ich folgende bescheidenen Massnahmen vor, die ich 2012 in meinem Buch «A Capitalism for the People» angeführt habe: Selbst wenn die amerikanische Verfassung es erlauben würde, die Lobby-Arbeit von Unternehmen einzuschränken (gemäss dem Urteil des Obersten Gerichtshofs in der Causa Citizens United ist das nicht möglich), wäre das eine nahezu unlösbare Aufgabe. Abhilfe schaffen könnte deshalb eine Steuer auf Lobby-Ausgaben.
Die Einnahmen aus dieser Steuer könnten dazu verwendet werden, faire Rahmenbedingungen zu schaffen und die Bemühungen öffentlicher Interessengruppen zu unterstützen, die schlecht koordiniert und finanziert sind. Das Geld aus der Steuer könnte so verschiedenen Organisationen auf Basis eines Voucher-Systems zugesprochen werden, wie das Larry Lessig in seinem Vorschlag zur Reform der Wahlkampffinanzierung unterbreitet hat.
Eine zweite Lösung wäre eine Kombination aus «Naming» und «Shaming». Die meisten Leute erachten es als sozial legitim, dass ein Unternehmen Lobbying betreibt, um sich gegen eine Ungerechtigkeit zu wehren; beispielsweise, wenn es im Vergleich zur Konkurrenz steuerlich benachteiligt wird.
Gleichzeitig denke ich, dass viele Leute einem Unternehmen gegenüber kritisch eingestellt sind, das für ein ungerechtfertigtes Steuerschlupfloch lobbyiert, von dem es in grossem Stil profitiert. (Mir persönlich geht es jedenfalls so). Exzessive Lobby-Aktivitäten öffentlich blosszustellen, könnte deshalb dazu beitragen, sie abzuschwächen.
Damit solche Vorschläge umgesetzt werden können, braucht es jedoch nicht nur mehr Transparenz, sondern auch mehr Engagement, um die Leute generell (und speziell Studenten) über Marktverzerrungen im Zusammenhang mit Lobbying und über das Ausmass dieser Aktivitäten zu alarmieren.
Die akademische Forschung (besonders wirtschaftswissenschaftliche Fakultäten) sollten hier eine Schlüsselrolle spielen. Das ist einer der Hauptaufträge des Stigler Center. Mit klaren sozialen Normen darüber, worin eine akzeptable Lobby-Arbeit besteht, ist eine Änderung juristischer Richtlinien im Bereich Corporate Governance nicht erforderlich.
Wie ich hier bereits diskutiert habe, besagen die Grundprinzipien des American Law Institute zu Corporate Governance, dass ein CEO «ethische Aspekte berücksichtigen kann, die auf vernünftige Weise als angebracht verstanden werden, um ein Unternehmen verantwortungsbewusst zu führen».
Demgemäss haben Aktionäre keine Möglichkeit, einen CEO für die Verletzung seiner treuhänderischen Pflicht zu verklagen, wenn er nicht auf sozial ineffiziente Art lobbyiert.
Wer aber entscheidet, was vernünftig und verantwortungsvoll ist? Auch in der Klärung dieser Fragen ist die akademische Gemeinschaft massgeblich gefordert.
1 Becker, Gary. 1983. “A Theory of Competition Among Pressure Groups for Political Influence.” Quarterly Journal of Finance 98(3): 371-400.
2 Olson, Mancur. 1965. The Logic of Collective Action: Public Goods and the Theory of Groups. Cambridge: Harvard University Press.
3 Tullock, Gordon. 1972. “The Purchase of Politicians.” Western Economic Journal 10: 354-355.
Die englische Originalfassung dieses Artikels wurde auf dem Promarket Blog des Stigler Center an der University of Chicago Booth School of Business publiziert.