Nach dem Ende des Schweizer Bankgeheimnisses wird es offensichtlich: Die Grossmächte können weiterhin undeklarierte Vermögenswerte beherbergen und Geld waschen, und das in einer Welt, die immer mehr Transparenz fordert. Werden die Datenlecks etwas an dieser Sachlage ändern? Wir haben einige Zweifel.
Die Pandora Papers folgen auf vier weitere solcher «Lecks» (Panama Papers, Swissleaks, Offshoreleaks, Luxleaks). Sie werfen mehrere Fragen auf.
Erstens, wer sind die Informanten: sind es gewissenhafte Insider oder sind es Regierungen? In jedem Fall handelt es sich um grosse Datenmengen, die von mehreren Institutionen «geleakt» wurden. In den Besitz dieser Daten zu gelangen, erfordert erhebliche technische Mittel. Die Rolle der Regierungen wurde im Fall Swissleaks deutlich, als der Informant, Hervé Falciani, bei seinem Datendiebstahl vom französischen Geheimdienst unterstützt wurde.
Seit dem Beginn des Krieges der USA und der EU gegen Steuerhinterziehung 2010 förderten Regierungen einen Markt für Datendiebstahl, indem sie «Maulwürfe» in Banken einsetzen, wie z. B. Deutschland, das 2011 die Credit Suisse ausspionierte.
Die Frage nach der Herkunft der Daten ist der Schlüssel zum Verständnis, welche Länder mehr oder weniger gefährdet sein könnten als andere. Laut dem vom Tax Justice Network erstellten Financial Secrecy Index 2020 belegen die Cayman Islands (ein britisches Überseegebiet) und die Vereinigten Staaten den ersten und zweiten Platz als die undurchsichtigsten Finanzzentren und Förderer der Steuerhinterziehung, gefolgt von der Schweiz auf dem dritten Platz.
Bei allen früheren Leaks konnte man feststellen, dass das tatsächliche Ausmass der Steuerhinterziehung durch die USA und das Vereinigte Königreich nie korrekt wiedergegeben wurde. Erst mit den Pandora Papers und der ausführlichen Untersuchung der «Washington Post» vom 4. Oktober 2021 über die Trusts in South Dakota wird die Undurchsichtigkeit einiger US-Bundesstaaten endgültig offengelegt.
In einem Bericht der «Financial Times» wird auch die zentrale Rolle der Britischen Jungferninseln hervorgehoben. Andere britische Medien berichten jedoch hauptsächlich über kleine Steuerparadiese wie Panama, Dubai oder Monaco und stellen vor allem Prominente wie Könige und Politiker in den Mittelpunkt, die diese undurchsichtigen Strukturen nutzen, anstatt sich auf die Strukturen selbst zu konzentrieren.
Zweite Frage: Wie kommt es, dass diese Operationen keine Auswirkungen auf die Steuerhinterziehung, geschweige denn auf die Geldwäsche haben? Dieselben Strukturen, die den Steuermissbrauch erleichtern, sind es auch, die das Waschen von Geldern aus Drogendeals und Kriminalität erleichtern. Man sollte meinen, es sei selbstverständlich, dass Strukturen, die für Undurchsichtigkeit sorgen, abgeschafft werden müssten.
Aber so einfach ist es nicht. Dieses Geschäft ist für die Finanzzentren, die es anbieten, äusserst lukrativ. Deshalb haben die USA, das Vereinigte Königreich und China, die über die undurchsichtigsten Finanzzentren verfügen (Cayman Islands, Britische Jungferninseln, Delaware, South Dakota, Hongkong, etc.), ihre geopolitische Macht genutzt, um nicht gegen ihre eigenen Unzulänglichkeiten vorzugehen.
Weltweit ist der Kampf gegen undurchsichtige Strukturen in einigen Ländern nur sehr langsam vorangekommen, aber er geht weiter und gedeiht sogar. Das letzte Leck (Panama Papers) hat Berichten zufolge den Regierungen geholfen, 1,6 Mrd. $ an entgangenen Steuereinnahmen einzubringen. Dies ist jedoch nur ein Tropfen auf den heissen Stein: Schätzungen zufolge gehen jedes Jahr 427 Mrd. $ an Steuereinnahmen durch den Steuermissbrauch multinationaler Unternehmen und reicher Einzelpersonen verloren.
Der geschätzte Betrag, der in einem Jahr weltweit gewaschen wird, ist höher als je zuvor: zwischen 800 Mrd. und 2 Bio. $, was nach Angaben der Vereinten Nationen 2 bis 5 % des weltweiten BIP entspricht. Die Leaks hatten also kaum Auswirkungen auf den globalen Markt für Steuerhinterziehung und noch weniger auf die weltweite Geldwäscherei. Die schieren Beträge machen eines deutlich: Es muss undurchsichtige Strukturen geben, damit diese Aktivitäten weiterhin durch das Finanzsystem fliessen können.
Zu den wichtigsten Akteuren gehören amerikanische Bundesstaaten wie South Dakota und Delaware, die noch nie in einem früheren Leck aufgedeckt worden waren, während sie im letzten Jahrzehnt Kunden aus der ganzen Welt gewannen. Selbst als die USA andere Finanzzentren verurteilten, flossen nicht deklarierte Vermögenswerte in geheimnisvolle Trusts und Unternehmen, die in diesen Staaten versteckt waren.
Die «Washington Post» beschreibt eine «amerikanische Treuhandindustrie, die zunehmend das Vermögen internationaler Millionäre und Milliardäre schützt, indem sie ein Mass an Schutz und Geheimhaltung verspricht, das mit demjenigen von Steueroasen in Übersee konkurriert oder dieses sogar übertrifft». Weiter heisst es: «Dieser nahezu absolute Schutz hat die Branche von einer sinnvollen Aufsicht abgeschirmt».
Es stellt sich die Frage, wie es möglich ist, dass in einer Welt, in der die OECD angeblich sehr strenge Standards für den Informationsaustausch eingeführt hat, eine solch undurchsichtige Steuerhinterziehungsindustrie im Stil der Achtzigerjahre ausgerechnet in dem Land gedeihen kann, das den Kampf gegen die Steuerhinterziehung anführt.
Ich hatte diese ganze Wendung der Ereignisse in einem Buch aus dem Jahr 2010 mit dem Titel «Das Bankgeheimnis ist tot. Es lebe die Steuerflucht» prognostiziert. Meine These war, dass mit dem Ende des Schweizer Bankgeheimnisses der Trust das Instrument der Wahl zur Steuervermeidung werden würde. Die USA würden zur Nummer eins bei der Steuervermeidung werden. Im Buch hiess es auch, dass US-Bundesstaaten wie Delaware, Wyoming und South Dakota die Möglichkeiten von Offshore-Trusts und Briefkastenfirmen geschickt nutzen würden, um Gelder aus der ganzen Welt anzuziehen und diese Aktivität zu fördern. Und wir haben gerade erfahren, dass sich das Treuhandvermögen in South Dakota seit 2011 auf 360 Mrd. $ mehr als vervierfacht hat.
Könnte es sein, dass es eine Verlagerung von nicht deklarierten Vermögenswerten aus der Schweiz und Europa in amerikanische Trusts und undurchsichtige Arrangements gab? Dies kann einen Teil des Vermögenszuwachses seit dem Ende des Schweizer Bankgeheimnisses erklären. Ein Blick auf die ausländischen Depotkonten von Privatkunden in der Schweiz zeigt, dass sich diese von 1110 Mrd. Fr. im Jahr 2007 auf 588 Mrd. Fr. im Jahr 2020 halbiert haben.
Sie werden feststellen, dass die gebietsfremden Depotkonten von institutionellen Anlegern diesen Verlust wettgemacht haben, was teilweise eine Verlagerung von Privatkonten zu juristischen Personen – Offshore-Trust-Konten oder ausgeklügelte Arrangements von Trusts in Kombination mit zugrunde liegenden Offshore-Gesellschaften – bedeuten kann.
Trusts zur Steuervermeidung sind auch in Delaware, Alaska, Nevada oder New Hampshire zu finden. In den Pandora Papers wurden 206 in den USA ansässige Trusts identifiziert, die mit 41 Ländern verbunden sind und zusammen ein Vermögen von mehr als 1 Mrd. $ halten, und das ist nur die Spitze des Eisbergs.
Das Problem ist, dass Trusts, wenn sie missbräuchlich genutzt werden, den eigentlichen Besitzer vor Steuern, Gläubigern, Behörden, Ehepartnern, Ansprüchen von Familienmitgliedern, aber auch vor der Verantwortung für kriminelle Aktivitäten schützen können. «Fast dreissig der Trusts enthielten Vermögenswerte, die mit Personen oder Unternehmen verbunden waren, die des Betrugs, der Bestechung oder der Verletzung der Menschenrechte in einigen der am stärksten gefährdeten Gemeinschaften der Welt beschuldigt wurden», berichtet die «Washington Post».
Man kann argumentieren, dass solche Enthüllungen das Ende der US-Trust-Branche besiegeln könnten. Doch das wäre töricht. Die Frage ist, wer die Grossmächte zu einem Kurswechsel bewegen kann? Regelmässige Indiskretionen sorgen für schlechte Publicity und üben Druck auf die US-Gesetzgeber in Richtung sauberer Praktiken und besserer internationaler Compliance aus. Womit wir wieder bei der ersten Frage wären: Wer lässt diese Informationen durchsickern?