Meinung

Tech Bubble 2.0

Wer die Tech-Blase gegen Ende der Neunzigerjahre mitverfolgt hat, erlebt angesichts der aktuellen Entwicklung an den Börsen ein intensives Déjà-vu. Die Geschichte wiederholt sich nicht immer. Doch manchmal begehen Investoren die gleichen Fehler mit noch mehr Euphorie.

Kevin Duffy
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In den späten Neunzigerjahren herrschte an der Börse die Ansicht, dass das Internet einen Paradigmenwechsel ausgelöst habe, eine New Economy erschaffe und allwissende Zentralbanker einen gravierenden Konjunkturabschwung problemlos verhindern könnten.

Ausgabe vom 22. Februar 1999.

Ausgabe vom 22. Februar 1999.

Die Folge davon war ein massiver Ansturm auf Internet- und Technologieaktien. Das Silicon Valley boomte, während Wallstreet IPOs puschte. Um mit der scheinbar unersättlichen Nachfrage nach Publikumsöffnungen mitzuhalten, verpassten Investmentbanken vielen Unternehmen einfach einen neuen Anstrich, indem sie dem Firmennamen das Suffix «.com» hinzufügten

Viele Anleger glaubten, dass es spielend einfach sei, mit Aktien Geld zu verdienen. Jugend wurde gefeiert und Weisheit verachtet. Verluste spielten keine Rolle. Was zählte, waren trendige Begriffe wie «First Mover Advantage» und «Eyeballs». Wer zu alt war, um diese neue Welt zu verstehen, «checkte» es schlicht nicht. Man sei in der Old Economy stecken geblieben, hiess es.

Ich erinnere mich noch gut daran, als der inzwischen verstorbene Fernsehjournalist Ed Bradley eine Reportage für das Nachrichtenmagazin «60 Minutes» zur Dotcom-Manie machte. Die Jungunternehmer, die er interviewte, waren auf eine Art religiösen Eifer versessen, als wären sie zu Höherem berufen. Einer von ihnen sagte Bradley sogar unverhohlen ins Gesicht, dass er ein vom Aussterben bedrohter Dinosaurier sei.

Wie sich später herausstellte, sollten die Visionäre tatsächlich Recht behalten: Die Internetrevolution übertraf selbst die kühnsten Prognosen - und trotzdem wurden die meisten Träume zerstört, als die Tech-Blase im März 2000 platzte und der Nasdaq Composite in zweieinhalb Jahren um 77% einbrach.

Wie bei der Eroberung des Wilden Westens starben damals viele Internetpioniere mit Pfeilen im Rücken. Sie legten aber die Grundlage für Überlebende wie Amazon und für eine zweite Generation von Startup-Unternehmen wie Google und Facebook. Diese eroberten dann das riesige Terrain für sich, in das die ersten Siedler vorgedrungen waren.

Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, markierten Aktien der Old Economy, die viele Investoren im Tausch für Dotcom-Lottoscheine aufgegeben hatten, im März 2000 den Tiefpunkt. Was folgte, war eine sieben Jahre anhaltende Phase, in der Value-Aktien die Börsen anführten.

Parallelen und Unterschiede

Es fällt schwer, keine Parallelen zur heutigen Euphorie um Technologieaktien, Venture Capital, Day Trading, Börsengänge und jugendlichen Übermut zu ziehen.

Natürlich, im Vergleich zu damals geht es gegenwärtig um viel grössere Beträge. Im Jahr 2000 sorgten Microsoft, Cisco Systems und GE für Erstaunen, als sie als erste Unternehmen eine Marktkapitalisierung von über 500 Mrd. $ erreichten.

Heute sind vier Technologieunternehmen an der Börse zu mehr als einer Billion Dollar bewertet. Apple handelt seit einigen Tagen sogar zu einem Marktwert von über zwei Billionen Dollar.

Wie zur Jahrtausendwende lässt sich an den Märkten ein trichterartiger Konzentrationsprozess beobachten, bei dem sich Investoren auf eine immer engere Gruppe von Gewinneraktien stürzen:

  • Die fünf FAAMG-Titel mit der grössten Marktkapitalisierung (Facebook, Apple, Amazon, Microsoft und Google) haben seit Jahresbeginn 49,9% gewonnen. Der Rest des US-Aktienmarkts - gemessen am Wilshire-5000-Index – hingegen notiert 0,9% im Minus.
  • Die FAAMG-Aktien machten Anfang Jahr 14,9% des Wilshire 5000 aus. Heute sind es 21%.
  • Apple, die grösste Aktie im S&P 500, kommt für 7,2% des US-Leitindex auf. Der iPhone-Hersteller hat damit den bisherigen Rekord gebrochen, den IBM 1983 mit 6,4% aufgestellt hatte.
  • Zählt man zu den FAAMG-Konzernen Netflix hinzu, sind diese sechs Aktien auf dem Papier mehr wert als die Sektoren Finanzen, Energie, Industrie und Grundstoffe zusammen.
  • Die Gewichtung der fünf FAAMG-Aktien im S&P 500 hat während eines Jahres von insgesamt 17% auf 24% zugenommen. Dieser relative Zuwachs des Börsenwerts von 7% übertrifft den bisherigen Rekord im Zeitraum von 1999 bis 2000.

Quelle. Bank of America

Vergangenheit und Gegenwart

Verstehen Sie mich jetzt bitte nicht falsch: Ich habe kein Problem damit, in die Gewinner von Morgen zu investieren – aber nicht zu Bewertungen, die fantastische Prognosen weit darüber hinaus diskontieren.

Nehmen wir als Beispiel Tesla, ein Darling der Day Trader auf der Handelsplattform Robinhood. Der annualisierte Bruttogewinn des Elektroautoherstellers erreichte per Ende des zweiten Quartals 5 Mrd. $, womit die Aktie zu mehr als dem 80-Fachen des Bruttogewinns handelt.

Vergleichen wir diese Bewertung nun mit anderen führenden Technologieunternehmen, als diese zum ersten Mal einen Bruttogewinn von über 5 Mrd. $ erzielten.

Bei Intel und Microsoft war das in den frühen Neunzigerjahren der Fall, mit einem Faktor von 5,7 bzw. 7,9. Cisco Systems und Oracle überschritten die Marke Mitte der Neunzigerjahre mit 8,6 respektive. 6,8. Amazon schafft es 2008, nahe dem Boden des Bärenmarkts, mit 5,2.

Vergessen wir auch nicht, dass diese Konzerne zum betreffenden Zeitpunkt alle deutlich höhere Wachstumsraten und festere Margen aufwiesen als Tesla heute.

Tech-Bullen dürften nun wohl überzeugend klingende Argumente anführen, dass es «dieses Mal anders ist»:

  • Im Jahr 2000 war Walmart gemessen am annualisierten Bruttogewinn mehr als doppelt so gross wie die fünf grössten Technologiekonzerne. Heute sind die Top 5 des Tech-Sektors mehr als dreimal so gross wie der US-Einzelhandelsriese. Die digitale Revolution ist also noch lange nicht vorbei.
  • Das grösste Technologieunternehmen im Jahr 2000 war IBM. Damals war klar, dass der IT-Koloss seine besten Jahre hinter sich hatte, was Chancen für flinkere Wettbewerber eröffnete. Heute sind demgegenüber alle fünf FAAMG-Konzerne in Bestform.
  • Die FAAMG-Aktien handeln heute zum 16-Fachen des Bruttogewinns. Die fünf grossen Wachstumsunternehmen im IT-Sektor (Microsoft, Intel, Cisco, Oracle und Dell) wurden zu Spitzenzeiten hingegen mit dem 34-Fachen bewertet. (Kontrapunkt aus der Bärenperspektive: Die fünf Topkonzerne wuchsen zur Jahrtausendwende im Schnitt um 24%, wogegen die heutigen fünf grössten Tech-Stars 15% expandieren.

Grosse Risiken für «Big Tech»

Manche Investoren leiden derzeit möglicherweise unter dem Rezenzeffekt. Das heisst, sie erinnern sich besser an neuere Informationen als an ältere, weil Facebook, Apple, Amazon, Microsoft und Google den Schock der Pandemie wesentlich besser verkraftet haben als die meisten anderen Unternehmen.

Ausgabe vom 10. August 2020

Ausgabe vom 10. August 2020

Das ändert jedoch wenig daran, dass die Risiken für grosskapitalisierte Tech-Aktien steigen. Hier eine Auflistung der bedrohlichsten Gefahren:

  • Gesetz der grossen Zahlen: Nur schon wegen ihrer Grösse wird es für Tech-Kolosse immer schwieriger, das Wachstum zu steigern. Apple beispielsweise gibt heute doppelt so viel Geld für Forschung und Entwicklung aus wie vor fünf Jahren (17,1% des Bruttogewinns gegenüber 8,5%). Dennoch wuchs der Konzern letztes Jahr bloss 6,5%.
  • Gesättigte Märkte: Während der Baisse von 2008 gewannen die Tech-Riesen Anteile in unerschlossenen Märkten. Heute sieht es so aus, dass Branchen wie Smartphones und digitale Werbung gesättigt sind.
  • Wettbewerb: Tech-Giganten prallen immer öfter aufeinander. Die Cloud-Rechendienste von Amazon, Microsoft und Google werden zum Massengeschäft, wodurch der Konkurrenzkampf härter wird. Die chinesische Videoclip-Plattform TikTok trat 2018 wie aus dem Nichts in den US-Markt ein und avancierte in Amerika zum Internetphänomen mit über 100 Mio. Nutzern. Im Bereich Streaming konkurrieren sich Apple und Amazon mit Netflix, Disney und HBO.
  • Handelskrieg: Die Auseinandersetzung von Präsident Trump mit China belastet die Marke «Amerika». So hat Trump vor Kurzem eine Sonderverordnung erlassen, die chinesische Apps wie WeChat verbietet. Ohne WeChat ist ein iPhone von Apple in China praktisch nutzlos.
  • Kartellrecht: TikTok ist vor allem bei jüngeren Nutzern beliebt. Facebook wird die Akquisition des chinesischen Unternehmens untersagt, wogegen Microsoft ironischerweise den Segen der US-Regierung erhält, nachdem der Softwareriese 1999 selbst im Fokus eines wettbewerbsrechtlichen Verfahrens stand. (Kartellverfahren sind übrigens oft ein Contra-Indikator, da die Bürokraten im Staatsapparat den technologischen Wandel und neue Wettbewerber unterschätzen. Die US-Regierung lancierte 1969 beispielsweise eine kartellrechtliche Untersuchung zur Marktdominanz von IBM, ohne die Auswirkungen neuer PCs zu erwägen. 1998 fürchtete das Justizdepartement eine Vorherrschaft von Microsoft, ohne die Verbreitung des Internets zu antizipieren.)
  • Demografie: Die alternde Generation der Babyboomer ist hauptsächlich auf Facebook, wo das Wachstum der Nutzer stagniert. Millennials präferieren die Facebook-Tochter Instagram. Im Wettbewerb um jüngere Bevölkerungsgruppen, wo Trends rasch wechseln können, besteht jedoch viel Konkurrenz durch neue Dienste wie TikTok.
  • Rezession: Digitale Werbung, der Kernmarkt von Facebook und Google, ist eine zyklische Branche. Anders als 2009/10 wird auch Amazons Online-Handelsgeschäft von der aktuellen Rezession nicht verschont bleiben.
  • Venture-Capital-Blase: Grosse Tech-Konzerne erwirtschaften einen bedeutenden Teil der Einnahmen im Ökosystem der Wagniskapitalszene - ein weiteres Echo aus der Zeit der Dotcom-Blase, zumal Netzwerkausrüster wie Cisco und Lucent ihre Produkte damals Kunden oft vorfinanzierten. Wenn sich die VC-Blase auflöst (ein Prozess, der schon seit einiger Zeit im Gang ist), wird diese wichtige Einnahmequelle für Tech-Riesen weitgehend austrocknen.
  • Passiv-Blase: Tech-Kolosse haben von einer Aufwärtsspirale profitiert, die von der lockeren Geldpolitik und vom Wandel angetrieben wird, dass immer mehr Geld von aktiven in passive Anlagen fliesst (ein gewaltiger Strom von rund 2,7 Bio. $ in den letzten fünf Jahren). Wenn grosse Tech-Aktien zurück auf den Boden der Realität kommen, werden ihre Kursabgaben die populären Indizes umso mehr belasten, was wiederum einen Teufelskreis nach unten auslöst.
  • Kurzfristiges Denken: Plattformen wie Facebook oder die Google-Tochter YouTube machen süchtig nach kurzfristigen, mentalen Reizen. Das zieht kontraproduktive Effekt nach sich.
  • Bedenken zum Datenschutz: Grosse Technologieunternehmen sind auf Regierungen angewiesen, die sich zunehmend in ihre Geschäfte einmischen.

Toxische Ideologie

Die grösste Bedrohung für das Silicon Valley generell und speziell für die Tech-Giganten ist auf lange Sicht wohl der korrumpierende Einfluss egalitären Gruppendenkens. Ein Geschäftskontakt hat mir dazu unlängst gesagt: «Eine ganze Branche hat sich von der Realität losgelöst.»

Der Ansatzpunkt für kulturellen Marxismus findet grösstenteils über die Personalabteilungen statt. Wohin das führt, ist schwierig zu sagen. Eine ehrgeizige, kreative und hochproduktive Kultur mit Konformität zu drangsalieren, muss jedoch zwangsläufig negative Auswirkungen haben.

Nachdem ich bei der ersten Version der Tech-Blase selbst als Augenzeuge präsent war, ist meine Lektion von damals kontraintuitiv: Der trichterartige Konzentrationsprozess erzeugt ein Vakuum und hinterlässt Schnäppchen. Viele qualitativ hochwertige Unternehmen waren nie so günstig wie im März 2000, als der Nasdaq ganz oben auf dem Zenit stand.

Die gute Nachricht lautet daher: Die Geschichte scheint sich heute zu wiederholen.

Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem «Coffee Can Portfolio», einem Investmentbulletin, das der Verfasser in loser Folge publiziert.

Kevin Duffy

Kevin Duffy ist Mitgründer von Bearing Asset Management. Die US-Investmentboutique konzentriert sich auf Makrotrends und führt zwei Hedge Funds, die auf Contrarian-Strategien spezialisiert sind. Duffy ist vor allem als Leerverkäufer bekannt. Beispielsweise sorgte er während der Finanzkrise mit Wetten gegen Aktien wie New Century Financial, Bear Stearns und Lehman Brothers für Aufmerksamkeit in der Branche. Bekannt ist er ebenso für seinen pointierten Blog Notable and Quotable. Bevor er mit seinem Geschäftspartner Bill Laggner 2002 Bearing lancierte, war er Mitgründer und Researchleiter der Investmentfirma Lighthouse Capital. Duffy lebt in der Umgebung von Philadelphia. Unter dem Titel «The Coffee Can Portfolio» gibt er zudem ein Investmentbulletin heraus.
Kevin Duffy ist Mitgründer von Bearing Asset Management. Die US-Investmentboutique konzentriert sich auf Makrotrends und führt zwei Hedge Funds, die auf Contrarian-Strategien spezialisiert sind. Duffy ist vor allem als Leerverkäufer bekannt. Beispielsweise sorgte er während der Finanzkrise mit Wetten gegen Aktien wie New Century Financial, Bear Stearns und Lehman Brothers für Aufmerksamkeit in der Branche. Bekannt ist er ebenso für seinen pointierten Blog Notable and Quotable. Bevor er mit seinem Geschäftspartner Bill Laggner 2002 Bearing lancierte, war er Mitgründer und Researchleiter der Investmentfirma Lighthouse Capital. Duffy lebt in der Umgebung von Philadelphia. Unter dem Titel «The Coffee Can Portfolio» gibt er zudem ein Investmentbulletin heraus.