Meinung

Thinking About Macro

Prognosen zur wirtschaftlichen Grosswetterlage gewinnen an Bedeutung. Im Mittelpunkt stehen die Themen Inflation, Zinsen und die künftige Geldpolitik der US-Notenbank. Damit stellt sich die entscheidende Frage, inwiefern die Bewertungen an den Finanzmärkten gerechtfertigt sind.

Howard Marks
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«Damit eine Information wertvoll ist, muss sie zwei Kriterien erfüllen: Sie muss relevant sein und sie muss wissbar sein.» - Warren Buffett

Regelmässige Leserinnen und Leser meiner Memos wissen, dass wir bei Oaktree Capital Makro-Prognosen mit einem hohen Mass an Skepsis begegnen. Einer der sechs Grundpfeiler unserer Anlagephilosophie besagt klar, dass wir unsere Investments nicht auf Vorhersagen zu makroökonomischen Entwicklungen stützen. Oaktree beschäftigt deshalb keine Ökonomen, und wir laden auch nur selten Ökonomen dazu ein, uns ihre Sicht der Dinge zu präsentieren.

Der Grund dafür ist simpel: Wir sind davon überzeugt, dass künftige makroökonomische Entwicklungen - um Buffetts Terminologie zu verwenden - nicht wissbar sind. Oder besser gesagt: Makro-Prognosen gehören zu den Bereichen, in denen es - wie bei Investitionen generell - einfach ist, mit seinen Einschätzungen so korrekt wie der Konsens zu liegen. Enorm schwierig ist hingegen, noch «richtiger» zu liegen.

Prognosen, die auf dem Konsens basieren, bieten deshalb keinen Vorteil; nur wer richtiger liegt als andere Investoren - d.h. wer einen Wissensvorsprung hat - kann erwarten, mit Zuverlässigkeit überdurchschnittliche Renditen zu erzielen.

Viele Anleger glauben, dass ihre Aufgabe darin bestehen würde, eine makroökonomische Prognose aufzustellen und ihre Investments danach auszurichten. Erfolgreiche Stock Picker und Investoren im Immobiliensektor äussern sich oft zum Ausblick auf die Gesamtwirtschaft, selbst wenn es keinen Beweis dafür gibt, dass ihr Erfolg mit präzisen Prognosen zu makroökonomischen Entwicklungen zusammenhängt.

Weil das konjunkturelle Umfeld jedoch einen grossen Einfluss auf das Geschehen an den Märkten ausübt, halten es viele Leute für absolut unverantwortlich, es bei Investitionen zu ignorieren. Trotzdem:

  • Die meisten Makro-Prognosen erweisen sich in der Regel als (a) wenig hilfreiche Einschätzungen, die dem Konsens entsprechen, oder (b) als abweichende Ansichten, die sich nur selten als richtig erweisen.
  • Investoren, die Anlageentscheide mit Erfolg auf Makro-Prognosen stützen, kann ich an einer Hand abzählen. Der Rest wählt einen Bottom-Up-Ansatz, und konzentriert sich auf ein Investment nach dem anderen.
  • Es mag schwerfallen, - sich selbst und anderen gegenüber - einzugestehen, dass wir nicht wissen, was die Zukunft im Hinblick auf makroökonomische Trends bringt. In Bereichen mit grosser Unsicherheit ist es wohl aber klüger, Unbekanntes zu akzeptieren, als sich selbst zu täuschen.

Warum aber sollten Sie meinen Worten glauben? Wie wäre es deshalb stattdessen mit diesen kompetenten Beurteilungen?

«Es ist beängstigend, daran zu denken, dass man etwas nicht wissen könnte. Noch mehr Unbehagen bereitet aber der Gedanke, dass das Weltgeschehen im Grossen und Ganzen von Menschen gelenkt wird, die glauben, genau zu wissen, was vor sich geht.» - Amos Tversky

«Was uns in Schwierigkeiten bringt, ist nicht das, was wir nicht wissen. Vielmehr ist es das, was wir mit Sicherheit wissen, aber nicht stimmt.» - Mark Twain

Zum Zeitpunkt, in dem ich dieses Memo verfasse, gewinnen makroökonomische Betrachtungen zweifellos an Bedeutung. Im Mittelpunkt steht dabei das Thema Inflation. Das Fed, das US-Schatzamt und der Kongress haben in den vergangenen sechzehn Monaten Arbeitnehmer, Unternehmen, Regierungen von US-Bundesstaaten sowie lokalen Gebietskörperschaften, die Wirtschaft generell und die Finanzmärkte mit einer Flut von Geld gestützt, subventioniert und stimuliert. Daraus resultierten (a) ein Vertrauen in eine robuste Konjunkturerholung (b) ein raketenhafter Anstieg der Vermögenspreise und (c) Angst vor einem Anziehen der Inflation.

Ein substanzieller Teil der laufenden Debatte zu den makroökonomischen Aussichten dreht sich um das Fed und seine Geldpolitik sowie um das Verhalten der Märkte. Die konjunkturelle Erholung, an der wir uns gegenwärtig erfreuen, wurde im März 2020 durch die US-Notenbank gezündet, indem sie den Leitzins auf 0 bis 0,25% gesenkt, Programme für Kredite sowie Zuschüsse lanciert und enorme Mengen an Anleihen gekauft hat.

Diese Kombination hat sich als ausgesprochen erfolgreich erwiesen und hat zu einem kräftigen Aufschwung in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten geführt. Die gleichen Massnahmen haben allerdings auch die Gefahr von persistent höherer Inflation geschaffen.

Das Fed hat zwei Hauptmandate: (a) für ausreichendes Wirtschaftswachstum zu sorgen, sodass Arbeitsplätze entstehen und Vollbeschäftigung erreicht wird, und (b) die Inflation unter Kontrolle zu halten.

Bis zu einem bestimmten Grad stehen diese beiden Aufgaben im Widerspruch zueinander. Steigende Inflation veranlasst Investoren dazu, höhere Zinsen zu verlangen, um den Verlust an Kaufkraft zu kompensieren. Höhere Zinsen wiederum drohen, das Wirtschaftswachstum abzuwürgen.

Der Ausblick für die amerikanische Wirtschaft hellte sich im letzten Sommer auf, in Reaktion auf die Interventionen des Fed und des US-Schatzamts. Dann verbesserten sich die Aussichten dank der erfolgreichen Entwicklung von Impfstoffen weiter. Als Folge davon sehen wir jetzt ein starkes Konjunkturwachstum - das reale BIP ist im ersten Quartal annualisiert um 6,4% expandiert -, und die Erwartungen für den Rest des Jahres und vielleicht auch für 2022 bleiben hoch. Dennoch hält das Fed die Zinsen weiterhin auf nahezu null und kauft monatlich 120 Mrd. $ an Anleihen.

Weshalb also wird eine Wirtschaft stimuliert, die so gut läuft? Weshalb gehen wir das Risiko von Inflation ein?

Das Fed scheint sich kaum Sorgen um Inflation zu machen. Zuerst kommunizierte die US-Notenbank, dass sie nicht mit einem Anziehen der Teuerung rechne (aktuelle Daten widerlegen das). Falls es aber tatsächlich zu Inflation komme, werde das nur ein vorübergehender Trend sein, sagte das Fed daraufhin. Und falls sich die Inflation trotzdem nicht als vorübergehend herausstellen sollte, meinte das Fed weiter, dann habe es wirksame Instrumente, um sie zu bekämpfen.

Indem das Fed eine hochgradig expansive Geldpolitik beibehält, signalisiert es, dass es sich mehr um eine Abkühlung der Konjunktur sorgt als um Inflation. Ein gut informierter Beobachter hat mir dazu gesagt, dass die US-Notenbank ernsthaft das Risiko einer wirtschaftlichen Stagnation fürchte, wenn sich das Wachstum auf 2% oder weniger abschwächt, was vor der Pandemie die Norm war.

Vergessen wir in diesem Kontext nicht, dass (a) wir seit der Jahrhundertwende ein gedämpftes Wirtschaftswachstum verzeichnen sowie eine seriöse Diskussion über das Thema «säkulare Stagnation» führen, und dass (b) der Aufschwung von 2009 bis 2019 zwar der längste, zugleich aber auch der langsamste seit dem Zweiten Weltkrieg war.

Die jüngsten Aussagen von Fed-Präsident Powell verdeutlichen, welche Prioritäten er in diesem Aufschwung setzt, der inzwischen mehrere Monate andauert:

«Jerome Powell, Vorsitzender des Federal Reserve, bekräftigte am Mittwoch "starke Unterstützung" zu leisten, bis die Erholung der US-Wirtschaft von der Coronavirus-Pandemie abgeschlossen ist …

Während seines Auftritts vor dem Finanzausschuss des US-Repräsentantenhauses meinte Powell, er sei zuversichtlich, dass der jüngste Anstieg der Preise mit der Wiedereröffnung der Wirtschaft nach der Pandemie zusammenhänge und abklingen werde. Das Fed solle sich weiterhin darauf konzentrieren, so viele Menschen wie möglich zurück in die erwerbstätige Bevölkerung zu bringen.

Jeder Schritt, die Massnahmen zur Unterstützung der Wirtschaft zu reduzieren, indem zuerst die monatlichen Anleihekäufe der US-Notenbank im Umfang von 120 Mrd. $ gesenkt werden, liege "noch in weiter Ferne", sagte Powell. Das, zumal nach wie vor 7,5 Millionen Arbeitsplätze im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie fehlen würden.» (Bericht von Reuters, 14. Juli)

Doch selbst wenn eine Abkühlung der Konjunktur tatsächlich das Hauptrisiko ist - und wer will schon dem Fed widersprechen und behaupten, dass es anders sei -, bleibt das Risiko von Inflation real. Und das gilt ebenso für die Folgen.

Ich bin mir sicher, dass es für uns alle wesentlich besser ist, wenn das Fed die Wirtschaft möglicherweise etwas zu stark stimuliert statt zu wenig. Auch glaube ich, dass die US-Notenbank mit allen ihren Interventionen das Richtige getan hat, obschon diese womöglich negative Konsequenzen haben. Dennoch müssen wir unerwünschte Folgen in Betracht ziehen.

  • Eine höhere Inflationsrate könnte zu steigenden Zinsen führen, weil Investoren positive reale Renditen verlangen. Das Gleiche ist der Fall, wenn die Inflation mit einer strafferen Geldpolitik und höheren Zinsen bekämpft wird.
  • Höhere Zinsen könnten sich negativ auf die Wirtschaft auswirken.
  • Höhere Zinsen führen dazu, dass Investoren höhere Renditen verlangen. Damit sinken die Preise von Vermögenswerten, wodurch die Finanzmärkte kollabieren könnten (das hat sich in den Jahren 1972 bis 1982 gezeigt).
  • Eine höhere Inflationsrate würde Leute mit niedrigem Einkommen am härtesten treffen, weil in diesem Segment der grösste Teil der Einkünfte für lebensnotwendige Ausgaben verwendet wird. Ebenso wäre der Lebensstil von Millionen von Rentnern und anderen Leuten gefährdet, die auf ein Einkommen aus festverzinslichen Finanzanlagen angewiesen sind.
  • Mit höheren Zinsen steigen die Kosten zur Bedienung der Staatsschulden. Das jährliche Budgetdefizit (und damit die Staatsverschuldung) würden dadurch weiter anschwellen.
  • Wachsende Budgetdefizite könnten dazu führen, dass Kreditgeber (und ausländische Investoren) noch höhere Zinsen auf US-Anleihen verlangen, womit ein negativer Feedback Loop in Gang kommen würde.
  • Wenn die USA weiterhin ausreichend Geld drucken, um die Zinsen auf die Staatsschulden zu bezahlen und das Defizit zu finanzieren, könnte letztlich der Wert des Dollars und sein Status als Reservewährung der Welt in Frage gestellt werden.
  • Wie wir aus der Vergangenheit gelernt haben, könnten rasch steigende Preise dazu führen, dass sich die Erwartung einer höheren Inflation in den Köpfen der Bevölkerung festsetzt, womit sich der Anstieg von selbst fortsetzt und schwer zu stoppen ist.

Hinzu kommt, dass wir die negativen Aspekte der expansiven Geldpolitik selbst berücksichtigen sollten:

  • Die Grosszügigkeit der US-Notenbank gegenüber Investoren kann als «Fed Put» oder als Garantie dafür angesehen werden, dass künftige Rettungsmassnahmen so gut wie sicher sind. Die Folgen davon kann Moral Hazard sein (der Glaube, dass Investoren Risiken ohne Konsequenzen eingehen können). Ebenso kann sich die Risikoaversion verringern, die erforderlich ist, damit die Märkte sicher funktionieren.
  • Die oben genannten Entwicklungen können Unternehmen und Investoren dazu verleiten, mehr Fremdkapital einzusetzen, wodurch sich der potenzielle Schaden bei einer Abschwächung der Konjunktur vergrössert.
  • Wie wir in den vergangenen sechzehn Monaten gesehen haben, kann das Fed die Konjunktur nicht stimulieren, ohne den Preis wirtschaftlicher Vermögenswerte zu erhöhen. Und wer profitiert davon? Diejenigen, denen die Vermögenswerte gehören (d. h. die Eigentümer von Aktien, Unternehmen sowie Immobilien). Die Stimulierung der Wirtschaft und die daraus resultierende Preissteigerung von Vermögenswerten verschärfen demnach die soziale Ungleichheit, die in unserer heutigen Gesellschaft immer mehr zum Thema wird.
  • Wenn die US-Notenbank die Stimulusmassnahmen auf dem aktuellen Niveau beibehält - einschliesslich Zinsen von nahezu null Prozent - hat sie relativ wenig Spielraum für Interventionen, falls eine künftige Konjunkturabschwächung zusätzliche Stützmassnahmen erfordern sollte. Zinssenkungen waren beispielsweise ein wesentlicher Bestandteil des letztjährigen Rettungspakets. Sie wären nicht möglich gewesen, wenn der Leitzins bereits bei null gelegen hätte, als das Fed erstmals in Aktion trat.

Manche Leute fragen sich, ob das Fed dauerhaften Wohlstand schaffen kann, indem es Rezessionen verhindert oder sie auf ein Minimum reduziert, wie das letztes Jahr der Fall war. Einige hoffen, dass niedrige Zinsen die Finanzmärkte für immer auf hohem Niveau halten können. Manche glauben, dass das US-Schatzamt unbeschränkt Schulden aufnehmen kann und dass Fed bereit ist, im Notfall als rettender Käufer im Markt für Staatsanleihen einzuspringen.

Offensichtlich glauben viele Leute in der amerikanischen Regierung, dass der Staat unbegrenzte Summen ausgegeben kann, ohne dass sich wegen steigender Budgetdefizite und Schulden negative Folgen ergeben würden.

Ich bin zu wenig klug, um es zu beweisen zu können. Solche Vorstellungen scheinen mir aber zu schön, um wahr zu sein. Aus meiner Sicht sind sie vergleichbar mit der Idee des Perpetuum Mobile oder mit einer Kreditkarte ohne Limite und ohne Verpflichtung, den bezogenen Betrag zurückzahlen zu müssen.

Ich kann Ihnen nicht genau sagen, wo der Haken liegt. Ich bin aber überzeugt, dass es einen gibt. Oder vielleicht besser gesagt: Ich würde nicht darauf wetten, dass es keinen Haken gibt.

In den Dreissigerjahren schlug John Maynard Keynes vor, dass Staaten in wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit einem Haushaltsdefizit arbeiten sollen, um die Nachfrage zu stimulieren, die Konjunktur zu beleben und Arbeitsplätze zu schaffen. Nicht umsonst werden Staatsausgaben, die über ein Haushaltsdefizit finanziert werden, als «keynesianische» Wirtschaftspolitik bezeichnet.

Doch selbst Lord Keynes vertrat die Ansicht, dass Defizite zwar eine sinnvolle Massnahme sind, um eine träge Wirtschaft zu revitalisieren. Er war aber auch der Meinung, dass Regierungen in Zeiten des Wohlstands Haushaltsüberschüsse erzielen sollten, die dann in schwierigen Phasen zur Rückzahlung von Schulden verwendet werden können. Im 21. Jahrhundert sind Konzepte wie ein disziplinierter Staatshaushalt, Budgetüberschüsse und die Tilgung von Schulden aber offenbar in Vergessenheit geraten.

Die Vereinigten Staaten verzeichnen seit mehr als zwanzig Jahren grosse und wachsende Budgetdefizite. Dass sich daran etwas ändert, scheint unwahrscheinlicher denn je. Die traditionelle Wirtschaftslehre postuliert, dass diese Entwicklung zu Inflation führen wird. Im letzten Jahrzehnt hingegen haben Haushaltsdefizite keinen wesentlichen Anstieg der Teuerung ausgelöst. Vielleicht haben sie bloss dazu beigetragen, eine Wirtschaft zu stützen, die sonst schwächer gewesen wäre.

Wie dem auch sei, wir stehen jetzt vor einer Bewährungsprobe. Wie ich bereits erwähnt habe, kam es 2020 in den USA zu Billionen von Dollar an staatlichen Zuschüssen, zu Anleihekäufen der US-Notenbank, zu einer Ausweitung ihrer Bilanz, zu einem enormen Budgetdefizit und zur Erhöhung der Staatsschulden.

Alle diese Faktoren haben im Verhältnis zur Leistung der Gesamtwirtschaft deutlich zugenommen. Ihre Folgen werden sich in der Zukunft zeigen.

Unter der Leitung von Alan Greenspan wurde das Fed ab den Neunzigerjahren zu einem äusserst aktiven Akteur an den Finanzmärkten (woraus das Konzept des «Greenspan Put» und letztlich des «Fed Put» hervorging). Dieser Ansatz hat im jungen 21. Jahrhundert bereits drei Finanzkrisen überdauert.

Ich betone hier nochmals: Die Rettungsmassnahmen des Fed waren unerlässlich und angemessen. Meiner Meinung nach sollten sie aber nicht permanent anhalten. Ich würde ein Fed bevorzugen, das nicht ständig an der Feinjustierung der Geldpolitik arbeitet, sondern die meiste Zeit Zurückhaltung übt und die Wirtschaft nur im Extremfall stimuliert oder bremst.

Ich gehe davon aus, dass die Leserinnen und Leser dieses Memos an freie Märkte glauben. Das gilt speziell für ihre mächtige Funktion zur besten Allokation von Ressourcen. In freien Märkten lenkt die «unsichtbare Hand» von Adam Smith Ressourcen wie Arbeit und Kapital dorthin, wo sie am produktivsten sind.

Heute existiert jedoch kein freier Markt für Geld. Das gilt spätestens seit der globalen Finanzkrise von 2008. Das Fed senkte den Leitzins im Januar 2009 auf null und hat ihn seitdem niedrig gehalten. Wohl gab es Versuche, die Zinsen zu erhöhen. Die Finanzmärkte haben darauf aber mit einer Reihe von «Trotzanfällen» reagiert, die das Fed von weiteren Bemühungen zur Straffung der Geldpolitik abhielten.

Folgendes möchte ich klarstellen: Ich glaube nicht, dass ich es besser weiss, als die Verantwortlichen, die das Fed leiten. Generell würde ich es jedoch begrüssen, wenn die Wirtschaft weniger oft und sicherlich nicht ständig stimuliert würde. Wir würden uns in den kommenden Jahren vielleicht ein schnelleres Wachstum wünschen, als es die Wirtschaft aus eigener Kraft erreichen kann. Ich denke aber nicht, dass die Expansionsrate durch die Geld- und Finanzpolitik dauerhaft beschleunigt werden kann; und schon gar nicht ohne das Risiko negativer Konsequenzen.

Um eine gesündere Allokation von Kapital zu ermöglichen, würde ich gerne einen freien Geldmarkt sehen. Das bedeutet für mich, dass sich die Zinsen «natürlich» entwickeln können. Künstlich tiefe Zinsen verzerren die Kapitalmärkte, benachteiligen Sparer, subventionieren Kreditnehmer, treiben die Preise von Vermögenswerten in die Höhe und ermutigen Investoren zu erhöhter Risikobereitschaft und zum Einsatz von mehr Fremdkapital.

Auch in diesem Bereich würde ich ein Fed bevorzugen, das nur dann eingreift, wenn es unbedingt notwendig ist.

Abschliessend möchte ich noch kurz auf das aktuelle Bewertungsniveau der Märkte zu sprechen kommen. In den vier oder fünf Jahren vor 2020 wurde ich oft gefragt, ob sich hochverzinsliche Anleihen in einer Blase befinden. «Nein», hatte ich darauf stets geantwortet, «wir befinden uns in einer Bondblase». Hochzinspapiere waren relativ zu anderen Anleihen fair bewertet. Fakt war aber, dass sämtliche Anleihen hoch bewertet waren, weil die Zinsen niedrig waren.

Heute heisst es, dass es überall Blasen gebe. Deshalb nochmals: Ich halte die Preise der meisten Vermögenswerte im Verhältnis zueinander für fair. Bedenkt man aber, dass die Zinsen für die Preisfindung eine signifikante Rolle spielen und sie so niedrig sind wie nie zuvor, ist es dann nicht nachvollziehbar, dass die Preise vieler Vermögenswerte so hoch sind wie noch nie?

Wenn beispielsweise das Kurs-Gewinn-Verhältnis für den S&P 500 im niedrigen 20er-Bereich liegt, beträgt die «Gewinnrendite» (das Umkehrverhältnis des KGV) 4 bis 5%. Im Vergleich zur Rendite auf zehnjährige US-Staatsanleihen von rund 1,2% erscheint mir das fair. Würde das KGV für den S&P 500 während der Nachkriegszeit durchschnittlich 16 betragen, ergäbe sich daraus eine Gewinnrendite von 6,7%, was im Vergleich zu den Zinsen auf zehnjährige Treasuries zu hoch erscheint.

Das deutet für mich daraufhin, dass die Preise von Vermögenswerten im Verhältnis zu den Zinsen gegenwärtig angemessen sind.

Natürlich kann man daher sagen, dass die Preise von Vermögenswerten im Verhältnis zu den Zinsen vernünftig erscheinen. Eine andere Frage ist aber, ob die Zinsen niedrig bleiben, was wiederum bedeuten würde, dass die Preise auf hohem Niveau verharren (oder steigen) werden.

Und damit sind wir zurück beim Thema Inflation. Sich vorzustellen, dass die Zinsen fortan steigen, fällt nicht schwer. Entweder weil das Fed sie anhebt, um eine Überhitzung der Wirtschaft zu verhindern, oder weil eine steigende Inflation höhere Zinsen für positive reale Renditen erfordert. (Auch beide Ursachen sind denkbar.) Die Aussicht auf steigende Zinsen (und damit auf niedrigere Vermögenspreise) mag uns zwar alle beunruhigen. Meiner Meinung nach kann man aber nicht behaupten, die heutigen Vermögenspreise seien im Verhältnis zu den Zinsen irrational hoch.

Die Medien versuchen häufig, mich dazu zu bringen, Anlageempfehlungen wie «kaufen» oder «verkaufen» und «einsteigen» oder «aussteigen» abzugeben. Ich drücke meine Meinung heutzutage jedoch lieber im Hinblick auf die richtige Balance zwischen Offensive und Defensive aus.

In Anbetracht der aktuellen Trends an den Finanzmärkten bleiben wir bei Oaktree bei einer Abstimmung zwischen beiden Positionen, die sich generell mit unserer normalen Grundhaltung deckt (im Gegensatz zur erhöhten Gewichtung der Defensive, die wir Anfang 2020 bevorzugt hatten).

Vor diesem Hintergrund ist es aber vernünftig, als Reaktion auf das Risiko von Inflation bestimmte Adjustierungen an der Peripherie vorzunehmen. Anleger, welche diese Gefahr stark beunruhigt oder die sich primär eher um temporäre Kursrückschläge sorgen (und weniger um Gewinne, auf die sie verzichten könnten, falls die Inflation ausbleibt), können folgenden Anlagen eine stärkere Betonung im Portfolio geben:

  • Anleihen mit variabler Verzinsung
  • Investitionen in Unternehmen mit einem hohen Grad an Fixkosten oder ausreichend Marktmacht, um höhere Kosten abwälzen zu können. Das Gleiche trifft auf Gesellschaften zu, die Inflation in ihre Preise integrieren können (wie Vermieter bestimmter Immobilen); und/oder
  • Anlagebereiche, in denen die Gewinne schneller wachsen können als die Preise.

Das alles sind Varianten, um sich heute auf ein inflationäres Umfeld vorzubereiten. Ich halte es für vernünftig, dass Investorinnen und Investoren die Möglichkeit einer steigenden Inflation in Betracht ziehen. Ebenso ratsam ist es aus meiner Sicht aber, die Asset Allocation nicht erheblich umzuschichten im Hinblick auf makroökonomische Erwartungen, die sich als zutreffend oder auch als falsch erweisen können.

Bei diesem Gastbeitrag handelt es ich um einen Auszug aus dem jüngsten Memo von Howard Marks . Die Originalfassung in Englisch ist unter diesem Link abrufbar. Zudem kann sie hier als Podcast angehört werden.

Zur Person

Howard Marks ist Co-Chairman von Oaktree Capital Management. Seit der Gründung von Oaktree 1995 ist er dafür verantwortlich, dass sich die US-Investmentgesellschaft nach den Kernprinzipien ihrer Anlagephilosophie richtet. Er pflegt einen engen Kontakt zu Kunden hinsichtlich Anlageprodukten sowie Strategien. Zudem bringt er seine Erfahrung ein, wenn es um fundamentale Entscheide zu Investitionen und der Unternehmensausrichtung geht. Howard Marks ist in der internationalen Finanzbranche für seine «Memos» an Oaktree-Kunden bekannt. Warren Buffett hat dazu einmal gesagt: «Wenn ich ein Memo von ihm in meiner Mailbox sehe, ist es das Erste, was ich öffne und lese. Ich lerne dabei immer etwas.»
Howard Marks ist Co-Chairman von Oaktree Capital Management. Seit der Gründung von Oaktree 1995 ist er dafür verantwortlich, dass sich die US-Investmentgesellschaft nach den Kernprinzipien ihrer Anlagephilosophie richtet. Er pflegt einen engen Kontakt zu Kunden hinsichtlich Anlageprodukten sowie Strategien. Zudem bringt er seine Erfahrung ein, wenn es um fundamentale Entscheide zu Investitionen und der Unternehmensausrichtung geht. Howard Marks ist in der internationalen Finanzbranche für seine «Memos» an Oaktree-Kunden bekannt. Warren Buffett hat dazu einmal gesagt: «Wenn ich ein Memo von ihm in meiner Mailbox sehe, ist es das Erste, was ich öffne und lese. Ich lerne dabei immer etwas.»