Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman empfängt Präsident Joe Biden frostig und fördert kein zusätzliches Öl. Bedeutet das eine Abwendung Saudi-Arabiens von den USA und damit einen eigenen pivot to Asia – primär zu China oder gar Russland? Nein: grundlegende Interessen zählen mehr als autokratische Eitelkeiten.
Der Covid-bedingte Fist Bump zwischen US-Präsident Joe Biden und dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman (MBS) im vergangenen Juli in Riad war wohl symbolisch für das gesamte erste Treffen der beiden Politiker: Der Saudi landete einen Tiefschlag, indem er die übliche Hilfestellung des Landes bei westlicher Öl-Knappheit verweigerte.
Die zugestandene Erhöhung der Fördermenge des weltweit einzigen Produzenten, der dazu grundsätzlich in der Lage ist, war schon damals symbolisch. Die am Mittwoch vom Ölkartell Opec+ unter der Federführung von Saudi-Arabien und Russland angekündigte Förderkürzung um täglich 2 Mio. Fass respektive 2% der globalen Produktion, um den Ölpreis zu stabilisieren, ist ein weiterer Tiefschlag.
Für Biden kommt das einer doppelten Niederlage gleich: Kaum Entspannung an der Preisfront für Benzin und dazu ein symbolischer Kniefall vor einem Monarchensohn, den der US-Präsident bislang als Paria abgetan hatte. Er wollte eigentlich mit dem Vater, dem wirklichen König des Landes, zusammentreffen.
Mit dem Ausdruck Paria zielte der amerikanische Präsident auf den Hauptverantwortlichen für den Mord am dissidenten Journalisten Adnan Khashoggi. Auch nach der direkten Begegnung zwischen Biden und MBS ist dieser Fall juristisch nicht ausgestanden. Ein von Khashoggis Verlobter ausgehendes Strafverfahren gegen den Kronprinzen vor amerikanischen Gerichten läuft und geniesst im politischen Washington einige Sympathie.
Die amerikanische Regierung dürfte allerdings zu Gunsten von MBS dessen absolute Immunität als Staatschef – an sich allein diesen vorbehalten – vor Gericht geltend machen. Biden kann kaum anders entscheiden, nachdem er mit seinem Besuch beim Kronprinzen ihm diesen Status de facto bereits zugebilligt hat. Der Eitelkeit des Autokraten MBS dürfte damit Genüge getan sein.
Trotz der unappetitlichen Khashoggi-Affaire erscheint offensichtlich, dass die beidseitigen Interessen unverändert bestehen. Bis zu einer jetzt und auf absehbare Zeit unwahrscheinlichen Annäherung an Teheran, bleibt das Containment von Iran das erste Gebot für Washington im Mittleren Osten. Die bilateralen, historischen Belastungen (CIA-Hilfe bei der Einsetzung der Pahlavi-Dynastie im Iran in den 1950er Jahren, iranische Geiselhaltung amerikanischer Diplomaten von 1979–81), und die von Teheran nie zurückgezogene Drohung, Israel vernichten zu wollen, wiegen nach wie vor schwer.
Die unbedingte Abwehrhaltung der regierenden sunnitischen Araber auf der Südseite des Golfs gegen die schiitischen Perser gegenüber bleibt ebenso. Leicht zunehmende Kontakte von Saudi-Arabien, auch der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), mit Teheran sind taktisches Geplänkel, um die Schutzmacht USA immer wieder an die weltpolitische Bedeutung des Golfs zu erinnern.
Washington mit seiner im Mittleren Osten unangefochtenen Militärmacht ist Träger der Pax Americana und bleibt damit unverändert der Garant für Riad gegen den schiitischen Erzfeind auf der anderen Seite des Golfes. Dies gilt ebenso für die übrigen Staaten der arabischen Halbinsel.
Der Gulf Cooperation Council (GCC) umfasst sechs Länder, meist mit historischen und geografischen Berührungspunkten zum Iran. Kuwait weist eine grössere Minderheit schiitischer Perser auf, die über Jahrhunderte vom dichter besiedelten Nordufer auf die vergleichsweise menschenleere Südseite des Golfs ausgewichen sind. In Bahrain ist dies gar eine Mehrheit; beide Golfstaaten sind indessen fest in der Hand arabischer, sunnitischer Herrscherfamilien.
Katar und die VAE teilen ihre Rohstoffvorkommen im Golf mit den Ansprüchen des Nachbarn Iran; Dubai dient zudem als formeller und vor allem informeller Umschlagplatz für persisches Geld und Gut. Aussenseiter im GCC mit Blick auf den Iran ist Oman, dessen Interessen traditionell in Richtung des Indischen Ozeans gehen sowie des prekären Staatsgebietes Jemen, das geographisch wohl zur Halbinsel gehört, der als funktionsunfähiger Staat aber nicht Mitglied des GCC ist.
Trotz der Verflechtungen der vier Anrainerstaaten des Golfs mit dem grossen Nachbarn auf der anderen Seite, folgen sie der Führung des GCC-Ankerstaates Saudi-Arabien und verstehen sich wie Riad als sunnitisches Bollwerk gegen die Schiiten im Irak und vor allem im Iran. Ihre sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Interessen sind weitgehend parallel zu jenen Riads.
Auf der Basis von Rohstoffreichtum sehen sie sich auf dem Weg aus ihrem religiös geprägten Mittelalter zu modernen – wenn auch weiterhin autokratischen – Staaten und Konsumgesellschaften mit ungestilltem Hunger nach westlicher Technologie, Know-how und Lebensart. Dazu kann China nichts beitragen, geschweige denn Russland, das die Ölstaaten als Energieproduzent konkurrenziert.
Die allmähliche Anerkennung des ehemaligen jüdischen Erzfeindes Israel verspricht den Golfstaaten dagegen unmittelbaren Nutzen: in der Abwehr iranischer Aggression sowie beim Import von Technologie und Know-how. Das gilt speziell für Saudi-Arabien.
Die von MBS mit Brachialgewalt erzwungene Modernisierung von Land und Gesellschaft wird ohne aktive Mithilfe des Westens und ohne militärischen Schutzschirm der USA nicht gelingen. Von einem Teilnehmer einer kürzlichen Mission des Internationalen Währungsfonds ist zu erfahren, dass die Gruppe junger, in den USA und in Europa ausgebildeter Erneuerer in der Entourage von MBS – er ist für einen Potentaten aus dem Morgenland ja ebenfalls noch sehr jung – sich dessen bewusst ist.
Sie sehen wie viele andere auch die Zeichen, dass das Zeitalter fossiler Brennstoffe sich dem Ende zuneigt, trotz des Ukrainekriegs. Er wird letztlich alternativer Energie einen Vorwärtsschub verleihen. Sie dürften sich damit ebenfalls bewusst sein, dass der Tag näher rückt, an dem saudischer Ölreichtum zum Stranded Asset wird.
Von grosser Bedeutung wird allerdings sein, ob die Modernisierung der saudischen Gesellschaft mit deren wirklichen Liberalisierung einhergehen wird. Dies ist bislang kaum der Fall. Frauen dürfen zwar ausser Hause arbeiten, selbst Autofahren und müssen sich in der Öffentlichkeit weniger verschleiern. Die Freiheit, sich auszudrücken, ist ihnen aber – wie der gesamten Gesellschaft – weiterhin nur in engen Grenzen möglich.
Erst die Zukunft wird zeigen, ob sich so die Transformation eines ‹Rentier-Staates› erzwingen lässt, in dem sich die Herrschenden die politische Gefolgschaft ihrer Untergebenen mit der weichen Daunendecke von derzeit noch sprudelndem Ölreichtum erkaufen, unkonventionelle Innovation aber auf autokratische Hürden stösst.
So viel steht immerhin fest: Im Zeitalter zunehmender globaler Abkoppelungen und Blockbildungen, auch und gerade im wirtschaftlichen Bereich, kann es sich Saudi-Arabien – und mit ihm der Kranz von Fürstentümern am südlichen Rand des Golfs – nicht leisten, einem von Peking selbstherrlich geführten ‹China-Block› anzugehören.
Damit würden sie Gefahr laufen, im Konfliktfall unter den Bannstrahl amerikanischer und europäischer Boykotte zu geraten. Oder noch schlimmer: Junge Saudis könnten plötzlich nicht mehr ihre Studien in den USA absolvieren und in Europa Ferien machen.