Gold ist derzeit erstaunlich unbeliebt – zumindest im Westen. Die Notenbanken der Schwellenländer kaufen so viel Gold wie noch nie. Der Bruch im Welthandel und der politischen Ordnung spricht für das Edelmetall – und die Gefahr, dass die Währungshüter den Kampf gegen die Inflation bald aufgeben.
Ein Investment in Gold hat durchaus etwas Absurdes. Das Edelmetall wird auf der einen Seite des Planeten mit viel Aufwand und Energie aus dem Boden geholt: Aus den abgelegenen Wüsten des australischen Outback, aus den peruanischen Anden mehr als 4000 Meter über Meer und aus 3000 Meter tiefen Minenschächten in Südafrika, die wegen der Hitze aus dem Erdkern fortlaufend gekühlt werden müssen.
Auf der anderen Seite der Welt wird das Gold dann in Schweizer Raffinerien in Barren gegossen und danach in New York, London und Zürich wieder fein säuberlich in Bankkellern und -schliessfächern im Boden verstaut.
Wozu das Ganze? Ist Gold nicht nur noch ein «barbarisches Relikt», wie es der Ökonom John Maynard Keynes einst nannte? Eine alte Obsession der Menschheit aus finsteren Tagen? Zumindest drängt sich hier die Beobachtung auf, dass etwa Goldmünzen des römischen Kaiserreichs durch alle Barbarenstürme und das finstere Mittelalter hindurch eine ordentliche Kaufkraft erhalten haben. Ein römischer Aureus hätte heute allein aufgrund seines Goldgehalts einen Wert von rund 500 Fr.
Der Publizist und Buchautor Bill Bonner sieht den Reiz des Goldes eben gerade darin, dass es so «dumm» und ignorant ist. Selten in der Erdkruste und nur teuer zu schürfen, steht das Gold im Widerspruch zu den beliebig multiplizierbaren Verheissungen der modernen Welt: Papiergeld und digitales Geld, das ganze Kreditwesen samt dem Teilreserve-Bankensystem, ein gigantisches globales Netz von Derivatkontrakten, und das alles aktiv gesteuert über die Geldpolitik und die Regulierungen einer Kaste erleuchteter Technokraten – so sehen sie sich zumindest gerne selbst.
Gold ist die tumbe und anachronistische Alternative zu all dem. Da verwundert es auch nicht, dass Vertreter einer staatlichen Interventions- und Planwirtschaft wie Lord Keynes seit jeher eine tiefe Abneigung gegenüber Gold empfunden haben. Etwas zugespitzt könnte man auch sagen, dass Gold das urtypische Anti-Establishment-Investment ist.
Es ist die Assetklasse der Skeptiker, die lieber nicht blind auf die Versprechen vertrauen wollen, dass ihre Bankeinlagen sicher sind und ihr Geld seine Kaufkraft behält. Doch es soll hier nicht um das zeittypische Lagerdenken gehen, obwohl natürlich gerne versucht wird, Goldinvestoren in die Ecke der Ewiggestrigen und Flacherdler zu drängen.
Gold ist letztlich ein konträrer Massstab für Vertrauen: Das Vertrauen in die Geldmengensteuerung durch die Zentralbanken und das Vertrauen der Staaten untereinander im Waren- und Zahlungsverkehr. Auf beiden Ebenen hat das Vertrauen in den letzten drei Jahren seit Ausbruch der Corona-Pandemie massiv Schaden genommen – da ist es kein Wunder, dass der Wert des gelben Edelmetalls wieder steigt und erneut an der Rekordmarke von 2063 $ je Unze kratzt. Historisch war der Goldpreis meist nach oben ausgebrochen, wenn die Zentralbanken den Kampf gegen die Inflation aufgegeben hatten (siehe Grafik).
Die Zentralbanken haben es eindeutig verschlafen, den historisch einmaligen fiskalischen Stimulusmassnahmen der Pandemie zeitig entgegenzutreten und rennen seither der Inflation hinterher. Die umso rascheren Zinserhöhungen der letzten zwölf Monate sind nun kurz davor, eine neue Rezession und Bankenkrise auszulösen. Reagieren die Zentralbanken, allen voran das amerikanische Fed, darauf erneut mit raschen Zinssenkungen, so ist ein Ausbruch des Goldpreises zu neuen Höchstständen zu erwarten.
Doch es gibt neben der Inflation noch einen weiteren Faktor, der für einen anhaltenden Gold-Bullenmarkt spricht: Das schwindende Vertrauen der Staaten untereinander. Durch die Lieferengpässe während der Pandemie, vor allem aber durch den brutalen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und das Tolerieren desselben durch ein China, das selber zunehmend kriegerisch auftritt, ist eine baldige Rückkehr zur globalisierten und weitgehend friedlichen Welt vor 2020 kaum noch vorstellbar.
Die Sanktionierung Russlands und die Enteignung seiner Dollar-Währungsreserven über Nacht waren eine deutliche Warnung an alle Länder, dass Dollars letztlich auch immer einem Gegenparteirisiko unterliegen und auf Vertrauen beruhen. Das tumbe Gold dagegen ist eine echte strategische Reserve ohne Gegenpartei.
Kein Wunder haben die Zentralbanken der Welt deshalb im Kriegsjahr 2022 so viel Gold zugekauft wie noch nie (siehe Grafik). Die Goldkäufer waren vorwiegend in südlichen und östlichen Ländern zu finden.
Es sieht zwar nicht danach aus, als würde der allmächtige Dollar so bald als Handels- und Reservewährung Nummer Eins abgelöst. Entsprechende Bestrebungen Chinas und Russlands und einiger südlicher Länder gibt es jedoch durchaus.
Die grösste Gefahr unserer Tage ist aber, dass aus den Sanktionen und Handelskriegen ein heisser Krieg zwischen den Supermächten USA und China wird. In einem solchen Szenario dürfte Gold rasant an Wert gewinnen. Wenn alle Staaten ihre Kriegsindustrie mit frisch gedrucktem Geld anheizen, könnte der Handel zwischen den Staaten ähnlich wie im Zweiten Weltkrieg nur noch gegen Gold stattfinden. Kein schöner Ausblick, aber auch kein völlig unwahrscheinliches Szenario mehr.
Das grösste unmittelbare Risiko für den individuellen Investor ist in jedem Fall die Inflation. Einen ersten grösseren Teuerungsschub haben wir bereits hinter uns. Ein weiterer Schub droht, wenn die Staaten und ihre Zentralbanken die nächste Wirtschaftskrise erneut mit einer gigantischen Geldschwemme bekämpfen werden. Natürlich wäre auch ein neuer Krieg zusätzlich inflationär, da dann noch mehr Geld gedruckt wird und die Lieferketten leiden.
Gold bietet gemäss der historischen Erfahrung einen gewissen Schutz gegen Extremrisiken wie Krieg, Bankenkrisen und Hochinflation. Gleichzeitig performt das gelbe Edelmetall auch während gewöhnlichen Rezessionsphasen meist gut, da dann die Geldpolitik gelockert wird. Gemäss Berechnungen des Fondshauses Incrementum hat der Goldpreis in den 15 Aktien-Bärenmärkten seit 1929 im Schnitt eine positive Rendite von 8,2% erzielt. Der S&P-500-Aktienindex dagegen verlor im Mittel 35,8%.
Umso mehr erstaunt es, dass die Anleger heute erstaunlich wenig Interesse an Gold zeigen. Seit mehr als zwei Jahren verzeichnen Gold-ETF sogar Mittelabflüsse, nur unterbrochen von einem kurzen Anstieg nach Russlands Angriff auf die Ukraine im 1. Quartal 2022 (siehe Grafik unten). Doch die momentane Unbeliebtheit von Gold ist ein gutes Zeichen für den antizyklischen Investor: Offensichtlich rechnen noch nicht alle Anleger mit dem Schlimmsten, was bedeutet, dass die Absicherung billig zu haben ist.
Gold ist als Investment zu einem Teil wirklich tumb und barbarisch. Genau darum passt es leider in die heutige Zeit. Wir halten deshalb eine ordentliche Allokation in physischem Gold für sinnvoll, ganz nach unserem alten Motto: «Kaufen Sie Gold und hoffen Sie, dass Sie es nie brauchen.»