Sozialanleihen bilden das am schnellsten wachsende Segment im Markt für themenbezogene Obligationen. Zahlreiche Faktoren machen sie so beliebt, einschliesslich der Möglichkeiten zur Verbesserung der Geschlechterungleichheit oder Massnahmen zur Linderung der Pandemiefolgen.
Autorin: Malika Takhtayeva, Sustainable Fixed Income Lead – EMEA. BNP Paribas Asset Management
Gemäss Bloomberg-Daten wurden im Jahr 2020 mit 147,7 Mrd. $ mehr als siebenmal so viele Sozialanleihen aufgenommen wie im Jahr 2019 mit rund 20 Mrd. $. Dieser enorme Zuwachs unterstreicht ihre Attraktivität als potenziell bedeutende Triebkraft für soziale Veränderungen wie etwa die vermehrte Bereitstellung von erschwinglichem Wohnraum, den verbesserte Zugang zu wichtigen Dienstleistungen oder die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen.
Zwar wurden weltweit grosse Fortschritte bei der Gleichbehandlung der Geschlechter erzielt – Nr. 5 der ‹Nachhaltigen Entwicklungsziele› (engl. SDG) der UNO –, doch ist die angestrebte Gleichstellung noch lange nicht verwirklicht.
Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie haben die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern verschärft, insbesondere bezüglich des Lohngefälles und der Beteiligung am Erwerbsleben. Gemäss den Vereinten Nationen hat die Pandemie dazu geführt, dass 25% der selbständigen Frauen ihre Arbeit aufgeben mussten, während dies nur 21% der Männer tun mussten.
Wissenschaftliche Untersuchungen haben den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Geschlechtergleichstellung bestätigt. So wurde in einer Studie aus dem Jahr 2012 nachgewiesen, dass die Stärkung der Rolle der Frau und Wirtschaftsentwicklung eng zusammenhängen. Insgesamt ist in den Schwellenländern die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern grösser als in den fortgeschrittenen Märkten.
So erreichen die G20-Länder auf dem UN-Index für geschlechtsspezifische Ungleichheit 2019 einen Medianwert von 0,08, verglichen mit 0,31 für grosse Schwellenländer mit niedrigerem Pro-Kopf-Einkommen. Die Indexskala reicht von 0 bis 1, wobei höhere Werte auf grössere Ungleichheiten hinweisen.
Selbst in Ländern mit hohem Einkommen bleiben die Beteiligungs- und Zugangsraten für Frauen, die eine messbare, entlohnte wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, unter ihrem Anteil an der Bevölkerung. Eine Untersuchung von Mercer hat ergeben, dass 40% der weltweiten Arbeitskräfte weiblich sind, aber nur 7% der Fortune-500-Unternehmen von Frauen geleitet werden.
Geschlechtsspezifische Unterschiede zu verringern und zu beseitigen, bringt wirtschaftliche Vorteile mit sich, die andernfalls verlorengehen. Ein höherer Anteil von Frauen in der erwerbstätigen Bevölkerung kann die Wirtschaftsleistung steigern, während eine Verbesserung der Einkommensverhältnisse von Frauen den Konsum und die Haushaltsfinanzen ankurbeln kann. Mehr Frauen beruflich zu beschäftigen, kann dazu beitragen, die negativen Auswirkungen einer alternden Bevölkerung abzufedern.
Wenn Frauen im gleichen Umfang wie Männer an der Weltwirtschaft teilhätten, würde dies laut einer McKinsey-Untersuchung zu einer Steigerung des weltweiten BIP um jährlich 28 Bio. $ führen.
Sozial- und genderbezogene Anleihen können ein wirksames Mittel zur Förderung der Geschlechtergleichstellung sein. Ein aktuelles Beispiel ist die IDB Invest, die in Mexiko eine Anleihe im Wert von 122 Mio. $ zur Finanzierung von Projekten ausgegeben hat, die zum Ziel haben, Frauen in Lateinamerika und der Karibik sowie die Geschlechtergleichstellung zu fördern.
Die Banco Davivienda hat im August 2020 die erste geschlechterspezifische Sozialanleihe Lateinamerikas emittiert, um Darlehen zu finanzieren, die förderungswürdigen, von Frauen geführten Unternehmen in Kolumbien sowie über ein geringes Einkommen verfügende Erstkäuferinnen von Wohneigentum zugutekommen sollen.
Die Pandemie hat die Entwicklung der Sozialfinanzierung beschleunigt. Seit Anfang 2020 hat das Emissionsvolumen von Sozialanleihen zugenommen, da sowohl die öffentliche Hand als auch Entwicklungsagenturen auf Fremdfinanzierung setzen, um die Folgen der Covid-19-Pandemie aufzufangen.
Zwischen 2014 und 2019 wurde eine grosse Anzahl von Sozialanleihen diversen Projekten zugewiesen, die auf die Realisierung von erschwinglichem Wohnraum zielen. Beispiele sind die Emission der niederländischen Staatsbank NWB in Höhe von 2,2 Mrd. $ zur Verwirklichung von erschwinglichem Wohnraum sowie die Gleichstellungsanleihe der National Australia Bank in Höhe von 384 Mio. $.
Die auf Linderung der Pandemie zielenden Bemühungen haben auch eine Zunahme der Sozialanleihen mit thematischer Ausrichtung bewirkt, zum Beispiel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit oder für den Zugang zur Gesundheitsversorgung. So emittierte beispielsweise die französische Arbeitsvermittlungsstelle Unédic im Mai 2020 eine Sozialanleihe im Wert von 4 Mrd. €, und einen Monat später eine zweite im Wert von 4 Mrd. €.
Unabhängig von Finanzierungsmassnahmen im Zusammenhang mit der Pandemie hat sich bei Anlegern, Unternehmen und Regierungen auch das Sozialbewusstsein stärker ausgebildet.
Auf Staaten, supranationale Organisationen und Agenturen entfielen 80% aller zwischen 2020 und der ersten Hälfte von 2021 ausgegebenen Sozialanleihen. Aber es wird erwartet, dass Finanzinstitute, Unternehmen und gemeinnützige Organisationen eine zunehmend wichtige Rolle auf dem Markt spielen werden. Ford Foundation hat beispielsweise 2020 Sozialanleihen in Höhe von 1 Mrd. $ aufgelegt.
Unternehmen haben nachhaltige Anleihen ausgegeben, um Initiativen zur Gleichheit ethnischer Gruppen zu unterstützen. Letztes Jahr emittierte die Bank of America eine Nachhaltigkeitsanleihe im Wert von 2 Mrd. $, um die Gleichstellung der Ethnien, wirtschaftliche Chancen und ökologische Nachhaltigkeit zu fördern.
Da sich Sozialanleihen insgesamt einer wachsenden Beliebtheit erfreuen, ist mit einer verstärkten Emission von festverzinslichen Wertpapieren zu rechnen, die auf die wirtschaftliche Stärkung von Frauen und die Bekämpfung ihrer Untervertretung ausgerichtet sind.
Es ist anzunehmen, dass solche Instrumente für Emittenten und nationale/regionale Regierungen positive, dauerhafte Auswirkungen haben werden, da eine erhöhte Chancengleichheit für Frauen das Betriebs- und Reputationsrisiko verringern und sowohl dem Wirtschaftswachstum als auch dem sozialen Zusammenhalt zugutekommen können.
Regulatorische Entwicklungen wie die EU-Sozialtaxonomie und die Verordnung über die Offenlegung nachhaltiger Finanzierungen (SFDR) dürften das Vertrauen der Anleger in den Markt für Sozialanleihen stärken und den Kapitalfluss in diese Anleihen erhöhen. Das könnte seinerseits an den Fremdkapitalmärkten die Liquidität der Sozialfinanzierung erhöhen.